Kommentar: Schock, Angst und viele Fragen

26.7.2016, 12:00 Uhr

Auch wir würden lieber über anderes berichten. Schöne Reportagen müssen immer wieder verschoben werden, weil die Realität meist in den Abend- oder Nachtstunden hineinkracht in unseren Alltag. Und wir versuchen, die Hintergründe dieses Horrors möglichst umfassend, sachlich und ohne fahrlässige Zuspitzungen aufzuzeigen.

Würzburg: wohl die Tat eines sehr rasch radikalisierten jungen Mannes, der gnadenlos blindlings im Regionalzug zuschlug. Bei Motiven und Hintergründen dieses Anschlags, auch bei der Herkunft des Täters - Afghanistan oder nicht? - gibt es noch offene Fragen. Dass sich der IS diese Tat zurechnete wie auch nun und relativ spät den Anschlag von Ansbach, das allein ist noch kein klarer Beleg.

München: offenbar die hasserfüllte Verzweiflungstat eines psychisch kranken jugendlichen Deutsch-Iraners, penibel vorbereitet. Auch da stellen sich Fragen: Hatte wirklich niemand Einblick in das, was der 18-Jährige vorhatte? Wie kam er so leicht an die Waffe? Helfen schärfere nationale Gesetze, wenn Teile des weltweiten Internets längst ein völlig rechtsfreier Raum sind?

Und nun Ansbach: Der Schrecken ist sehr nah, der Terror hat Franken erreicht. Diesmal kann, muss man wohl von Terror reden. Zu eindeutig scheinen die ersten Erkenntnisse über einen islamistischen Hintergrund des Täters, der womöglich zur Mörderbande des IS gehörte.

Ein anderes Kaliber

Mit dem Begriff "Terror" ist vorsichtig umzugehen. Er ist, auch wenn dies für die Opfer und ihre Angehörigen eine akademisch bis zynisch klingende Feststellung ist, ein anderes Kaliber als Amokläufe. Es gibt meistens Hintermänner und Drahtzieher, Geldgeber und Waffen- oder Sprengstoff-Beschaffer.

Und es gibt Geheimdienste, die für die Beobachtung der Terroristen-Szene samt des Umfelds zuständig sind. Da werden sich die Verantwortlichen unangenehmen Fragen stellen müssen nach dem Anschlag von Ansbach: Gab es wirklich keinerlei Hinweise auf eine mögliche Verstrickung des Syrers? Erkannte niemand bei den Fahndern oder auch bei den Betreuern, was er da auf sechs verschiedenen Facebook-Accounts an Hass hinausposaunte ins Netz?

Dabei hatte Ansbach unheimlich viel Glück in der Katastrophe. Wäre der Sprengsatz so verheerend explodiert, wie es wohl die Absicht des Täters war - Mittelfrankens beschaulicher Regierungssitz hätte viele Tote betrauern müssen.

Doch der Schock bleibt und mit ihm wächst die Angst. Die Lage hat sich durch die Taten verändert: Vor Würzburg, vor Ansbach wurde stets nur festgestellt, dass es Terror wie in Paris, Nizza etc. natürlich auch bei uns in Deutschland geben könne. Nun hat es ihn gegeben, und zwar vor der Haustür. Da mögen Psychologen und Statistiker noch so oft die richtige Rechnung aufstellen, dass es sehr viel wahrscheinlicher ist, bei einem Verkehrsunfall zu sterben als bei einem Anschlag - das stimmt zwar, aber es erreicht die Herzen und aufgewühlten Seelen vieler Menschen angesichts der Fülle an Schockmeldungen binnen weniger Tage nicht.

Brutales "Rendezvous"

Von einem "Rendezvous unserer Gesellschaft mit der Globalisierung" sprach Finanzminister Schäuble mit Blick auf die Zuwanderungswelle vom Herbst 2015. Jetzt zeigt sich: Das Rendezvous ist brutal, denn zu dieser Globalisierung gehören auch ihre fürchterlichen Seiten: Terror, Gewalt und Schrecken, verübt von Verzweifelten, Kranken, Fanatikern. Selbstmordattentate kannten wir bisher aus Syrien, Irak, Afghanistan etc. - und nahmen sie angesichts des Gewaltstrudels, in dem diese Staaten versinken, kaum mehr wahr.

Nun ist so etwas bei uns passiert, ganz nah. Da zeigen sich exakt die Risiken und Nebenwirkungen jener phasenweise unkontrollierten Zuwanderung, die sich in dieser chaotischen Form nicht wiederholen darf. Das ist die andere Seite jener manchmal zu leichtfertigen, aber menschenfreundlichen "Willkommenskultur".

Wird diese Humanität in Frage gestellt durch Würzburg, durch Ansbach? Das wäre die falscheste Schlussfolgerung, die den Vereinfachern Recht geben würde: Es gibt Verbrecher unter den Flüchtlingen. Einige haben diese Welle genutzt, um nach Deutschland zu gelangen, auch mit dem Ziel, hier Gewalt zu verüben. Eine schlimmere Verhöhnung des Grundrechts auf Asyl kann es nicht geben. Da müssen die Behörden, soweit möglich, genauer hinschauen, harte Schnitte ziehen.

Doch Schnellschüsse der Politik helfen nicht. Es muss sich auch nicht zu jedem Gerücht, zu jeder Parole im Netz gleich die Kanzlerin äußern, die tut, was viele versäumen, was aber unerlässlich ist vor öffentlichen Äußerungen: abwarten, bis sich Sachverhalte klären.

Und dass die allermeisten Flüchtlinge keine Terroristen sind, sondern vor genau solchen Verbrechern flohen, das ist oft geschrieben worden. Aber, auch das zeigt der Hass im Netz: immer noch nicht oft genug.


Hier geht es zum News-Ticker zum Attentat von Ansbach.


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