Flüchtlinge aus Donezk leben in erbärmlichen Umständen

24.9.2014, 21:36 Uhr
Tausende Menschen aus der Ostukraine sind auf der Flucht, weil ihre Häuser wie hier in Slavinsk  von den Kriegsparteien zerstört wurden.

© dpa Tausende Menschen aus der Ostukraine sind auf der Flucht, weil ihre Häuser wie hier in Slavinsk von den Kriegsparteien zerstört wurden.

Die Umstände in dem Flüchtlingslager und die Schicksale der Menschen werden kaum jemanden aus unseren Journalistengruppe unberührt gelassen haben. Dabei gibt es etliche Aspekte, die sich nicht für eine einfache Interpretation eignen.

Das Lager ist in einen absolut trostlosen Industrieviertel am Rand von Kiew eingerichtet. Eine kleine protestantische Kirche hat vor Jahren den Teil eines verrotteten Geländes einer geschlossenen Firma aufgekauft. Wie, was macht eine Kirche mit dieser Industriebrache? Der Pfarrer könnte dort irgendwelche geschäftlichen Interessen haben, hören wir. Ob das stimmt, lässt sich so schnell nicht prüfen. Erklärungsbedürftig bleibt der Kauf jedenfalls.

Schon bevor wir das Gelände betreten, sehen wir dunklen Rauch aus einen Metallrohr in die Luft entweichen. Das ist eine Kochstelle, wird sich gleich zeigen – outdoors! Allerdings weniger romantisch als Grillen. 150 Leute leben hier. Familien mit Kindern, Jugendlichen, fast alle geflohen aus den selbsterklärten “Volksrepubliken” Donezk und Lugansk. Die Verzweiflung vieler Bewohner ist mit Händen zu greifen.

Plötzlich fliegt ein Flugzeug über das Lager. Der Koordinator des Lagers, ein Pastor (der mit seiner Familie selbst hat flüchten müssen), erzählt, dass sich einige traumatisierte Bewohner bei diesem Geräusch instinktiv in eine Ecke wegducken, so sehr verängstigt sie das Flugzeug. Es erinnert sie an Angriffe und Einschläge. Welche Flugzeuge waren das? Ukrainische doch wohl, oder? Nein, russische, sagt der Pastor, die über ukrainischem Territorium flogen. Auch das lässt sich nicht überprüfen.

Die Schlafplätze sind schrecklich simpel. Es ist ein Hangar mit Blechrunddach. Viele Kinder haben noch keinen Platz im Kindergarten oder in der Schule. Das wird irgendwann organisiert sein. Doch zunächst ist es bedrückend. 5000 Flüchtlinge wurden hier seit Anfang Juni durchgeschleust, nur in diesem einen Lager.

Plötzlich werde ich von einem Mann angesprochen, der die Gespräche der Journalisten mit dem Pastor/Koordinator filmt. Er hat lange in Irland gelebt, ist seit 15 Jahren wieder zurück, hat beide Staatsangehörigkeiten und hilft nun den Flüchtlingen. Er betreut eine Internetseite, die Haus- und Wohnungsangebote für Flüchtlinge listet. Manche Flüchtlinge lehnen die Angebote aber ab – weil die Häuser außerhalb von Kiew sind. Oder weil sie nur da hinziehen wollen, wenn ihnen gleichzeitig eine Arbeitsstelle sicher ist. Auch später, bei einer Flüchtlingshilforganisation im Zentrum von Kiew, erfahren wir, dass manche Flüchtlinge “sehr wählerisch” sind.

Die Vorstellung, dass der Staat sich einfach um alles zu kümmern hat, ist wohl noch sehr verbreitet. Bei der Flüchtlingshilfe arbeiten 25-30 junge Leute, die allermeisten Frauen. Bis auf drei sind alle selbst Flüchtlinge. Es gibt auch ein Medienzentrum, in dem versucht wird, die vielen Lügen auf der “anderen Seite” richtigzustellen. Gefragt nach Vorwürfen, die ukrainische Luftwaffe habe Phosphorbomben auf Wohngebäude abgeworfen, schüttelt ein 24-jähriger Helfer nur den Kopf. “Nein, nein, nein. Das geht gar nicht. Die ukrainischen Streitkräfte haben eine solche Waffe gar nicht.”

Auf bestimmten Internetseiten ist nachzulesen, wo die vermeintlichen Aufnahmen aus dem Donbass früher schon aufgetaucht sind. Ob auch die ukrainische Armee oder die Freiwilligenverbände schlimme Dinge verbrochen haben? Da will dem jungen Aktivisten so schnell nichts einfallen. Es ist wohl nicht einfach, in diesen aufgewühlten Tagen Grautöne zu erkennen.

Am Abend dann ein Treffen mit dem Gouverneur von Donezk, Serhiy Taruta, in einem Restaurant in Kiew. Der Stahlmagnat ist – oder war? – einer der reichsten Männer der Ukraine. Er hatte sich zuvor aus der Politik herausgehalten, hatte sich – anders als andere Oligarchen – keine TV-Station und keine Parteien gehalten und genießt einen besseren Ruf als andere Oligarchenkollegen. Im Zuge des Janukowitsch-Sturzes wurde er zum Gouverneur von Donezk ernannt, geriet dann aber in den Krieg im Donbass. Nach der Machtübernehme der von Moskau militärisch aufgerüsteten Separatisten wurden sämtliche Aktiva von Tarutas Holding auf den British Virgin Islands gesperrt. Wie reich er noch ist, wer weiß? Die Unterstellung, er habe selbst an der Krise noch verdient, findet er aber lächerlich. “Ich habe große Verluste erlitten”, beharrt er.

Der Stahl-Milliardär, der von einigen Jahren auch die einstige Danziger Lenin-Werft übernahm, kann derzeit nicht nach Donezk zurückkehren. Er operiert heute von seiner Heimatstadt Mariupol aus, die die Separatisten wieder verloren haben.

Kennt die Ukraine seit vielen Jahren: NN-Redakteur Georg Escher.

Kennt die Ukraine seit vielen Jahren: NN-Redakteur Georg Escher. © Matejka

Dort hat mittlerweile wieder ein Wiederaufbau begonnen. Wie andere auch, äußert sich Taruta sehr enttäuscht über die unzureichende Unterstützung der Ukraine durch den Westen. Er glaubt aber andererseits, dass der Unterhalt der besetzten Regionen Donezk und Lugansk demnächst fürchterlich teuer werden wird für Moskau. Und, ergänzt Taruta, für Moskau sei es inzwischen schwierig geworden, Kämpfer zu finden, “die bereit sind, für 1000 oder 2000 Dollar zu sterben”.

NN-Politikredakteur Georg Escher wird am Mittwoch, 8. Oktober, 19 Uhr, an einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Warum muss die Ukraine bluten?“ teilnehmen (Caritas- Pirckheimer-Haus, Königstraße 64, 90402 Nürnberg). Der Eintritt ist frei.

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