Selbstversuch: So funktioniert Autofasten auf dem Land

28.2.2017, 19:37 Uhr
Selbstversuch: So funktioniert Autofasten auf dem Land

© Archivfoto: Horst Linke

"Entschuldigung, wissen Sie, wann der nächste Bus fährt?" "Jetzt gleich", heißt es. Ich höre Musik, genieße die Sonnenstrahlen, die sich durch die dichte Baumkrone drängen. Der Bus kommt – nach einer Stunde. Undenkbar hierzulande. Doch in Costa Rica gibt es keine Fahrpläne und erst recht keine (deutsche) Pünktlichkeit im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Lässt mich der Bus oder Zug in Franken ungeduldig werden, denke ich entspannt an jene Erlebnisse in Mittelamerika zurück.

Hier in Deutschland ist das Auto aber zunächst mein ständiger Begleiter. Zuverlässig bringt es mich ins 30 Kilometer entfernte Bamberg zum Studieren, abends zu Freunden nach Nürnberg. Ein Tank in der Woche verpufft schnell. Inklusive Versicherung, Reparaturen und Kaufpreis summiert sich das fix auf ein paar hundert Euro monatlich. Mein scheinbar autoabhängiges Schicksal will ich einer Probe unterziehen.

Ich tausche meinen Kleinwagen gegen den ÖPNV. Geht es nach der Idee des Umweltbundesamtes, sollen das mit der beginnenden Fastenzeit möglichst viele Bürger tun. Meine Ausgangslage zum Experiment: Wohnhaft im 2100-Seelen-Nest Weilersbach (Landkreis Forchheim).

In den Sitz fallen lassen

Einen Monat ersetzt eine kleine Karte meinen Autoschlüssel, die meinen Reisehorizont auf das gesamte VGN–Gebiet zwischen den Städten Kitzingen, Fichtelberg, Amberg, Treuchtlingen bis hin zu Rothenburg ob der Tauber begrenzt. 98 Euro monatlich kostet die MobiCard mit Abfahrt ab 9 Uhr werktags. Ohne zeitliche Begrenzung gibt es den Freifahrtschein für knapp 300 Euro monatlich. Im Jahresabo nochmal günstiger. Endlich kann ich loslegen. Entspannter, ökologischer und sparsamer. So jedenfalls meine Theorie.

Es ist morgens, kurz vor 9.03 Uhr. Mein Experiment nimmt Gestalt an. Eine kleine Gruppe Weilersbacher trifft sich an der Bushaltestelle, ich zähle acht Personen. Mit den wichtigsten Dorfthemen im Schlepptau fahre ich entspannt mit der Zeitung in der Hand Richtung Forchheim und am Walberla, dem Berg der Franken, vorbei. Ich genieße den Ausblick wie schon lange nicht mehr. Schließlich kann ich mich einfach in den Sitz fallen lassen.

Den Zug erwische ich in Forchheim pünktlich — entgegen aller Vorurteile passiert das während des Experiments ziemlich oft. Von dort aus lassen sich die Städte der Metropolregion zügig erkunden. Wer näher an den Hauptverkehrsachsen wohnt, hat es jedoch deutlich leichter.

Je weiter ich mich mit dem Bus oder Zug von Knotenpunkten entferne, desto schwieriger ist es, passende Verbindungen zu finden. Wo nichts ist, kann auch die Handy-App nichts finden. Nicht nur Fahrt- sondern auch Wartezeiten überbrücke ich mit Büchern, die schon viel zu lange ein unberührtes Dasein in meinem Regal fristeten. Unbequemer sind jene Tage, in denen mir eher der Wind als der Zug um die Ohren pfeift.

Mein Experiment zu Studentenzeiten lässt mich dem ÖPNV jetzt auch im Berufsleben treu bleiben. Es kommt allerdings vor, dass ich an unserer Beziehung zweifle. Eine Stunde in der Kälte auf den Schienenersatzverkehr zu warten, lässt mich mein Auto und insbesondere die Sitzheizung vermissen.

Auf das Auto ganz verzichten? Selbst wenn ich wollte, es ginge nicht. Zumindest dann, wenn ich am Leben außerhalb meines Dorfes auch nach 19 Uhr teilnehmen möchte. Später fährt kein Bus mehr. Allerdings ab dem nächsten Jahr, hat der Kreistag beschlossen. Bisher bleibt nur das Anrufsammeltaxi. Nach offiziellem Betriebsschluss verkehrt es entlang bestimmter Buslinien, sofern man sich eine Stunde vor Abfahrt anmeldet. Regulär kann ich stündlich von und nach Weilersbach fahren, in die Fränkische Schweiz oder Forchheim. Vor einigen Jahren noch war das nicht selbstverständlich.

Eine zweifelhafte Liaison

Deutlich gestiegene Fahrgastzahlen zeigen: Ein auf die Lebensbedürfnisse zugeschnittenes Angebot nehmen die Menschen im ländlichen Raum an. Wer mit dem ÖPNV den Weg in die Arbeit, zum Einkaufen oder für den Besuch der Freunde am Wochenende findet, aber nicht zurück, lässt sich auf diese Liaison erst gar nicht ein.

Geisterbusse, also Busse ohne Fahrgäste, sind ein hausgemachtes Phänomen. Im ÖPNV müssen bisweilen auch die Anbieter geduldig sein. Wer auf (s)ein Auto verzichtet, will das in der Gewissheit tun, sich langfristig auf die Alternative verlassen zu können. Car-Sharing-Angebote sprießen mittlerweile auch auf dem Land in der Region aus dem Boden und ersetzen im Notfall den Wagen. Dieser Frühling könnte zu einem Sommer für den ÖPNV werden.

Wenn möglich, bleibt mein Auto nach wie vor stehen. Betrachtet man Neugier als eine Grundvoraussetzung für den Journalisten, zahlt sich das doppelt aus. In der Bahn sitze ich mit zwei strickenden Damen zusammen. Bevor wir uns haltestellenbedingt verabschieden, bleibt Zeit, mich in die spannenden Künste einzuweihen. Wundern Sie sich also nicht, sollten Sie bald über Socken lesen.

Steht während der Bergkirchweih wieder eine Invasion Feierwütiger bevor, gilt ein altbekannter Grundsatz aber auch für den öffentlichen Nahverkehr: Wie seine Verwandtschaft, kann man sich seine Mitfahrer nicht aussuchen.

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