Sechs Thesen für ein perfektes Rentensystem

24.8.2016, 14:18 Uhr
Sechs Thesen für ein perfektes Rentensystem

© Thomas Cook AG

Was braucht es, um unser Rentensystem zu retten? Sechs sehr subjektive Thesen, die nicht so radikal sind, wie sie klingen.

1. Mehr Umverteilung — und zwar über Steuern

Vor Kurzem haben wir auf der Titelseite vermeldet: Bis 2020 werde der jährliche Zuschuss des Bundes zur Rentenversicherung von heute 86,7 auf über 100 Milliarden Euro steigen. Das klingt nach sehr, sehr viel Geld. Trotzdem ist es gut so — damit werden schließlich Leistungen bezahlt, die Aufgabe einer Solidargemeinschaft sind.

Beitragsgelder müssen aber auch für Leistungen herhalten, für die die Rentenkasse eigentlich gar nicht zuständig ist — zum Beispiel die Mütterrente. Die „versicherungsfremden Leistungen“ kosten insgesamt mehr, als die Kasse aus Steuergeldern erhält. Schon die Überleitung der DDR-Rentenansprüche musste sie alleine schultern, was sie gehörig in Schieflage brachte. Eine rein politische Entscheidung, weil die Mittel eben reichten. Würden alle versicherungsfremden Leistungen aus Steuern bezahlt, hätte die Rentenkasse wieder mehr Spielraum. Der Beitragssatz müsste nicht so schnell steigen.

Aber das reicht nicht. Es braucht eine (auch) steuerfinanzierte Mindestrente — wie auch immer sie am Ende heißt —, die eine Sozialhilfe im Alter für alle, die jahrzehntelang eingezahlt haben, überflüssig macht.

Es gibt natürlich andere Wege: Die Schweiz hat einerseits keine Beitragsbemessungsgrenze, andererseits ist die Rentenhöhe gedeckelt. Reiche bekommen also später weniger, als sie eingezahlt haben — und tragen überdurchschnittlich zur Finanzierung der Renten bei. Das wäre in Deutschland aber kaum möglich: "Wir haben ein verfassungsrechtlich geschütztes Äquivalenzprinzip", betont SPD-Rentenexperte Martin Rosemann. Die Menschen müssten sich darauf verlassen können, dass die Rentenhöhe im Verhältnis zu ihren Beiträgen stehe.

Die Linke hält es dagegen für möglich, die Reichen auch bei den Beiträgen stärker zu belasten: „Wir wollen die Beitragsbemessungsgrenze im ersten Schritt drastisch erhöhen und irgendwann ganz abschaffen“, so deren rentenpolitischer Sprecher Matthias W. Birkwald.

2. Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln

Die Gleichung ist denkbar einfach: Wenn die Deutschen immer älter werden, beziehen sie immer länger Rente. Auf Dauer wird das nicht gutgehen. Es ist also unvermeidlich, dass die Altersgrenze, ab der man die volle Rente bekommt, steigt. Bisher ist vorgesehen, dass die Grenze bis 2029 auf 67 Jahre steigt. Unsere Lebenserwartung wird danach weiter ansteigen. Langfristig muss also auch die Altersgrenze weiter steigen.

Die Rente mit 70 gilt noch als Hirngespinst und Programm zur Förderung von Altersarmut - und heute wäre sie das auch. Aber in anderen Ländern ist es längst Konsens, die Renten an die Lebenserwartung zu koppeln, etwa in Schweden oder Dänemark. Auch Deutschland wird diesen Weg früher oder später einschlagen.

3. Die gesetzliche Rente endlich wieder stärken

Seit Jahrzehnten betreiben die deutschen Regierungen einen Raubbau an der gesetzlichen Rentenversicherung. Das sieht man am sinkenden Rentenniveau: Das Verhältnis der Rentenhöhe zu den Gehältern soll bis 2030 auf 43 Prozent sinken. Heute liegt es bei 48 Prozent - ohne zusätzliche Versicherungen oder etwa Witwenrenten reicht die gesetzliche Altersvorsorge also oft schon kaum fürs tägliche Leben. Selbst Peter Weiß von der CDU sagt: "Ich glaube, dass es ein Fehler, war, das Rentenniveau sinken zu lassen, ohne vorher eine Grenze zu ziehen". SPD-Chef Sigmar Gabriel will nun das Rentenniveau auf dem heutigen Stand halten. Die Linken fordern eine Erhöhung auf 53 Prozent.

Denn das Umlageverfahren, das die Beiträge der Jüngeren quasi direkt an die Rentner ausschüttet, hat sich bewährt. Es hat der Finanzkrise getrotzt und bisher auch der demografischen Entwicklung, auch Nullzinsen und Börsen-Panik machen ihm viel weniger zu schaffen als den privaten Versicherungen.

4. Keine Subventionen für die private Versicherungswirtschaft

Alle Bundesregierungen seit Rot-Grün haben immer das gleiche Mantra wiederholt: Private Vorsorge lohnt sich. Auch SPD und Union rücken nicht davon ab. Nur haben inzwischen etliche Studien bewiesen, dass das meistens nicht stimmt. Der Großteil der Riestersparer wird sogar weniger herausbekommen, als er eingezahlt hat. Außerdem fließt ein erheblicher Teil der staatlichen Förderung erstmal als Provision an Versicherungsmakler oder wird von den Konzernen als Gebühr eingestrichen. Ganz abgesehen davon, dass die Verwaltungskosten rund 20 Prozent der Beiträge verschlingen. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung ist es nicht einmal ein Zehntel davon.

Es gibt keinen vernünftigen Grund, private Rentenprodukte zu subventionieren. Wer zusätzlich privat vorsorgen möchte, kann das natürlich tun — aber ohne Geld vom Staat. Und: Wer weniger für Riester und Co. aufbringen muss, kann auch eine Beitragserhöhung verkraften, die unser gesetzliches System stärkt.

Wohin es führen kann, wenn ein Land hauptsächlich auf private Zusatzversicherungen setzt, zeigen die Briten: Schon ihre gegenwärtige Rentnergeneration hat durch dieses "Jeder-für-sich"-System das europaweit höchste Risiko für Altersarmut.

5. Staatlich organisierte Betriebsrente einführen

Nie alles auf ein Pferd zu setzen, ist eine uralte Weisheit aus der Finanzwelt — und sie gilt auch für die Rente. Die zweite Säule des Rentensystems sollte aber nicht die private, sondern eine kollektive und verpflichtende betriebliche Altersvorsorge sein.

Dafür könnte man die alte Idee eines staatlich organisierten Rentenfonds wieder auspacken — und sie tatsächlich mal umsetzen. Jeder Arbeitnehmer berappt einen bestimmten Prozentsatz seines Einkommens, außer, er widerspricht ausdrücklich ("Opt-out"). Der Arbeitgeber leitet diesen Beitrag an die gesetzliche Rentenkasse weiter, auf dem gleichen Weg wie die „normalen“ Rentenbeiträge. Der Fonds legt die Beiträge ohne eigene Gewinninteressen an.

Die hessische Landesregierung bringt so ein Modell derzeit unter dem Titel „Deutschlandrente“ aufs Tapet — und erntet viel Zustimmung. Die Betriebsrenten per Tarifvertrag zu regeln (wie es das Arbeitsministerium erwägt), hätte dagegen einen gravierenden Nachteil: Viele Firmen haben sich längst aus der Tarifbindung verabschiedet.

6. Eine Kasse für alle

Österreich hat sie, genauso wie Dänemark, Schweden und die Schweiz: Eine Rentenkasse, in die alle einzahlen müssen, vom Manager über den Beamten bis zum Selbstständigen. Noch ist das hierzulande undenkbar: Um das steuerfinanzierte Pensionssystem anzutasten, müsste der Bundestag eine Zweidrittel-Mehrheit finden — und die große Koalition ist dagegen. Ihr Einwand ist ja richtig: Wenn mehr Menschen mehr Beiträge zahlen, muss die Rentenkasse später höhere Zahlungen leisten. Zumindest kurz- und mittelfristig hätte die Eingliederung aber einen positiven Effekt, wie Forscher errechnet haben.

In Deutschland bewegt sich immerhin etwas: Selbstständige sollen bald verpflichtet werden, fürs Alter vorzusorgen. Die Union diskutiert noch, ob es vielleicht auch eine Riesterrente sein darf — die Grünen fordern zu recht, angesichts von Niedrigzinsen und hohen Verwaltungskosten komme nur die gesetzliche Rentenkasse infrage.

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