Jamaika-Verhandlungen: Grüne gehen an die Schmerzgrenze

19.11.2017, 16:09 Uhr
Die Grünen (im Bild Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir) sind kompromissbereit, aber machen auch klar, dass am Grundrecht auf Asyl nicht gerüttelt werden dürfe.

© Michael Kappeler/dpa Die Grünen (im Bild Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir) sind kompromissbereit, aber machen auch klar, dass am Grundrecht auf Asyl nicht gerüttelt werden dürfe.

Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen haben vor der entscheidenden Runde der Jamaika-Sondierungen ihre Bereitschaft bekräftigt, Verantwortung für das Land zu übernehmen. CSU-Chef Horst Seehofer unterstrich am Sonntag in Berlin, seine Partei sei "willens, eine stabile Regierung zu bilden". Grünen-Chef Cem Özdemir mahnte die Jamaika-Partner mit Blick auf die weltweiten Krisen und den stärker werdenden Rechtspopulismus in Europa, man müsse bereit sein, sich zu bewegen, aus Verantwortung oder auch "Patriotismus für das Land".

Die Grünen hätten sich in den Verhandlungen über die Schmerzgrenze hinaus bewegt, betonte Özdemir. Jetzt stelle sich die Frage, ob diese Verantwortung für das Land für alle gelte - "denn nur dann wird's funktionieren". Die Verhandlungspartner von Union und FDP müssten sich fragen, ob der französische Präsident Emmanuel Macron ab jetzt versuchen solle, "die Kohlen aus dem Feuer zu holen, weil Deutschland ausfällt". Wolle die Politik handlungsfähig sein, bedeute dies, "dass man nicht mit Maximalforderungen reingehen kann", sagte Özdemir beim Eintreffen zu den entscheidenden Sondierungen.

Rückschläge wegen Uneinigkeit

Vor Beginn der Beratungen am Sonntag war die Lage verfahrenen. Immer wieder wurden tatsächliche oder angebliche Kompromissvorschläge gemacht, die dann zum Teil wieder in Frage gestellt wurden. Nach der Runde am Samstag hieß es in Teilnehmerkreisen, es hänge beim Streitpunkt Migration vor allem an der Regelung für den Familiennachzug von Flüchtlingen. Wenn hier eine Lösung gefunden werden könne, sei auch das Thema Klimaschutz und Energiepolitik lösbar. Der Klimaschutz und der Umgang mit Kohlekraftwerken sind für die Grünen besonders wichtig, die Begrenzung der Zuwanderung für die CSU.

Dem Vernehmen nach haben die Grünen der CSU beim Thema Zuwanderung ein Kompromissangebot gemacht. Demnach soll die Zahl von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr als flexibler Rahmen gelten. Die Grünen betonen, dass diese Zahl seit der Wiedervereinigung nur in fünf Jahren überschritten worden sei. "Deswegen wollen wir in diesem Rahmen auch in Zukunft handeln, gerade mit Blick auf die Integrationsmöglichkeit in den Kommunen." Dieses Angebot gelte aber nur, wenn sich auch die CSU bewege. Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus dürfe nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, wie dies bislang vor allem die CSU fordert.

Streitpunkt Familiennachzug

Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) forderte seine Partei auf, einen uneingeschränkten Familiennachzug für Flüchtlinge zu ermöglichen. Ehe und Familie seien auf Dauer angelegt, Ehemann und -frau gehörten zusammen und Kinder zu ihren Eltern. Das gelte immer und überall, unabhängig von Staatsangehörigkeit, Religion und Zahl der Betroffenen, schrieb er in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.

Die große Koalition hatte den Familiennachzug für Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus für zwei Jahre bis März 2018 ausgesetzt. Die Grünen verlangen, dass er anschließend wieder zugelassen wird. Die CDU und vor allem die CSU lehnen dies ab.

CSU-Chef Seehofer unterstrich, man wolle "Humanität und Ordnung mit einer Begrenzung der Zuwanderung". Er nahm damit in Teilen eine Formulierung der Grünen auf. Diese sprechen in der Migrationspolitik stets von dem Zweiklang aus Humanität und Ordnung.

Klima- und Soli-Debatten

Die CSU wolle darüber hinaus - ähnlich wie CDU und FDP - einen schrittweisen Abbau des Solidaritätszuschlages und eine kleine Einkommensteuerreform, die insbesondere Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen helfen solle. Der dritte, seiner Partei sehr wichtige Punkt sei eine starke Förderung von Familien und Kindern, sagte der CSU-Vorsitzende.

Beim Ringen um das Einhalten der Klimaziele spitzt sich die Debatte auf die Frage zu, ob die Kohleverstromung in einer Größenordnung von höchstens fünf oder sieben Gigawatt reduziert wird. Die Grünen hatten eine Reduzierung um acht bis zehn Gigawatt gefordert. Union und FDP wollten ursprünglich nur drei bis maximal fünf Gigawatt zugestehen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bot dann sieben Gigawatt an. Die FDP schlug dem Vernehmen nach vor, fünf Gigawatt bis 2020 abzuschalten und die Reduzierung weiterer zwei Gigawatt im Regierungshandeln offen zu prüfen.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte mit Blick auf Äußerungen aus der FDP, um 18 Uhr am Sonntagabend müsse Schluss sein: "Wir verhandeln so lange, wie (es) nötig ist. So ein schwieriges Projekt wird man nach so vielen Wochen, nach so einer langen Anlaufzeit jetzt bestimmt nicht nach der Stechuhr machen können." Auch Seehofer sagte zu Beginn der Beratungen: "Ich glaube, wir brauchen ein Stückchen mehr Zeit als bis 18 Uhr." Einige Teilnehmer wollten auch nicht ausschließen, dass bis in die kommende Woche hinein verhandelt werde.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief alle Seiten auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Es bestehe kein Anlass für "panische Neuwahldebatten". Der Welt am Sonntag sagte Steinmeier: "Wenn jetzt von den Jamaika-Verhandlern hart um große Fragen wie Migration und Klimaschutz gerungen wird, muss das kein Nachteil für die Demokratie sein."

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