Kommentar: Die Menschheit wächst, wir müssen umdenken

9.7.2018, 20:30 Uhr
Hunger zählt neben Krieg und Terror zu den häufigsten Fluchtursachen. Europa würde mit seiner Flüchtlingspolitik bisher jedoch lediglich die Symptome bekämpfen.

© dpa Hunger zählt neben Krieg und Terror zu den häufigsten Fluchtursachen. Europa würde mit seiner Flüchtlingspolitik bisher jedoch lediglich die Symptome bekämpfen.

Die Weltbevölkerung wächst jede Minute um 157 Menschen, das sind etwa 82,5 Millionen pro Jahr, also einmal die gesamte deutsche Bevölkerung. 2006 kamen "nur" 144 neue Erdenbürger pro Minute hinzu, sprich 76 Millionen jährlich. In diesen Zahlen steckt eine Dynamik, die jedem, der rechnen kann, sofort klarmacht: Wenn wir nicht rasch etwas ändern, bekommen wir ein ganz gewaltiges Problem.

Mehr Menschen benötigen mehr Ressourcen. Salopp gesagt, bräuchte die Menschheit eigentlich eine weitere Erde. Oder vielleicht sogar besser gleich zwei oder drei: "Machen wir so weiter wie bisher", schrieb die Umweltorganisation WWF bereits 2014 in einem Essay, "benötigen wir im Jahr 2030 zwei komplette Planeten. Bis zum Jahr 2050 wären es knapp drei Erden."

Knackpunkt Verteilung

Die damit verbundenen Probleme werfen eine ganze Reihe von Fragen auf, allen voran die nach der Ernährung: 2050 leben laut konventionellen Schätzungen rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde - können wir die überhaupt noch ernähren? Die Antwort: Ja, das können wir, wenn wir etwas unternehmen. Abgesehen von ganz akuten Krisen wegen Dürreperioden oder anderen Naturkatastrophen ist Hunger nämlich stets nichts anderes als ein Verteilungsproblem.

Es muss sich vieles ändern in unseren Köpfen und an unseren Gewohnheiten. Würden wir uns alle ernähren wie die Inder, also überwiegend vegetarisch, könnten auf der Welt ohne viel großes Zutun jetzt schon einige Milliarden mehr Menschen als jetzt satt werden. Hierzulande werden gern Schnitzel verzehrt. Da ist per se nichts dagegen zu sagen, aber man sollte sich bewusst sein: Nimmt man die Anbaufläche, die für das Schweinefutter gebraucht wird und pflanzt darauf Getreide oder Bohnen an, könnten mit den auf diese Weise produzierten Lebensmitteln sechs Menschen satt werden, statt nur dem einem, der sich das Schnitzel brät. Bei Rindersteaks ist dieses Verhältnis noch krasser.

Afrika am meisten vom Klimawandel bedroht

Das ist insofern ein Problem, als sich die Essgewohnheiten weltweit ändern. Der allmählich wachsende Mittelstand in Schwellen- und Entwicklungsländern beginnt, sich an unseren Ernährungsgewohnheiten zu orientieren und sie zu imitieren: Die Menschen konsumieren mehr Fleisch und industriell verarbeitete Lebensmittel. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird es schwerer werden, eines Tages die gesamte Weltbevölkerung satt zu kriegen.

Kann man den erhöhten Bedarf an Nahrungsmitteln durch verbesserte Anbaumethoden oder den Einsatz von Dünger und Chemie ausgleichen? Man kann, aber nicht langfristig. Denn diese Maßnahmen führen zu einem erhöhten Verbrauch von Ressourcen (vor allem Wasser, was ohnehin knapper wird) sowie zu höherem Energieverbrauch und einer steigenden Belastung für die Umwelt. Hinzu kommt, dass wir durch den fortschreitenden Klimawandel potenzielle Anbauflächen verlieren werden. Nach Einschätzungen des Weltklimarats ist Afrika der durch dieses Phänomen am meisten bedrohte Kontinent.

Der Flächenbrand lodert

Wieso uns das etwas angeht? Weil Hunger und Bevölkerungsdruck neben Krieg und Terror die Hauptfluchtursachen sind. Europa bekämpft mit seiner sogenannten Flüchtlingspolitik bloß die Symptome, anstatt den Flächenbrand zu löschen, der die Menschen in Afrika und Teilen Asiens erst dazu bewegt, ihr Heil in der Flucht zu suchen.

Auf diesem Planeten sind wir viele, und unser aller Schicksal ist miteinander verbunden. Es ist höchste Zeit, dass die Politik mit Blick auf die wachsende Menschheit gegensteuert und vorausschauend handelt, etwa mit Klimaschutzmaßnahmen und gerechteren Strukturen im Welthandel. Wer die Aussicht auf ein bescheidenes Auskommen, Gesundheit und Glück für seine Familie hat, hat letztlich keinen guten Grund, sein Land zu verlassen.

Verwandte Themen


28 Kommentare