SPD-Ausschluss: Bessere Werbung für Sarrazin gibt es nicht

18.12.2018, 08:35 Uhr
Er trifft einen Nerv, weil er durchaus wunde Punkte anspricht: Integrations- und Bildungsdefizite zum Beispiel. Pragmatische Lösungen? Die bietet er selten bis nie, um die kümmert sich — oft sehr spät — die Politik.

© dpa Er trifft einen Nerv, weil er durchaus wunde Punkte anspricht: Integrations- und Bildungsdefizite zum Beispiel. Pragmatische Lösungen? Die bietet er selten bis nie, um die kümmert sich — oft sehr spät — die Politik.

Thilo Sarrazin ist ein Meister der Selbstvermarktung. Er weiß genau, wie das geht: einen Bestseller schreiben. Und so sieht sein Rezept aus, das er immer wieder verwendet: Man nehme: eine möglichst steile, zuspitzende These — "Deutschland schafft sich ab" zum Beispiel. Oder "Europa braucht den Euro nicht". Oder "Der neue Tugendterror".

Dazu gieße man jede Menge Zahlenmaterial und Zitate, mit dem man seine Behauptungen so untermauert, dass sie dastehen wie in Stein gemeißelt: Unwiderlegbare Wahrheiten eines notorischen Besserwissers, so muten seine Werke an, so präsentiert er sie auch. Unbeirrbar, felsenfest überzeugt, ohne jeden Zweifel.

Und, Ende der Rezeptur: Man vermeide tunlichst jede Differenzierung. Man teile ein in Gut und Böse. Man würze mit sehr viel Schärfe und gern auch "very hot".

Kopfschütteln über Werke

Sämtliche Experten, die, anders als Sarrazin, die unabdingbare Kunst des Differenzierens beherrschen und leider auch deshalb deutlich weniger Bücher verkaufen, schütteln ihre Köpfe über dessen (Mach-)Werke. Sie weisen ihm jede Menge Fehler nach. Denn der Mann ist eben dies nicht: ein Experte. Er hat sich seine Erkenntnisse als Autodidakt erarbeitet.

"Deutschland schafft sich ab" war eine Art Initialzündung für Pegida, auch für die AfD und andere. Die Tonlage wurde dadurch rauer und gereizter in der Republik. Sarrazin als Zündler zu bezeichnen, das ist daher sicher treffend.

So wie er denken sehr viele

Aber: Macht es Sinn, ihn aus der SPD auszuschließen? So wie Sarrazin denken mit Sicherheit Zigtausende von SPD-Mitgliedern, ebenso wie viele andere Bürger keineswegs nur in der AfD. Sonst wären seine Bücher ja nicht so erfolgreich. Denn er trifft einen Nerv, weil er durchaus wunde Punkte anspricht: Integrations- und Bildungsdefizite zum Beispiel. Pragmatische Lösungen? Die bietet er selten bis nie, um die kümmert sich — oft sehr spät — die Politik.

Zum dritten Mal versucht die SPD nun, den widerborstigen Genossen loszuwerden. Sie sollte toleranter sein. Denn Thilo Sarrazin wird innerlich jubeln: Eine bessere, billigere Reklame für seine Bücher und für seine talkshow-taugliche Person gibt es garantiert nicht. Die Partei adelt ihn durch ihren Schritt wieder mal zum Märtyrer, zum ausgestoßenen Kämpfer einer angeblich unterdrückten angeblichen Wahrheit.

Diesen Ruhm hat der Mann nicht verdient. Er hat es aber sehr wohl verdient, dass sich auch seine Partei mit seinen steilen, oft kruden Thesen auseinandersetzt und sie widerlegt. Das ist zweifelsohne anstrengender, als ihn einfach auszuschließen. Aber es ist notwendig für den Debattenstil in Deutschland. Dazu gehört Streit — aber es muss ein Streit mit Substanz sein, mit Sachlichkeit statt Polemik, mit Grautönen statt Schwarz-Weiß-Malerei.

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