Söder und die Berliner Mauer

22.1.2019, 19:37 Uhr
Söder und die Berliner Mauer

© Roland Fengler

1:3 hatte Markus Söders geliebter Club am vergangenen Sonntag gegen die Hertha aus Berlin verloren. Dieser Triumph sollte, geht es nach dem 52-Jährigen, auf absehbare Zeit der einzige Erfolg für die Hauptstädter bleiben. Denn auch als frischgebackener CSU-Chef bewegt sich Söder im selben Koordinatensystem wie er das seit zehn Monaten als Ministerpräsident tut: Bavaria first heißt sein Raster. Berlin spielt nur eine Nebenrolle.

Die politische Bühne der Hauptstadt war Söder bei seiner Festrede anlässlich des Finanz- und Heimatempfanges jedenfalls nur wenige Sätze wert. Und die könnten "in den Berliner Salons", wie der Nürnberger abschätzig meinte, wohl eher als Drohung denn als Liebesbekundung aufgefasst werden. 

"Bayern gibt Geld und Kompetenzen an die Kommunen ab und wir erwarten dasselbe vom Bund", packte der neue starke Mann der Christsozialen sein politisches Credo in einen Satz. Söder, der Föderalismus-Fan, plädiert vehement für möglichst wenig Machtfülle in der Hauptstadt. Dazu passt die von ihm geforderte Abschaffung des Soli.

Der christsoziale Frontmann hat durchaus Argumente für seinen föderalen Ansatz. Zuallererst den Blick nach hinten, auf das "paradoxe Jahr 2018". Obwohl es der Republik so gut ging wie nie zuvor, sei die "Verunsicherung der Leute so groß wie nie" gewesen. Daran, so Söders Analyse, trage Berlin eine gehörige Portion Mitschuld. "Die politischen Institutionen haben wenig dafür getan, für Stabilität zu sorgen." Dass die CSU und nicht zuletzt er selbst mit der Befeuerung der unseligen Zuwanderungsdebatte (durch Einführung von Vokabeln wie "Asyltourismus" beispielsweise) selbst gehörigen Anteil an der Verunsicherung breiter Bevölkerungsteile hatte, lässt sich auch im Nachhinein nicht leugnen. Söder erwähnt deshalb in seinem Rückblick pflichtschuldigst auch das Thema Asyl als einen Grund für die allgemeine Verunsicherung.

In der Summe sei 2018 das "Ansehen in Regierungen schwächer geworden". Das soll sich im laufenden Jahr wieder ändern. Es versteht sich von selbst, dass Söder dabei die eigene Staatsregierung im Auge hat.

Stabilität will er dem Freistaat schenken, um gewappnet zu sein für die großen Herausforderungen. Die Bayern-Koalition mit den Freien Wählern werde diese bewältigen. Am Ende, diese Verheißung gab der Landesvater aus, stehe ein "leistungsstarkes, menschlicheres und modernes Bayern".

Worte, die durchaus auf Gefallen stießen im Publikum. Da steht einer vorne am Mikrofon, der die Dinge anpackt, einer, der keine Angst vor den heißen Eisen hat. Aus dem weitgehend CSU-dominierten Publikum waren aber auch Zwischentöne zu hören: "Das wird alles nicht so einfach, wie es sich anhört", meinte etwa eine Oberpfälzerin mit Blick auf Söders Programmatik. Die Frau aus der Führungsetage eines großen Unternehmens wünscht sich Besonnenheit.

Söder, das ist klar, steht für das Gegenteil: Er geht voll drauf — etwa auf die Kritiker der Automobilindustrie. Wegen ein paar "obskurer Grenzwerte" will er sich jedenfalls den Standort Bayern, die Heimat von Audi und BMW, nicht schlechtreden lassen. Es ist eine von Söders Stärken, dass er quasi im selben Atemzug betont, wie wichtig ihm Umweltpolitik sei. Die Quadratur des Kreises, dieses Kunststück gelingt ihm, auch dank seiner rhetorischen Fertigkeiten, erstaunlich gut. Zumindest vor den eigenen Reihen. Besonders eindrucksvoll lässt sich das mit Blick auf den bevorstehenden Doppelhaushalt festmachen: Wenn sich am Donnerstag und Freitag Freie Wähler und CSU in St. Quirin am Tegernsee in Klausur begeben, zurren sie in idyllischer Umgebung den wohl teuersten Doppelhaushalt-Entwurf in der Geschichte des Freistaats fest.

Schon im Vorfeld unkt die Opposition über den Preis der zahllosen Wahlversprechen. Von teuren Geldgeschenken ist die Rede, von immensen Ausgaben, die die Staatsregierung auf Jahre hinaus fesseln würden. Tatsächlich will Söder kräftig investieren: Neue Stellen für Lehrer und Polizisten, Familien- und Pflegegeld — die Liste an Wohltaten ist lang.

Dass die Rechnung am Ende zu teuer wird, schließt Söder aus — indem er wie zuvor sein Finanzminister Albert Füracker Stabilität verspricht. "Wir machen keine neuen Schulden, wir bauen alte ab, wir investieren und wir halten ausreichend Rücklagen", legte sich der aus dem Kreis Neumarkt stammende Finanzminister fest. Wie tief der Griff in die mit fünf Milliarden Euro üppigen Rücklagen sein wird, ist eine der offenen Fragen, die sich am Freitag klärt. 

Noch spannender wäre ein Blick in die Zukunft, in der der Wirtschaftsboom erlahmen könnte: Was tut der Freistaat, wenn die Steuereinnahmen nicht mehr so sprudeln wie bislang? Söder ficht derlei aus seiner Sicht von Pessimismus geleitetes Denken nicht an. Er strotzt vor Selbstbewusstsein und lässt keinerlei Zweifel an seinen Plänen aufkommen.

Gelingt ihm dies, stehen in Zukunft unter Umständen noch höhere Aufgaben an. Unter den Zuhörern gab es den ein oder anderen, der den Griff nach der Kanzlerkandidatur nicht ausschließen wollte. Im Moment steht Söders selbst errichtete Berliner Mauer einem solchen Karrieresprung noch im Weg.

In Bayern macht ihm keiner was vor, die Brüsseler Welt kennt er aus seiner Zeit als Europaminister gut, doch auf der Bundesbühne verhält er sich zurückhaltend. Noch. Denn wenn er in seiner Vita eines bewiesen hat, dann war das eine ungemeine Flexibilität. Vielleicht reißt er die Mauer bald selbst ein.

Verwandte Themen


Keine Kommentare