Erdogan stellt Flüchtlingspakt in Frage

6.5.2016, 17:01 Uhr
Nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten will Erdogan seine Macht noch weiter ausbauen.

© dpa Nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten will Erdogan seine Macht noch weiter ausbauen.

Unmittelbar nach der Rückzugsankündigung von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan den Flüchtlingspakt mit der EU ins Wanken gebracht.

Erdogan wandte sich am Freitag in Istanbul unter dem Jubel von Anhängern gegen die Brüsseler Forderung nach einer Änderung der Terrorgesetze in der Türkei. "Wir gehen unseren Weg, geh Du Deinen Weg", sagte er an die Adresse der EU. "Einige Dich, mit wem Du willst." Die Menge skandierte: "Steh aufrecht, beuge dich nicht."

Eine Änderung der Terrorgesetze ist einer der fünf offenen Punkte, die Ankara noch erfüllen muss, damit Türken wie geplant Ende Juni von der Visumpflicht befreit werden. Die Visumfreiheit ist Teil des Flüchtlingspaktes, den Davutoglu mit der EU aushandelte. Im Gegenzug unter anderem für die Visumfreiheit sagte die Türkei zu, alle Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurückzunehmen.

Mehr Macht für den Präsidenten

Erdogan steht dem Flüchtlingspakt kritisch gegenüber. Davutoglu hatte am Donnerstag nach einem Machtkampf mit Erdogan angekündigt, bei einem AKP-Sonderparteitag am 22. Mai nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Damit verliert er auch das Amt des Ministerpräsidenten.

Erdogan kündigte am Freitag an, möglichst bald ein Referendum über eine Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems abhalten zu wollen - und seine Macht damit auszubauen. Erdogan sagte, nur ein Präsidialsystem sei eine "Garantie für Stabilität und Sicherheit".

Die entsprechende Verfassungsänderung müsse die neue AKP-Regierung "so schnell wie möglich zur Bestätigung unserem Volk vorlegen". Das Präsidialsystem ist Erdogans wichtigstes Ziel. Erdogan-Anhänger hatten Davutoglu vorgeworfen, dessen Einführung nicht entschieden genug vorangetrieben zu haben. Für ein Referendum über eine Verfassungsänderung ist eine 60-Prozent-Mehrheit im Parlament nötig, zu der der AKP derzeit 13 Sitze fehlen.

Wie definiert die Türkei Terrorismus?

Für die Visumfreiheit soll die Türkei nach dem Willen der EU ihre bislang recht weit gefasste Definition von Terrorismus umgestalten. Er soll damit tatsächlich der Verfolgung von Terroristen dienen – und nicht zum Vorgehen gegen politische Gegner oder unliebsame Journalisten missbraucht werden können.

Erdogan forderte dagegen im März nach einem erneuten Anschlag in Ankara sogar eine breitere Definition von Terrorismus im türkischen Strafrecht. "Zwischen Terroristen, die Waffen und Bomben tragen, und jenen, die ihre Position, ihren Stift oder ihren Titel den Terroristen zur Verfügung stellen, damit diese an ihr Ziel gelangen, besteht überhaupt kein Unterschied", sagte er damals.

Erdogan dankte Davutoglu am Freitag für dessen 20-monatige Amtszeit an der Spitze der islamisch-konservativen AKP und an der Regierung. "Ich glaube daran, dass er durch seine Dienste einen ganz besonderen Platz im Herzen unseres Volkes eingenommen hat."