Kommentar: Doch kein Brexit? Zu früh für Optimismus

15.11.2018, 11:54 Uhr
Die britische Premierministerin Theresa May muss ihr Verhandlungsergebnis in den eigenen Reihen durchsetzen - momentan stößt sie vor allem auf Ablehnung.

© Thierry Roge/BELGA/dpa Die britische Premierministerin Theresa May muss ihr Verhandlungsergebnis in den eigenen Reihen durchsetzen - momentan stößt sie vor allem auf Ablehnung.

Wer sich bei den Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU durchgesetzt hat, lässt sich an den ersten Reaktionen am Abend und folgenden Morgen nach Bekanntgabe des Brexit-Deals ablesen: Auf EU-Seite ist von "Erleichterung" die Rede, von einem großen Schritt nach vorne, von einem vernünftigen Ergebnis, mit dem man arbeiten könne. Der irische Premierminister, dessen Insel wegen der Grenze zum britischen Nordirland besonders betroffen ist, hat ebenfalls schon seine Zustimmung erklärt.

Besonders wichtig war der EU und Irland der "Backstop", der eine möglicherweise unbefristete Übergangszeit vorsieht, in der die Briten sich weiter an EU-Regeln halten und in den Haushalt der Gemeinschaft einzahlen müssen, bis die irische Grenzfrage endgültig geklärt ist. So weit, so erfolgreich die EU-Verhandler um den Franzosen Michael Barnier.

Fast alle gegen May

Ganz anders ist das im Königreich selbst: Während Premierministerin Theresa May und ihre verbliebenen Anhänger versuchen, die eigenen Reihen auf den "bestmöglichen Deal" einzuschwören, hagelt es Kritik und erste Rücktritte. Brexit-Minister Dominic Raab hat hingeworfen, ebenso der für Nordirland zuständige Staatssekretär Shailesh Vara. Bei Mays Konservativen brodelt es, die nordirische DUP, ohne die May im Parlament keine Mehrheit hat, schäumt.

Doch damit nicht genug: Auch die oppositionelle Labour-Partei könnte gegen Mays EU-Ausstiegs-Vertrag stimmen - in der Hoffnung, ein neues Referendum herbeizuführen und so am Ende den Brexit abzuwenden. Sozialdemokratische Abgeordnete fordern in einer Petition, die minütlich mehr Unterstützer findet, dass ihr eher EU-skeptischer Parteichef Jeremy Corbyn sich an die Spitze der Bewegung für eine zweite Volksabstimmung setzt. Der Labour-Politiker und Schatten-Brexit-Staatssekretär Keir Starmer erklärte, man habe jede der über 500 Seiten gelesen und komme zu dem Schluss, dass die britischen Verhandler "furchtbar" versagt hätten.

Die Liberaldemokraten sind ebenfalls gegen den Entwurf.

Schottland will bei Brexit einen Sonderstatus

Und dann gibt es da noch die Schotten: Sie wollten von Anfang an in der EU bleiben. Auch deren Brexit-Beauftragter, der SNP-Politiker Michael Russell, wendete sich gegen den jetzigen Vertragsentwurf. Wenn Nordirland einen Sonderstatus gegenüber der EU erhalte, müsse Schottland diesen auch bekommen, so seine Forderung.

Eine Mehrheit für May erscheint momentan so gut wie ausgeschlossen. Unklar ist, wie es weitergeht, sollte ihr Deal im Parlament tatsächlich abgelehnt werden. Vermutlich wird die Premierministerin in diesem Fall zurücktreten und den Weg für Neuwahlen freimachen. Labour müsste dann, notfalls ohne Corbyn, voll auf die EU-Karte setzen und für ein neues Referendum werben. Jüngsten Umfragen (hier eine weitere) zufolge hätte ein Ja zum EU-Verbleib nun, zwei Jahre nach der Brexit-Abstimmung, gute Chancen auf eine Mehrheit.

Realität schlägt Populismus

Die Türen der EU, das betonen Spitzenpolitiker in Brüssel und den Hauptstädten der 27 übrigen Mitglieder, stehen den Briten weiter offen. Der Fast-Brexit könnte dann in die Geschichte eingehen als Beispiel dafür, dass haarsträubender Populismus à la Brexit-Guru Boris Johnson zwar beträchtlichen Schaden anrichten kann, schließlich aber doch vor der komplizierten Realität kapitulieren muss. Allerdings: Für Optimismus unter EU-Freunden ist es - auch das zeigt die Brexit-Geschichte mit ihren vielen Wendungen - noch zu früh.

 

 

Verwandte Themen


7 Kommentare