Nach Schweiger-Shitstorm: Die hässliche Seite des Internets

24.7.2015, 06:00 Uhr
Til Schweiger geriet erst kürzlich ins Visier eines Shitstorms - die hässliche Seite des Internets.

© dpa Til Schweiger geriet erst kürzlich ins Visier eines Shitstorms - die hässliche Seite des Internets.

Ob Falko Schulz auch im wirklichen Leben Falko Schulz heißt, weiß man nicht. Dafür weiß die Welt, was Falko Schulz von Filmstar Til Schweiger hält: „ ... wenn du aber kein Hirn hast Til dann ganzeinfach fresse halten Du selbst bist der Hetzer gegen das Deutsche Volk man alter du lebst aber von das Deutsche Volk ..."

Man muss keine größeren Kenntnisse in deutscher Sprache und Rechtschreibung vorweisen können, um im Internet im Namen des deutschen Volkes seine Wut und Aggression abladen zu dürfen. Anlässe finden sich täglich reihenweise. Beispielsweise wenn Til Schweiger auf seiner Facebook-Seite einen Spendenaufruf des Hamburger Abendblatts zugunsten von Flüchtlingen postet.

Eine Welle von "Gutmenschen"-Verachtung, Häme und rassistischem Unrat spülte ihm das in die Kommentarspalte. Der Hass schwoll noch mehr an, als Schweiger zurückkommentierte und die Pöbler anraunzte: "Verpisst euch von meiner Seite, empathieloses Pack! Mir wird schlecht!!!"

Verliert das Internet sein Demokratisierungspotenzial?

 

 

Oh Mann- ich habs befuerchtet!! Ihr seid zum Kotzen! Wirklich! Verpisst Euch von meiner Seite, empathieloses Pack! Mir wird schlecht!!!󾮖🏻󾮖🏻󾮖🏻󾌽󾌽󾌽

Posted by Til Schweiger on  Samstag, 18. Juli 2015

 

Mit dem Medium Internet war einst eine aufklärerische Hoffnung verbunden. Freie Information für alle, unregulierte Kommunikation - das Netz schien eine demokratische Segnung zu sein. "Dieses Demokratisierungspotenzial ist zweifellos immer noch vorhanden", sagt die Bamberger Soziologie-Professorin und Internet-Forscherin Bernadette Kneidinger-Müller. Sie verweist auf die zentrale Bedeutung des Netzes bei der Organisation der Arabischen Revolution oder bei der selbst organisierten Hochwasserhilfe im Jahr 2013.

Und dennoch zeigt sich immer öfter auch das hässliche Gesicht des großen Freiheits-Mediums. In unzähligen Foren, auf all den Informationsportalen und in den sozialen Netzwerken wird täglich Hass und Häme kübelweise ausgekippt. Von allen Seiten.

Auch Dieter Nuhr geriet ins Visier

Da reicht auch ein Griechenlandwitz des Kabarettisten Dieter Nuhr („Meine Familie hat demokratisch abgestimmt: Der Hauskredit wird nicht zurückgezahlt. Ein Sieg des Volkswillens!“), und der Shitstorm bricht los. Ignorieren gilt nicht mehr als probates Mittel, wenn einem eine Meinung oder ein Witz nicht gefällt. Es muss beleidigt werden. Nuhr hat seine Erfahrungen mit Shitstorms kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Anlass genommen, das "digitale Mittelalter" auszurufen. "Die Primitivität und Aggression, mit der Andersmeinende im Internet verfolgt werden, scheint mir denselben psychologischen Mechanismen zu folgen, die früher zu Lynchjustiz und Pogromen führten."

Die Soziologin Kneidinger-Müller bestätigt: „Im Internet sinken die Hemmschwellen.“ Im realen Leben würden sich Menschen nicht derart beschimpfen. Ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen sei der raue Internet-Ton nicht.

Auch auf nordbayern.de gilt die Registrierungspflicht

"Es sind bestimmte Personengruppen mit einer besonderen Aggressivität, die sich vor allem zu Wort melden“, sagt Kneidinger-Müller. Und die Algorithmen im Hintergrund von Google und Facebook sorgen zu allem Überfluss dafür, dass die Nutzer sich von Menschen umgeben fühlen, die fast alle ihre Meinung teilen. Statt, wie es die Aufklärung lehrt, zu reflektieren und zu zweifeln, heißt das Motto: schneller und härter sein beim Kommentieren.

Schon allein aus rechtlichen Gründen - Beleidigung ist auch im Netz strafbar - haben Internet-Anbieter ihre Regeln nachjustiert. Auch auf nordbayern.de können Artikel nur noch kommentiert werden, wenn sich die Nutzer zuvor mit Mail- und Postadresse registrieren lassen. „Wer mit gefälschten Adressdaten auffällt, wird als User gesperrt“, sagt Matthias Oberth, Leiter von nordbayern.de. Diese Praxis habe dazu geführt, dass die Mehrzahl der Kommentare wieder sachlicher sei als in den Zeiten vor der Registrierpflicht.

Viel wäre wahrscheinlich auch schon gewonnen, wenn die Internet-Nutzer gelegentlich einen alten Satz von Dieter Nuhr beherzigen würden: "Man darf in der Demokratie eine Meinung haben, man muss aber nicht."

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