Nationale Einheit als Pflichtübung

24.7.2016, 17:00 Uhr
Nationale Einheit als Pflichtübung

© Horst Linke

Ein langes Podium haben sie aufgebaut in den Räumen des türkischen Unternehmervereins Müsiad am Plärrer. Zehn Herren drängen sich dahinter. Vertreter verschiedener Organisationen der in der Region lebenden türkischen Community. Als Symbol der nationalen Einheit in schweren Zeiten möchten die Veranstalter des Pressegesprächs diese Tafel gerne verstanden wissen. Eine leider nicht ganz erfüllte Sehnsucht.

Bis zum Vortag der Veranstaltung gehörte auch die CHP, die sozialdemokratisch-kemalistische Oppositionspartei des türkischen Parlaments, zu dem nach dem niedergeschlagenen Putsch vom 15. Juli geschmiedeten regionalen Bündnis. In letzter Minute sprang sie ab.

Konservative Kräfte

Jetzt ist das Podium zwar lang, das politische Spektrum aber nicht mehr gar so breit. Zwei Unternehmerverbände, der türkisch-islamische Moscheendachverband Ditib, Milli Görüş, die UETD — die Auslandsorganisation der Erdoğan-Partei AKP —, die Nationalisten von Türk Ocağı — es ist vor allem der konservative Flügel der türkischen Gemeinschaft, der in einer Erklärung die Niederschlagung des Putsches feiert. „Unsere Bevölkerung ist unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, ihrer politischen Anschauung, ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit auf die Straßen geströmt und hat sich für die Demokratie und für die Freiheit des Volkes eingesetzt.“

Das hätte auch die CHP mitgetragen. Aber einen Tag, bevor die Erklärung vorgestellt werden sollte, kam aus Ankara die Meldung vom erklärten Ausnahmezustand. Das war für die hiesigen Vertreter der größten Oppositionspartei Anlass, dann doch noch aus dem Bündnis auszusteigen.

So gut wie niemand unter den in Deutschland lebenden Türken trauert dem gescheiterten Putschversuch der Militärs nach. Lang nicht so groß ist die Einigkeit bei der Beurteilung all dessen, was sich seit dem 15. Juli in der Türkei zuträgt. Massenverhaftungen und Amtsenthebungen nicht nur im Militär, sondern auch in der Justiz, der Beamtenschaft, dem Bildungs- und Wissenschaftsbereich, Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Nationale Einheit als Pflichtübung

© Stefan Hippel

Für den Nürnberger Generalkonsul Yavuz Kül ist dies alles „die selbstverständliche Antwort eines Staates“ auf den Putschversuch einer „Terrororganisation“. Jeder andere Staat, meint Kül, würde in dieser Situation genauso handeln, „auch Deutschland“.

Nicht alle sehen das so gelassen. Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoğlu, berichtet von Drohanrufen und von einer auf Geheiß von Staatspräsident Erdoğan eingerichteten Telefon-Hotline, auf der man in Deutschland lebende Oppositionelle denunzieren könne. „Eine Lüge. Diese Hotline gibt es nicht“, sagt Yavuz Kül und ärgert sich darüber, dass auch in den deutschen Medien nur immer über die „Maßnahmen der Regierung“ berichtet werde, „als habe es zuvor gar keinen Putsch gegeben“.

Ängstliche Stimmung

Die Stimmung in der türkischen Gemeinde ist angespannt. Erdoğan-Gegner halten sich ängstlich zurück. „Wer momentan die Regierung oder Erdoğan kritisiert, gilt schnell als Terrorist und Putschistenfreund“, heißt es in der Community.

Ganz am linken Rand des Podiums beim Nürnberger Pressetermin sitzt Celal Gelgeç. Er ist in Fürth im ADD, einem Verein zur Förderung der Ideen Atatürks, aktiv. „Ich bin sonst der schärfste Kritiker Erdoğans“, sagt Gelgeç, „aber diese Erklärung unterzeichne ich auch.“ Einig gegen den Putsch. Zu den „Säuberungsaktionen“, Massenverhaftungen und Notstandsmaßnahmen sagt Celal Gelgeç an diesem Tag nichts.