Gesetz gegen Hass im Internet: Betroffene sind skeptisch

27.6.2017, 10:00 Uhr
Gesetz gegen Hass im Internet: Betroffene sind skeptisch

Der Mann steht früh auf. Zwischen 6 und 7 Uhr morgens weckt Ralf Stegner seine Freunde und Follower auf Facebook und Twitter: "Guten Morgen aus Bordesholm" - "Guten Morgen aus Berlin".

Alle, die es mögen - und auch viele, die ihn offenbar so gar nicht schätzen, können dann lesen, wie das Wetter im Norden oder in der Hauptstadt ist und was der Tag für Ralf Stegner, den stellvertretenden SPD-Chef und ersten Mann der schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten, bringt. "Wieder ein herrlicher Sommermorgen", twittert Stegner.

Dann schaut er voraus: "Heute beraten wir bei der Präsidiumssitzung der SPD im Willy-Brandt-Haus über das Steuerkonzept für die Bundestagswahl". Später motiviert er sich selbst und seine Gefolgschaft, immerhin fast 50.000 Menschen, mit einem Musiktipp: "Roxette: Listen to your heart".

Der Ton ist oft rau

Die gute Laune währt nicht lang. Und im Fall von Ralf Stegner liegt das gewiss nicht am neuen Steuerkonzept der SPD. Im Laufe des Tages melden sich Menschen, die grundsätzlich wütend auf Politiker zu sein scheinen oder auf alles allergisch reagieren, was Stegner postet.

Der Ton auf Facebook und Twitter ist oft rau. Herben, konfrontativen Stil ist Stegner gewohnt. Schließlich ist er selbst ein erklärter Anhänger der zugespitzten politischen Auseinandersetzung. Und Pöbeleien kennt er, seit er Schiedsrichter auf dem Fußballplatz war.

Doch der Hass, der sich vor allem von rechts seit Jahren über ihm entlädt, macht selbst Stegner manchmal zu schaffen. Stegner sagt, keinem anderen SPD-Politiker schlägt im Netz so viel Hass entgegen wie ihm und Justizminister Heiko Mass.

"Ralle, ich hasse Dich"

Stegners Mitarbeiterin zeigt am Computer, worum es geht: "Ralle, ich hasse Dich. Deine Zeit läuft ab. Du wirst vor Gericht gestellt. Du verdienst den Strick. Ralle, Ralle, Ralle. Pöbel Ralle, has left his existence. Ich, persönlich, würde dich über Monate zu Tode foltern. Aber, die Bilder gönne ich Dir nicht".

"Stegner, Ekel Ralle genannt, hat immer wieder Aufrufe gestartet gegen die demokratisch legitimierte Partei AfD, . . . Ab jetzt wird nicht mehr verbal zurückgeschossen, sondern Konsorten wie Stegner dürfen sich als Freiwild bezeichnen, denn jetzt wird mit gleicher Münze zurückgezahlt!".

Auch sie ist ein besonders beliebtes Objekt für Hassattacken im Netz, doch die Grüne Renate Künast wehrt sich nach Kräften.

Auch sie ist ein besonders beliebtes Objekt für Hassattacken im Netz, doch die Grüne Renate Künast wehrt sich nach Kräften. © dpa

"Viele Kommentare sind dumm und geschmacklos", sagt Stegner. Freundliche, zustimmende Stimmen und Smileys sind in der Minderzahl. Ablehnung, Häme und Hass dominieren. "Das fasst mich schon an. Psychologisch ist das großer Mist", sagt Stegner.

Vor allem wenn es um seine Familie, um seine Frau und seine Söhne geht, die ebenfalls manchmal bedroht werden, macht er sich Sorgen. Einer der drei studiert in Halle und engagiert sich dort auch politisch. Auch er hat schon mehrmals Morddrohungen erhalten. Dann ist Polizeischutz notwendig.

Nicht aufgeben

Aber aufgeben will Stegner nicht. In seinen Büros in Kiel und Berlin sitzen Mitarbeiter und durchpflügen täglich die Kommentare, löschen, was gegen die Netiquette geht, und antworten, wo immer es geht. Allerdings: Wer sich von ihnen auf einen Disput einlässt, wird auch selbst oft Opfer von Hass und Drohungen.

Hass im Netz ist weit verbreitet, das Dunkelfeld ist groß. Nicht alles wird angezeigt. Der Hass richtet sich vor allem gegen Geflüchtete, vermeintlich Randständige, religiöse Gruppen, Lesben und Schwule, Ausländer, politische Initiativen, Bürgermeister und Landräte und eben auch professionelle Politiker. Und er kommt vor allem aus der rechten und rechtspopulistischen Szene.

In der vergangenen Woche hat das Bundeskriminalamt zum zweiten Aktionstag gegen Hasspostings in 14 Bundesländern Razzien veranstaltet. Es ist ein Signal, mehr nicht: Ermittelt wird gegen 36 Beschuldigte, davon 34 Personen aus dem rechten Milieu. Es geht um Volksverhetzung.

Mit gezielten Kampagnen und Hasspostings im Netz versuchen einzelne und organisierte politische Gruppen, den Diskurs zu dominieren und nach rechts zu verschieben. Hass und Wut, Beschimpfungen, Verunglimpfungen und Miesmachen gehören zu ihren Methoden. Ihr Hass soll Angst machen und spalten.

Schleichende Verrohung

Stegner sieht eine schleichende Verrohung des politischen Klimas und er weiß, dass Hassreden nicht nur in der virtuellen Welt wirken. "Den Brandreden folgen auch die Brandsätze", befürchtet er.

Stegner wehrt sich nicht nur, indem er antwortet und den Meinungsaustausch nicht den Schreiern überlässt. Zu schweigen, statt zu kontern, sich zurückzuziehen, um den Angriffen zu entgehen, ist für Stegner keine Option. "Schweigen passt nicht zu meinem Naturell." Er wehrt sich auch juristisch, wann immer es geht. Schmähungen zeigt er nicht an, aber Drohungen immer.

Inzwischen, sagt Stegner, unterschreibt er in großer Regelmäßigkeit solche Anzeigen, die Zahl liege längst im dreistelligen Bereich. Aber nur sehr wenige Fälle kommen tatsächlich vor Gericht. Vielleicht zehn Verfahren, schätzt der Politiker, endeten bislang in einer Verurteilung. Meist sind die Täter nicht ermittelbar, oder es gelingt ihnen, sich herauszureden. Man habe einen zu viel getrunken, werde dann zum Beispiel behauptet.

"Ich glaube, wir brauchen eine Debatte darüber, in welchen Bereichen Anonymität nötig ist", sagt Stegner. "Ja, wir brauchen ein Recht darauf an verschiedenen Stellen – bei Babyklappen, für Whistleblower zum Beispiel. Aber die Politik, politische Debatten, gehören nicht dazu." Stegner betritt damit, das ist ihm klar, heikles Gelände. Es geht um ein Kernthema der Demokratie. Es geht um die Grenzen der Meinungsfreiheit.

Stegner glaubt, dass er und Heiko Maas am meisten attackiert werden, weil sie beide sich am klarsten gegen rechte Hetzer stellten. Das Netz, bemerkt er, ist für Rechtspopulisten eine sehr gute Möglichkeit, einen Eindruck von Größe und Stärke zu erzeugen, der real gar nicht da sei. Im Netz könnten die Rechten sich größer machen als sie sind.

Gesetz soll Hass eindämmen

Stegner setzt darauf, dass mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz von Justizminister Maas, das in dieser Woche noch in aller Eile in zweiter Lesung durch den Bundestag gebracht werden soll, ein Durchbruch erreicht wird im Kampf gegen die Hasspostings.

Doch die Digitalwirtschaft, netzpolitisch Engagierte und viele Rechtsexperten sehen das Gesetz äußerst skeptisch. Das Gesetz soll Hass im Internet eindämmen, die Opfer besser schützen und Unternehmen wie Facebook, Twitter und YouTube dazu bringen, Beleidigungen, Diffamierungen und Volksverhetzung rasch zu löschen. Facebook drohen Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro, wenn sie die Anforderungen an Löschpflichten und Transparenz nicht erfüllen.

Nun fürchten viele, dass Facebook und Co. im Zweifelsfall lieber mehr als weniger löschen – und sehen dadurch die Meinungsfreiheit in Gefahr. Zudem befürchten sie eine Privatisierung der Strafverfolgung. Auch die Opposition im Bundestag ist gegen das Gesetz in der jetzigen Form. Gut gemeint, schlecht gemacht – so kann man die Kritik zusammenfassen.

Treffen mit Renate Künast. Die Grünen-Politikerin, auch sie hat fast 50 000 Follower, wird seit Jahren im Netz beschimpft. "Von Dir würde ich gerne ein Enthauptungsvideo sehen" - "Du Hure" - "Dich will ich auch mal auf dem Kölner Domplatz sehen" - "Du dummes Stück grüne Scheiße". Solche Sachen.

Auch Künast hat von der Staatsanwaltschaft erfahren müssen, dass so etwas nicht strafbar ist. Weil die Meinungsfreiheit in Deutschland eben sehr weit geht. Nicht alles, was unanständig, grob und hässlich ist, ist strafbar.

Gerade Politiker müssen sich viele Pöbeleien gefallen lassen. Das sei, sagt die Grüne, im Netz nicht anders als im analogen Leben. Auch dort gebe es Anonymität. Wenn aus einer Demonstration geschimpft und gehetzt wird, werde auch nicht gleich die Kundgebung aufgelöst. Sie rät zur Vorsicht und warnt davor, das Recht auf Anonymität preiszugeben.

Künast besuchte Hater

Rund 50 Anzeigen hat Künast in den vergangenen Jahren erstattet. Die meisten Verfahren wurden eingestellt. Trotzdem ist es wichtig, sich zu wehren, sagt sie. Immerhin merkten die Täter, dass es ein Entdeckungsrisiko gebe, wenn die Polizei vor der Tür steht. Zudem müsse sich die Dimension von Hass im Netz in der Kriminalstatistik zeigen, und das geht eben nur, wenn man Anzeige erstattet.

Künast hat 2016 sogar einige ihrer Hater persönlich besucht und im Gespräch gestellt. Und dabei unter anderem gelernt, dass viele, gerade in der Mittelschicht, sich vernachlässigt fühlen und mehr Ansprache wünschen. Sie wollen, dass auch ihre Sorgen und Themen öffentlich Gehör finden.

Künast hat über das Thema gerade ein Buch geschrieben: "Hass ist keine Meinung. Was die Wut in unserem Land anrichtet", es wird Ende August im Heyne-Verlag erscheinen.

Auch Künast erkennt, dass ein gesetzlicher Rahmen fehlt. Facebook kann und darf sich nicht weiter hinter US-Regeln und irischen Freizügigkeiten verstecken, sondern muss sich an deutsches Recht halten, sagt sie.

Nur hätte sie sich mehr Sorgfalt und vor allem auch mehr Zeit für eine gesellschaftliche Debatte gewünscht. "Die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte ist im Gesetz nicht gelungen", urteilt sie.

Dass das drohende Gesetz und der allgemeine Druck auf Facebook wirken, konnte Künast als Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags Mitte Juni bei einem Besuch im Facebook-Löschzentrum in Berlin begutachten.

Zum ersten Mal gewährte der Weltkonzern mit fast zwei Milliarden Nutzern einem Politiker Einblick, wie Beschwerden geprüft und wie gelöscht wird. Es bewegt sich was, aber das reicht noch lange nicht, ist Künasts erstes Fazit.

Kritik am Maas-Gesetz

Am Maas-Gesetz, das also schon Wirkung entfaltet, bevor es überhaupt gilt, hat sie einiges auszusetzen. Es gebe viel zu viele Anreize zum Löschen, und eine Clearingstelle für Beschwerden fehle.

Dabei könnte Deutschland ein Modell, ein Vorbild werden im Kampf gegen den Hass. Immerhin wagt man hier gerade etwas historisch Neues. Wenn das Gesetz am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert, wäre das eine große verpasste Chance.

Gerade deshalb ärgert sich die Oppositionspolitikerin so über Maas. "Noch kein anderes Land der Welt hat so intensiv versucht, sich dem Thema juristisch zu nähern. Wir stehen unter internationaler Beobachtung."

Das stimmt. Sogar der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für die Meinungsfreiheit, David Kaye, hat jüngst Vorbehalte gegen das Gesetz geäußert. Die EU-Kommission beobachtet das Verfahren, hat aber inzwischen signalisiert, dass sie das Vorhaben nicht blockieren will.

Letzte Änderungen

Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa interessiert sich für das deutsche Vorgehen. Beim Medienfreiheitsbeauftragten der OSZE liegt seit Wochen ein - bisher nicht an den Bundestag weitergereichtes - Gutachten zum Thema. "Verfassungsrechtlich bedenkliche Schwächen", lautet die Bilanz des Verfassers Bernd Holznagel, Professor für Internetrecht an der Universität Münster.

Noch wird im Bundestag an letzten Änderungen zum "NetzDG" gefeilt. Wie auch immer die Entscheidung in dieser Woche ausgeht: Die gesellschaftliche Debatte, woher der Hass kommt und wie man ihm begegnen kann, hat erst begonnen.

Die Autorin ist Redakteurin des Recherchezentrums Correctiv. Correctiv.org ist die erste gemeinnützige derartige Organisation im deutschsprachigen Raum und finanziert sich vor allem durch Spenden von Bürgern und Zuwendungen von Stiftungen. Correctiv.org ist unabhängig und nicht gewinnorientiert.

Seine Recherchen und Geschichten reicht Correctiv.org in Kooperationen an große und kleine Zeitungen und Magazine wie auch an Radio- und Fernsehsender weiter - und zwar grundsätzlich immer  kostenlos. Gegründet wurde das Recherchezentrum im Juni 2014, seitdem hat es diverse investigative Arbeiten veröffentlicht - zu Machtmissbrauch und Korruption in Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur, zu Themen wie Umwelt, Bildung, Gesundheit und sozialer Gerechtigkeit oder Rechtsradikalismus und Islamismus.   

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