Integrationsgesetz: "Meilenstein" und "Etikettenschwindel"

25.5.2016, 21:30 Uhr
Es ist nicht zu übersehen: Es "eilt". Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Weg zur Beratung über ein Integrationsgesetz.

© Michael Kappeler (dpa) Es ist nicht zu übersehen: Es "eilt". Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Weg zur Beratung über ein Integrationsgesetz.

Der Weg für das Integrationsgesetz der großen Koalition ist frei. Union und SPD verständigten sich am Dienstag über letzte umstrittene Details wie etwa die Zuweisung eines festen Wohnsitzes und der Frage, zu welchen Bedingungen anerkannte Flüchtlinge dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen. Das wurde zum Auftakt der Kabinettsklausur der Bundesregierung auf Schloss Meseberg bei Berlin bekannt. Mit dem Maßnahmenpaket, das am Mittwoch vom Kabinett offiziell in Meseberg verabschiedet wird, sollen anerkannte Flüchtlinge nach dem Motto "Fördern und Fordern" integriert werden. 

Ist das Gesetz gegen die Verfassung?

Jetzt schaltet sich auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) in die Debatte mit ein: Nach seiner Auffassung könnte der aktuelle Entwurf zum Integrationsgesetz verfassungsrechtliche Probleme mit sich bringen.

Der Gesetzentwurf sehe vor, "Leistungen drastisch zu kürzen und auf das physische Existenzminimum zu beschränken, wenn Flüchtlingen zumutbare Arbeitsgelegenheiten nicht annehmen oder an den Integrationskursen nicht teilnehmen", kritisierte Rechtsanwältin Gisela Seidler, Vorsitzende des Ausländer- und Asylrechtsausschusses des DAV, am Mittwoch in Berlin.

Dies entspreche nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum menschenwürdigen Existenzminimum. Die Migrationsrechtsanwältin befürchtet darüber hinaus, dass das Arbeitsmarktprogramm für Flüchtlinge zu einer Stigmatisierung der Schutzsuchenden führen könnte, sollte es nur geringqualifizierte Tätigkeiten wie Umzugshelfer oder Reinigungskräfte beinhalten.

Angebot und Verpflichtung

In dem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) heißt es: "Integration ist ein Angebot, aber auch eine Verpflichtung zu eigener Anstrengung." Mit den Regelungen würden die Förderangebote und Pflichten anerkannter Flüchtlinge genau definiert und rechtliche Konsequenzen für fehlende Integrationsbemühungen klar geregelt.

Die Details wollen Nahles und de Maizière am Mittwoch nach dem Kabinettsbeschluss bei einer Pressekonferenz in Berlin vorstellen. Eine Zustimmung der Bundesländer zum Integrationsgesetz, das vor der Sommerpause Mitte Juli vom Bundestag verabschiedet werden soll, ist nicht erforderlich. 

Bundesländer können Wohnort vorschreiben

Mit dem Gesetz erhalten die Länder die Möglichkeit, auch anerkannten Flüchtlingen für eine bestimmte Zeit den Wohnort vorzuschreiben. Diese Wohnsitzauflage wird für drei Jahre befristet eingeführt, tritt aber rückwirkend zum 1. Januar 2016 in Kraft. Flüchtlinge, die bereits Arbeit oder Ausbildung gefunden haben, sind davon ausgenommen. Bedingung ist, dass sie mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten und im Monat 712 Euro verdienen.  

Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis kann in der Regel erst nach fünf Jahren erworben werden. Wenn ein Migrant seinen Lebensunterhalt überwiegend selbst bestreitet und sehr gut Deutsch kann, winkt ein Bonus. "Ein besonderer Integrationsanreiz wird durch die Möglichkeit geschaffen, bei herausragender Integration bereits nach drei Jahren eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten", heißt es in der Gesetzesvorlage. Wer als Flüchtling eine Ausbildung anfängt, soll für deren gesamte Dauer in Deutschland bleiben dürfen. Darauf hatte die Wirtschaft gepocht.

Das Angebot an Integrationskursen soll ausgebaut und die Wartezeit verkürzt werden. Künftig sollen auch Flüchtlinge, die schon einfache Sprachkenntnisse haben, zur Teilnahme verpflichtet werden können. Wer einen Integrationskurs abbricht, muss mit einer Kürzung seiner Sozialleistungen rechnen.

Integrationsgesetz ist "Meilenstein"

Integrationskurse sollen in Zukunft verpflichtend sein. Wer die Mitwirkung daran ablehnt oder abbricht, dem werden Leistungen gekürzt.

Integrationskurse sollen in Zukunft verpflichtend sein. Wer die Mitwirkung daran ablehnt oder abbricht, dem werden Leistungen gekürzt. © Julian Stratenschulte (dpa)

Der Städte- und Gemeindebund begrüßte das geplante Gesetz. "Es ist ein Meilenstein", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Gerd Landsberg, der Passauer Neuen Presse am Dienstag. Der Grundansatz des Förderns und Forderns sei richtig. "Wir müssen den Menschen, die zu uns kommen und bleiben dürfen, etwas anbieten", sagte Landsberg. "Aber es gibt auch Pflichten. Wenn dies in einem Gesetz noch einmal auf den Punkt gebracht wird, ist das ein starkes Signal." Die Kommunen warnen aber davor, dass einzelne Länder - wie in Ostdeutschland - bei der Wohnsitzauflage nicht mitmachen. Dann würden Flüchtlinge in andere Länder abwandern und dort den Druck erhöhen.

Von vielen anderen Seiten kamen dagegen heftige Einwände. Neben Pro Asyl kritisieren auch weitere Organisationen, Sozialverbände, Gewerkschafter und Oppositionspolitiker wesentliche Teile des Gesetzes als falsch und integrationsfeindlich. Besonders umstritten ist die "Wohnsitzzuweisung".

Kritiker sprechen von Etikettenschwindel

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hält das geplante Integrationsgesetz für fragwürdig, fehlgeleitet und populistisch. "Das Gesetz bedient rechte Stimmungen in Deutschland, indem man suggeriert, dass sich Flüchtlinge nicht integrieren wollen", sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt der Deutschen Presse-Agentur kurz vor dem Kabinettsbeschluss zu dem Vorhaben. Die Pläne gingen völlig in die falsche Richtung, beklagte er. "Es behindert Integration, wenn man die Menschen an einen bestimmten Wohnort zwingt. Das Gesetz hat eine desintegrative Wirkung. Das ist Etikettenschwindel."

Auch der Deutsche Städtetag appellierte an die Bundesländer, die künftigen Regelungen sinnvoll zu nutzen. "Wenn Flüchtlingen ein geeigneter Wohnsitz zugewiesen werden kann, wird Integration besser steuerbar", sagte die Präsidentin des Städtetags, Eva Lohse, der Neuen Osnabrücker Zeitung am Dienstag.

Burkhardt kritisierte, eine solche Regelung stehe der Integration entgegen. "Man verhindert dadurch, dass Menschen eigenverantwortlich ein neues Leben beginnen." Es sei falsch, Flüchtlinge in Regionen zu drängen, wo sie möglicherweise schlechtere Jobchancen hätten und weit weg seien von Verwandten und ihrer Community. Außerdem sei es juristisch fragwürdig, ihr Freizügigkeitsrecht zu beschränken.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nannte das Gesetz zwar einen "Fortschritt". Der Entwurf enthalte neben überfälligen Erleichterungen aber auch "Überflüssiges und Schädliches", sagte sie dem Münchner Merkur am Mittwoch.

Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 25.05, um etwa 21 Uhr aktualisiert.

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