Menschenrechte? Erdogan testet Grenzen wie ein Kleinkind

19.7.2017, 16:19 Uhr
Führt sein Land zurück in eine düstere Vergangenheit: Präsident Recep Tayyip Erdogan.

© dpa Führt sein Land zurück in eine düstere Vergangenheit: Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Es ist schon paradox: Präsident Recep Tayyip Erdogan hat einmal dazu beigetragen, dass die Türkei aufblühen konnte. Nachdem er 2003 Ministerpräsident wurde, setzte er viele politische Reformen durch, die Wirtschaft wuchs kräftig, der Beitrittsprozess mit der Europäischen Union kam in Gang. Die Mittelschicht wurde größer, die Bildungsstandards höher. Jetzt wickelt Erdogan all diese Errungenschaften wieder ab. Damit setzt er die Zukunft der Türkei aufs Spiel - und auch seine eigene.

Wer im Ausland lebende Türken dazu aufruft, in der Heimat Urlaub zu machen, wie Erdogan es im Februar tat, muss schon ziemlich verzweifelt sein. Und tatsächlich: Die wichtige Tourismusbranche darbt angesichts von Anschlägen und politischer Unsicherheit, die Arbeitslosigkeit steigt, die Lira verliert an Wert. Die Türkei steuert rapide auf eine Wirtschaftskrise zu. So eine Krise aber würde die Machtbasis der Staatsführung ins Wanken bringen: Je unzufriedener die Bevölkerung, desto williger ist sie, zu protestieren - und desto stärker muss Erdogan genau das mit Drohungen und Unterdrückung verhindern. Ein Teufelskreis, den man aus Diktaturen kennt.

Seit dem Putschversuch im vergangenen Jahr hat Erdogan 150.000 Beamte entlassen und Zehntausende angebliche Landesverräter und Terrorunterstützer festnehmen lassen. Die Gefängnisse quellen über. Inzwischen sitzen auch etliche Deutsche dort ein - seit neuestem der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner. Das Parlament will die Todesstrafe wieder einführen. Das alles erinnert erschreckend an die Zeit nach dem Militärputsch in den 1980er Jahren. 

Erdogan testet seine Grenzen wie ein Kleinkind

Der Bundesregierung fällt bisher leider nicht viel dazu ein. Sie mahnt und kritisiert, spricht von "größter Besorgnis" und zieht Soldaten ab (wegen des Besuchsverbots deutscher Abgeordneter auf der Basis Incirlik). Aber das wird Erdogan nicht beeindrucken, im Gegenteil: Je diplomatischer sich die Deutschen geben, desto mehr provoziert er - wie ein Kleinkind testet er seine Grenzen. Und Berlin lässt es zu.  Erdogan wähnt sich in Sicherheit, weil er teilweise am längeren Hebel sitzt - Europa und die Nato brauchen ihn, nicht nur beim Schutz der europäischen Außengrenze.

Es ist Zeit, dass die EU ihre Zusammenarbeit mit der Türkei überprüft und eine gemeinsame Strategie entwickelt. Denn eines sollten wir nicht vergessen: Die Türkei braucht Europa ebenso sehr. Darauf zu warten, dass die Wirtschaft kollabiert und Erdogan zum Umdenken zwingt, käme einer politischen Ohnmacht gleich.

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