LEITARTIKEL: Nur reden hilft nicht

5.12.2016, 20:13 Uhr

Die Erleichterung über den Ausgang der Präsidentenwahl in Österreich und die Nicht-Wahl des Rechtspopulisten Norbert Hofer hat nur wenige Stunden angehalten. Umso heftiger fiel der Schock über die krachende Niederlage von Italiens Regierungschef Matteo Renzi bei dem von ihm initiierten Verfassungsreferendum aus. Mit einem solchen Ausmaß des Debakels hatten nur wenige gerechnet.

Ob die Krise auf Italien begrenzt werden kann, ist kaum mehr als eine Hoffnung. Die Börsen pendelten sich nach ersten nervösen Ausschlägen zwar wieder ein, doch wäre es ein Fehler, die Warnzeichen zu übersehen. Das „No“ der Italiener könnte die gesamte Eurozone wieder in Turbulenzen führen.

Die Reaktionen in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten hören sich an wie das Pfeifen im Walde. Das sei eine inneritalienische Regierungskrise, keine Staatskrise und schon gar kein europäisches Desaster, lauten die Beschwörungsformeln. Doch wenn in Rom jetzt nicht klug reagiert wird, kann das ohnehin angeschlagene Krisenland Italien schnell ganz dicht am Abgrund stehen. Und ein Absturz eines solchen Großkalibers wie Italien wäre für den Euroraum eine ganz andere Herausforderung als die Stabilisierung des viel kleineren Dauerpatienten Griechenland.

Keine Betroffenheitslyrik

Mit Betroffenheitslyrik über den Zulauf zu den Populisten ist dabei niemandem gedient. Schon im Fall Österreich darf man die Frage stellen, ob man wirklich von einer Niederlage der FPÖ sprechen kann, wenn ihr Kandidat knapp an die 50-Prozent-Marke herankam. Und das in einem Land, dem es wirtschaftlich relativ gut geht.

Auch Renzis Schlappe ist erklärungsbedürftig. Die Wirtschaftsdaten waren noch schwach, zeigten aber nach oben. Es wurden neue Jobs geschaffen, es gab erstmals wieder einen Exportüberschuss. Doch all das wurde erkauft durch Sozial- und Lohnkürzungen. Vor allem das erklärt, warum die Stimmung am Ende so stark gegen Renzi ausschlug. Bei den Leuten kam der Wirtschaftsaufschwung nicht an. Ein Muster, das in den USA auch Donald Trump zum Sieg führte.

Seit dessen Sieg ist allenthalben auch in Europa zu hören, man müsse endlich die Sorgen und Nöte der einfachen Leute ernst nehmen. Was dies konkret heißen soll, bleibt in aller Regel ungesagt.

Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört, dass das Projekt Europa in den vergangenen 15 bis 20 Jahren zunehmend zu einer neoliberalen Veranstaltung geworden ist. Alles wurde den Interessen der Großkonzerne untergeordnet. Die soziale Kluft wurde immer größer. Nicht nur Facebook, Google, Apple und Ikea zahlen praktisch keine Steuern mehr. Auch deutsche Konzerne wie Siemens, die Lufthansa und viele andere nutzen die Steuerschlupflöcher weidlich aus.

Spaltung in Deutschland

Selbst nach dem Bankencrash von 2007/8 wurde nicht wirklich eine scharfe Kursänderung vollzogen. In einem reichen Land wie Deutschland ist die soziale Spaltung tiefer, ist das Armutsrisiko etwa für Alleinerziehende größer als in Ländern, die weit weniger Wohlstand aufhäufen.

Wer in dieser Situation so tut, als erklärte sich der Zulauf zur AfD in Deutschland und zu den anderen Rechtsnationalisten in Frankreich, den Niederlanden oder andernorts vor allem mit der Ablehnung des hohen Zuzugs von Flüchtlingen, belügt sich selbst oder andere.

Das ist ein gewichtiger Faktor, gewiss. Doch die Populisten haben nicht nur in Italien auch Zulauf von Leuten, die nicht ausländerfeindlich sind und die nicht zu den Abgehängten gehören. Es sind viele darunter, die die offenkundige Gerechtigkeitslücke in unseren Gesellschaften nicht mehr hinnehmen wollen. Das muss jetzt unser Thema sein. Die Rechtspopulisten sind nur das Symptom. Die Ursache ist etwas ganz anderes.

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