„Er wollte mir zeigen: Du bist tot“

3.6.2015, 20:02 Uhr
„Er wollte mir zeigen: Du bist tot“

© Foto: Kai Barnickel

Die Geste eines kleinen Jungen ist Alexis Prem Kumar besonders im Gedächtnis geblieben. Es war am ersten Tag seiner Entführung in Afghanistan. Erst zwei Stunden zuvor hatten Kidnapper den Jesuitenpater in ein Auto gezerrt. Nun machten sie in einem Dorf halt, um Essen zu besorgen. Prem Kumar durfte aussteigen und war schnell umringt von neugierigen Kindern. Die meisten lachten. Nur ein Junge, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, zog den Zeigefinger über seine Kehle. „Er wollte mir zeigen: Du bist tot“, glaubt Prem Kumar. Das habe ihm wirklich Angst gemacht, sagt der jesuitische Priester: „Ich habe nur gedacht, diese Kinder brauchen dringend Bildung.“

Genau deshalb war Prem Kumar im Juni 2011 nach Afghanistan gekommen. Die Jesuiten betreuen hier seit 2005 vor allem Flüchtlinge, die aus den Nachbarländern Iran und Pakistan zurückkehren. Der Schwerpunkt der Projekte in ursprünglich vier Provinzen liegt auf Bildung. Prem Kumar war für die Region Herat im Westen an der iranischen Grenze zuständig.

Mit Kalaschnikows bewaffnet

Am 2. Juni 2014 besuchte er eine von den Jesuiten unterstütze Schule im Dorf Sohadat. Als die Angreifer kamen, wartete Prem Kumar gerade vor dem Gebäude. Die Männer hielten Kalaschnikows in den Händen. Prem Kumar versuchte noch, in die Schule zu fliehen. Doch einer der Angreifer packte ihn am Nacken und schleppte ihn in ein Fahrzeug.

„Sie wussten nicht, wer ich war, aber ich war der einzige in der Schule, der kein Afghane war“, sagt Prem Kumar. Seine Entführer nahmen ihm Tasche, Handy und Ausweis ab. Umsehen durfte er sich nicht – sonst würde er erschossen werden.

Wer hinter der Entführung steckt, ist bis heute nicht ganz klar. Aber der Priester ist sich relativ sicher, dass es die Taliban waren. Vielleicht waren die ersten Angreifer auch Kriminelle, vermutet er. Sie hätten viel über Geld gesprochen. Aber die späteren Gruppen – Prem Kumar wurde an insgesamt acht Orten von unterschiedlichen Entführern festgehalten – hätten gesagt, dass sie zu den Taliban gehörten. Von Geld war keine Rede mehr.

Dass er ein katholischer Priester ist, verschwieg Prem Kumar seinen Entführern die meiste Zeit lieber. Die Angst, dass sie ihn töten könnten, war zu groß. Aber dass er ein Christ ist, konnte er nicht verbergen. Schließlich habe er in seiner Gefangenschaft meditiert und gebetet. Die Afghanen hätten Fragen gestellt, aber sie hätten seinen Glauben letztlich respektiert.

Als die in Syrien entführten amerikanischen Journalisten James Foley und Steven Sotloff ermordet wurden, hätten die Entführer ihm die Videos gezeigt und triumphiert, erzählt Prem Kumar. Vom Islamischen Staat hätten sie allerdings keinen Begriff gehabt: „Sie sagten, dass haben die Taliban im Irak getan.“

„Es war wie im Film“

Manchmal durfte er zur Übung ein kleines Stück rennen, etwa hundert Meter, nicht weiter. Da habe er an Flucht gedacht, sagt Prem Kumar. Aber der Entführer, der ihn rennen ließ, sei ein guter Mensch gewesen. „Da konnte ich nicht fliehen.“

Frei kam Prem Kumar im Februar diesen Jahres auf Vermittlung der indischen Regierung. Die sagt, es sei kein Lösegeld geflossen.

Fast wäre seine Freilassung noch schiefgegangen. In der Gegend kämpfte gerade eine andere Taliban-Gruppe mit Regierungssoldaten. Das Auto, das Prem Kumar abholen sollte, wurde beschossen. Also wurde der Ort geändert: Die Taliban ließen den Priester aus dem Auto und gaben ihm ein Handy in die Hand. Er rief einen indischen Regierungsmitarbeiter an. Der rief nur: „Bitte: Renn, renn!“ Prem Kumar rannte und erreichte das Auto, das ihn abholen sollte. „Es war wirklich wie im Film“, sagt er.

Aus der Provinz Herat, in der Prem Kumar entführt wurde, haben sich die Jesuiten zurückgezogen. Die Schule im Dorf Sohadat wurde der Regierung übergeben. Die Projekte in anderen Provinzen laufen weiter, es befinden sich noch drei Jesuiten im Land. Auch Prem Kumar würde zurückkehren, wenn seine Vorgesetzten das verlangen würden: „Wenn das Gottes Plan ist, bin ich bereit zu gehen.“

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