In der Ukraine traut niemand den Politikern

25.9.2014, 14:03 Uhr
Eine gesprengte Eisenbahnbrücke zwischen Charkiw und Donezk: Die selbsternannten Republiken im Osten der Ukraine haben einen immensen Subventionsbedarf, den Putins Russland irgendwie ausgleichen muss. Das wird nicht einfach werden.

© Roman Pilipey (dpa) Eine gesprengte Eisenbahnbrücke zwischen Charkiw und Donezk: Die selbsternannten Republiken im Osten der Ukraine haben einen immensen Subventionsbedarf, den Putins Russland irgendwie ausgleichen muss. Das wird nicht einfach werden.

Präsident Petro Poroschenko ist wieder im Lande und gibt in Kiew eine große Pressekonferenz. Die deutsche Journalistendelegation - immerhin 27 Köpfe stark - und die Organisationen der deutschen Niederlassung der EU-Kommission hatten überlegt, ob das geplante Programm umgeworfen werden sollte, um an der Pressekonferenz teilzunehmen. Mit einem Treffen hatte es leider nicht geklappt, weil der Präsident zuvor in den USA war. Es wurde letztlich verworfen, zur PK zu gehen. Die Möglichkeit, den Präsidenten zu befragen, hätte es letztlich ohnehin nicht gegeben.

Am Abend treffe ich mich mit langjährigen ukrainischen Freunden, darunter zwei Journalisten. Einer sagt, ich hätte nichts versäumt. Schöne Fensterrede, wenig Substanz. Poroschenko bekräftigt den Kurs nach Westen, weg von Russland. Per Dekret ordnet er die Schließung der Grenzen zu Russland an und präsentiert seine "Strategie 2020" - benannt nach dem Jahr, in dem Kiew die EU-Mitgliedschaft beantragen will. Nicht weniger als 60 wirtschaftliche und soziale Reformen sieht sein Plan vor. Mein Journalistenfreund kann darüber nur lachen. Alles nur heiße Luft. Kaum jemand will Politikern in diesem Land noch trauen, schon gar nicht einem Oligarchen.

Während Poroschenko für die Bilder sorgt, die am Abend auch in Deutschland große Teile der Nachrichten bestimmen, lernen wir eine Reihe Leute kennen, die das Land wirklich von Grund auf umkrempelt und nach vorne bringen wollen. Beispielsweise junge Leute, die einer Gruppe angehören, die die Korruption im Lande bekämpfen will dadurch, dass sie dokumentiert und an die Öffentlichkeit gebracht wird. Die Forderung, eine eigene, unabhängige Anti-Korruptionsbehörde einzurichten, hat das Parlament gerade eben abgelehnt. Der Einfluss mächtiger Kreise, von Oligarchen, ist noch an jeder Ecke spürbar. Im Parlament gibt es "Pianisten", lernen wir. Die drücken bei Abstimmungen gleich zehnmal die elektronischen Tasten, auch für Kollegen, die nicht im Plenum sind, weil sie andernorts vielleicht gerade irgendwelche wichtige Geschäfte abwickeln.

Auch ein dringender Appell an die westlichen Staaten ergeht, auch an Deutschland. Es geht da zum Beispiel um den erst 28-jährigen Oligarchen Serhij Kurtschenko, der vor gut einem Jahr in Thüringen eine Flüssiggas-Tankstellenkette namens Sparschweingas übernommen hat und damit wunderbar Geld verdient - ohne dass sich die deutschen Behörden um das zwielichtige Projekt kümmern. Wir sollten das unbedingt der deutschen Öffentlichkeit mitteilen, appellieren die jungen Leute an uns. 

Eine Gruppe kämpft dafür, dass die künftige Regierung auf nichtkorrupte Experten setzt, nicht auf die alten, gut vernetzten Kader. Darunter sind etliche Absolventen amerikanischer oder europäischer Spitzenuniversitäten. Es gibt eine umfangreiche Datenbank mit diesen Kandidaten, immerhin 22 arbeiten inzwischen für die Regierung.

Es gibt weitere Treffen, mit einem Vertreter des Internationalen Währungsfonds, danach mit der Chefökonomin einer Investmentbank. Es schwirren vielen Zahlen durch den Raum, einige elektrisieren. Die Wirtschaftsleistung der selbsternannten Volksrepublik Donezk ist auf rund 40 Prozent gefallen, in Lugansk auf 44 Prozent. Das bedeutet einen immensen Subventionsbedarf, den Putins Russland irgendwie ausgleichen muss. Das wird nicht einfach werden.

Auch die deutschen Unternehmen in der Ukraine leiden, berichtet ein Experte. Besonders hart getroffen sind diejenigen im Kriegsgebiet. Auch die deutschen Exporte bleiben nicht verschont. Bei Autos liegt das Minus bei 55 Prozent, bei Nutzfahrzeugen gar bei 74 Prozent. Anderseits, heißt es, seien die ukrainischen Exporte in die EU in den zwei Monaten Mai und Juni irgendwie um 25 Prozent gestiegen - also ziemlich genau so viel wie die Experte nach Russland zurückgegangen seien. Mein ukrainischen Kollege kann am Abend nur lachen. "Wie, was sollen wir da exportiert haben? Honig?" Er hält das für eine plumpe Statistiklüge.

Am Ende rauchen allen die Köpfe, so spannend einige der Treffen waren. Eine kluge Einschätzung sorgt aber noch einmal für hohe Aufmerksamkeit. Es geht um die Frage, ob Kremlchef Putin sich nicht vielleicht doch verkalkuliert und genau das Gegenteil erreicht hat, was er möglicherweise vorhatte.

Kennt die Ukraine seit vielen Jahren: NN-Redakteur Georg Escher.

Kennt die Ukraine seit vielen Jahren: NN-Redakteur Georg Escher. © Matejka

  "Was Putin geschafft hat, ist, den Ukrainern zu zeigen: Ihr habt keine Alternative, als nach Europa zu gehen." Ein Satz, über den das Nachdenken lohnen könnte.

NN-Politikredakteur Georg Escher wird am Mittwoch, 8. Oktober, 19 Uhr, an einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Warum muss die Ukraine bluten?“ teilnehmen (Caritas- Pirckheimer-Haus, Königstraße 64, 90402 Nürnberg). Der Eintritt ist frei.

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