Neue Statistik: Jeder fünfte Nürnberger lebt in Armut

24.2.2016, 15:44 Uhr
Der Armutsbegriff ist dehnbar. Eine neue Studie nennt nun dramatische Zahlen - alles nur Alarmismus?

© dpa Der Armutsbegriff ist dehnbar. Eine neue Studie nennt nun dramatische Zahlen - alles nur Alarmismus?

Ein Fliesenleger in Rente, der ohne Lebensmittel von ehrenamtlichen Tafeln nicht auskommt. Ein Rechtsanwalt, dessen Leben wegen Krankheiten aus dem Tritt gerät und der nur mit Hilfe eines Sozialdienstes wenigstens seine Wohnung behalten kann. Jugendliche, deren Chancen schon alleine durch ihr von Armut geprägtes Wohnviertel gering sind. Das sind die Schicksale, die der Armutsbericht 2016 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes nennt. Insgesamt sieht der Verband Deutschland trotz brummender Wirtschaft und Rekordbeschäftigung massiv von Armut betroffen.

Kritiker werfen Alarmismus vor

"Man ist in diesem reichen Deutschland nicht erst dann arm, wenn man unter Brücken schlafen oder Pfandflaschen sammeln muss", sagt Geschäftsführer Ulrich Schneider. Kritiker hatten ihm Alarmismus vorgeworfen. Denn die Armutsschwelle liegt für ihn bei 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens – bei einem Paar mit einem Kind unter sechs Jahren zum Beispiel 1651 Euro, bei einer Alleinerziehenden mit einem Kind bei 1192 Euro.

Auch der Nürnberger Sozialreferent sieht den Bericht kritisch. "Die Zahlen geben nur begrenzt die soziale Wirklichkeit wieder", meint Reiner Prölß, "zur Skandalisierung eignen sie sich nicht." Warum sich mit 20,8 Prozent die Armutsquote in Nürnberg noch einmal deutlich verschlechtert hat, kann sich der SPD-Politiker noch nicht erklären. Nur Bremen, Dortmund, Leipzig, Duisburg und Essen haben höhere Werte. München schneidet mit einer Quote von 9,4 Prozent klar besser ab als Nürnberg.

"Gibt zu viele prekäre Arbeitsverhältnisse in Nürnberg"

Stutzig macht Prölß vor allem die ebenfalls in dem Bericht ausgewiesene Quote der Langzeitarbeitslosen, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II bekommen. Sie ist in Nürnberg nur geringfügig von 11,8 auf 11,9 Prozent gestiegen und lag mit 13,7 Prozent im Jahr 2006 schon mal deutlich höher. "Dabei machen doch die Langzeitarbeitslosen den Löwenanteil der von Armut gefährdeten Menschen aus", meint Prölß.

Ein Widerspruch, den Harald Weinberg meint, erklären zu können. An ihm sehe man, so der Linken-Bundestagsabgeordnete aus Nürnberg, dass man Arbeit haben und trotzdem arm sein könne. "Es gibt zu viele prekäre und befristete Arbeitsverhältnisse in Nürnberg, die zu der hohen Armutsquote beitragen", so Weinberg.

Unbestritten ist, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Menschen in Deutschland mit Einkommen am Rande der Armut auskommen mussten. Vor zehn Jahren lag der Anteil der Menschen in betroffenen Haushalten noch bei 14 Prozent. Bis 2013 stieg er bis auf 15,5 Prozent an. Dann sank diese Quote erstmals wieder, wenn auch nur auf 15,4 Prozent. In absoluten Zahlen sind es mehr als zwölf Millionen Menschen, die arm im Sinne des Berichts sind.

Rentner stark betroffen

Betroffen ist fast jeder dritte Geringqualifizierte. Bei den Arbeitslosen sind es sogar 58 Prozent, den Alleinerziehenden 42 Prozent. Auch ein Fünftel der kinderreichen Familien hat geringere Haushaltseinkommen. Und 15,6 Prozent der Rentner – Tendenz steigend.

Drohen die Flüchtlinge den Verteilungskampf unter den von Armut bedrohten Gruppen zu verschärfen? Verbandsgeschäftsführer Schneider will das nicht gelten lassen. "Auch ohne Flüchtlinge haben wir eine Million Langzeitarbeitslose", sagt er. "Das Horrorszenario, wonach ausgerechnet die Flüchtlinge unseren Sozialstaat überstrapazieren, hat keine empirische Grundlage." Allerdings stammen die Zahlen aus dem Jahr 2014 - also aus der Zeit vor der großen Flüchtlingswelle.

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