Kaufen bis zur Pleite: Jeder zehnte Nürnberger ist überschuldet

25.2.2016, 11:00 Uhr
Shoppen bis es zu viel ist: Auch in Nürnberg gibt es viele Menschen, die überschuldet sind. Sehr viele sogar.

© Viola Bernlocher Shoppen bis es zu viel ist: Auch in Nürnberg gibt es viele Menschen, die überschuldet sind. Sehr viele sogar.

Drei. Zwei. Eins. Meins! Nichts ist einfacher als im Internet einzukaufen. Es geht schnell, es geht einfach. Und wenn dann noch Ratenzahlungen auf Basis einer Finanzierung ohne Zinsen angeboten werden, muss man doch zugreifen. Das Problem dabei: Viele beherrschen das Einmaleins des Umgangs mit Geld nicht. Der Überblick geht verloren und schnell türmen sich auch bei kleinen Raten Schulden auf, die sich nicht mehr abtragen lassen.

Fast 46.000 erwachsene Menschen in Nürnberg haben dieses Problem. Sie können ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Bei einer Bevölkerungszahl von rund 500.000 Einwohnern heißt das, dass gut jeder zehnte Nürnberger Bürger als überschuldet gilt. In Fürth sieht es nicht besser aus, während in Schwabach "nur" etwa jeder 14., in Ansbach jeder 15. und in Erlangen sogar nur etwa jeder 17. seine Rechnungen auf absehbare Zeit nicht mehr begleichen kann. Das ist das Ergebnis der Erhebungen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform – zusammengefasst im "Schuldner-Atlas". Die regionale Auswertung stellte gestern Axel Walter, Mitglied der Geschäftsleitung, vor.

Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt sind die Nürnberger nur leicht häufiger verschuldet. Aber sie liegen weit über dem bayerischen Mittelwert. Im Freistaat – mit Baden-Württemberg "das Tal der Glückseligen" – ist nach der Definition von Creditreform nur rund jeder 14. Erwachsene in dieser misslichen Lage. Als überschuldet gilt demnach, wer in den kommenden zwölf Monaten seine Kredite nicht bedienen kann.

Südliche Stadtteile schneiden schlechter ab

Richtig düster sieht es in einigen Nürnberger Stadtteilen aus: "Zweifelhafte“ Spitzenreiter bei der Verschuldung sind Gostenhof und St. Lorenz, wo fast jeder fünfte Erwachsene Probleme hat, seine finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Dagegen trifft es in Thon, Herpersdorf oder Kornburg nur jeden 20. Generell schneiden die südlichen Stadtteile schlechter ab. Walter führt das darauf zurück, dass diese beim Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft hinterherhinken: "Zu viele Spielcasinos, zu wenig High-Tech", fasst er zusammen. In Nürnberg gebe es auch im deutschen Städtevergleich noch sehr viele klassische Arbeitsplätze und etwa eine zu kleine digitale Gründerszene in der Innenstadt.

Hauptgrund für das Abrutschen Richtung Insolvenz ist nach wie vor der Verlust des Arbeitsplatzes – auch, wenn diese Fälle angesichts der annähernden Vollbeschäftigung in Deutschland seltener werden. Noch vor acht Jahren war Arbeitslosigkeit für 28 Prozent aller Überschuldungsfälle verantwortlich, im vergangenen Jahr nur noch für 18 Prozent – gefolgt von den Gründen "Trennung, Scheidung, Tod" und "Erkrankung, Sucht, Unfall".

Karriere auf der Liste der Verschuldungsgründe macht dagegen seit Jahren die "unwirtschaftliche Haushaltsführung": "Das Gros der Schuldner verliert irgendwann einfach den finanziellen Überblick", übersetzt Experte Walter. Es wird auf Pump gekauft und gekauft. Irgendwann ist das Geld weg, der Überziehungskredit aufgebraucht, und die Kredite laufen weiter.

Immer mehr Frauen verschulden sich

Dazu trägt das Online-Shopping ebenso bei wie TV-Kaufkanäle: "Dabei geht vielen Leuten das Gefühl verloren, was über den Ladentisch gegangen ist", ist Walter überzeugt. Und den schnellen Einkauf im Netz und am Fernsehschirm macht der Experte auch mitverantwortlich dafür, dass Frauen immer öfter in den Verschuldungsstatistiken von Creditreform auftauchen. Während die Überschuldung in der männlichen Bevölkerung in den vergangenen acht Jahren sogar etwas rückläufig war, legte sie bei Frauen zu.

Deutlich überrepräsentiert sind auch die Altersgruppen unter 40 Jahren. In der Gesamtbevölkerung deutlich in der Unterzahl, sind mehr als die Hälfte der überschuldeten Menschen jünger als 40. Eklatante Wissensdefizite beim Thema Geld und Finanzierung vor allem bei jüngeren Menschen sind ein Grund dafür. Walter fordert daher ein größeres Augenmerk auf wirtschaftliche Bildung und Aufklärung. Nur so lasse sich das Phänomen der Überschuldung eindämmen: "Das beginnt im Elternhaus und muss im Kindergarten und in der Schule weitergehen."

"Das Zinsumfeld vernebelt die Sinne. Die Null-Zins-Angebote sind fatal."

Hoffnungen setzt er auch auf ein Ende der niedrigen Zinsen: "Das Zinsumfeld vernebelt die Sinne. Die Null-Zins-Angebote sind fatal." Die Konsumeuphorie könne zudem Dämpfer erhalten, wenn sich das Wirtschaftsumfeld verschlechtere oder die politische Situation eskaliere. Beides wünscht er sich ausdrücklich nicht.

Denn ein deutliches Anziehen der Zinsen in Deutschland, womit Walter so schnell aber nicht rechnet, hätte auch gravierende negative Auswirkungen: "Das wird vor allem auf den Immobilienmarkt durchschlagen." Der ein oder andere Kredit mit niedriger Zinslast und einer kurzen Laufzeit könne nach einer Zinsanpassung von den Schuldnern nicht mehr gestemmt werden. "Niedrige Zinsen sind ein süßes Gift. Der Rückweg ist kalter Entzug", so der Experte.

Doch komplett pessimistisch ist auch der Schulden-Experte nicht: Denn für dieses Jahr sagt er bei Firmeninsolvenzen einen weiteren Rückgang voraus. Und der stabile Arbeitsmarkt und die sicheren Arbeitsplätze könnten auch bei den Privathaushalten für eine Entspannung sorgen. Wenn eine übertriebene Konsumlust die Hoffnungen nicht alle wieder zunichte macht. Denn dann heißt es für den Pleitegeier: Drei. Zwei. Eins. Meins!

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