In Kiew bleibt das Wasser meistens kalt

8.10.2014, 23:37 Uhr
Auf dem Maidan hat sich Vitali Klitschko zu einem der Führer der ukrainischen Opposition entwickelt: Heute ist der Boxweltmeister Bürgermeister von Kiew.

© dpa Auf dem Maidan hat sich Vitali Klitschko zu einem der Führer der ukrainischen Opposition entwickelt: Heute ist der Boxweltmeister Bürgermeister von Kiew.

  Über Vitali Klitschko kursieren in Kiew jede Menge böser Witze. Sein Ukrainisch ist nicht viel besser als sein Deutsch. Das lässt ihn, der am 25. Mai zum Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt gewählt wurde, oft unbeholfen aussehen. “Er ist ein Boxer”, sagen viele und meinen das nicht als Kompliment. “Er ist kein Politiker”, sagen andere. Manche finden das eher sympathisch, denn Politiker sind schließlich alle korrupt, oder? Doch nicht alle meinen das freundlich.

Auch bei dem Gespräch mit der deutschen Journalistendelegation ringt Klitschko oft um Worte. Er ist nachdenklicher geworden, wirkt aber sehr entschlossen, sein Reformversprechen zu erfüllen. “Er hat exzellente Leute um sich”, sagt einer, der Einblick in die Vorgänge im Rathaus hat. Gleichwohl sind im Apparat noch viele aus alten Zeiten. Die Bürger wiederum spüren im Alltag noch kaum, dass der Wechsel ihre Leben verbessert hat. Und alle fürchten sich schon vor dem nächsten Winter. Russland hat die Gaslieferungen in die Ukraine gedrosselt. Europäische Staaten haben das nur teilweise ausgleichen können. Viele Bürger haben in ihren Wohnungen nur selten warmes Wasser. So lange die Temperaturen warm sind, mag das noch zu ertragen sein. Doch werden die Wohnungen im Winter geheizt werden können? Derzeit werden Vorräte angelegt. Ob es reichen wird? Klitschko kann wenig tun. Für die Gasversorgung ist allenfalls die Regierung zuständig. Der Bürgermeister gesteht an dieser Stelle seine Machtlosigkeit ein. Er hofft, gibt er zu, dass der kommende Winter “nicht so kalt” wird. Beruhigend klingt das nicht. Und die Enttäuschung der Bürger könnte rasch zurückschlagen.

Auch das Schicksal des ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazeniuk wird zu einem Gutteil von dieser Frage davon abhängen. “Russland nutzt Gas und Energie als neue Waffen”, sagt er – und hofft, dass die EU ihren Druck auf Moskau erhöht und schärfere Sanktionen nicht nur beschließt, sondern auch in Kraft setzt. Er weiß, dass das vermutlich nicht geschehen wird.


Vorwürfe, dass er selbst die nötigen und versprochenen Reformen nicht anpackt, will er nicht gelten lassen. Was seine Regierung in den vergangenen sechs Monaten erreicht habe? Einen Krieg und eine Wahl durchgestanden, zwei Sparprogramme angepackt, ein neues Steuersystem beschlossen, dass auch die Oligarchen stärker zur Kasse bittet, ein Anti-Korruptionsgesetz durchgesetzt.

Kennt die Ukraine seit vielen Jahren: NN-Redakteur Georg Escher.

Kennt die Ukraine seit vielen Jahren: NN-Redakteur Georg Escher. © Matejka

Als er gefragt wird, ob er auch Fehler begangen habe, wird er leicht unwirsch und muss lange nachdenken. Viel will ihm nicht einfallen. “Die Geschichte wird das beurteilen – und in 30 Tagen sind Wahlen”, sagt er schließlich.

NN-Politikredakteur Georg Escher wird am Mittwoch, 8. Oktober, 19 Uhr, an einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Warum muss die Ukraine bluten?“ teilnehmen (Caritas- Pirckheimer-Haus, Königstraße 64, 90402 Nürnberg). Der Eintritt ist frei.

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