TV-Moderator Yogeshwar: "Politik redet viel und handelt wenig"

21.3.2019, 16:48 Uhr
TV-Moderator Yogeshwar:

© Foto: Felix Kästle/dpa

Herr Yogeshwar, Sie sind ein zugleich sehr optimistischer wie warnender Begleiter der Digitalisierung. Gerade haben wir auf Facebook die wohl düsterste Stunde des Internets erlebt: Terror live beim Massaker im neuseeländischen Christchurch... Lässt sich so etwas verhindern?

Ranga Yogeshwar: Einzeltaten werden sich sicherlich nicht verhindern lassen. Aber was wir natürlich brauchen, auch und gerade bei sozialen Medien, das sind Regeln und Normen. Ich greife mal ein anderes Beispiel auf. Man hat festgestellt, dass sich durch Algorithmen Fake News in sozialen Netzwerken rasant ausweiten. Das führte zum Beispiel dazu, dass in Japan durch Fake-News-Videos mit Falschbehauptungen über die angebliche Gefährlichkeit des Impfens die Impfquote, die bei etwa 80 Prozent lag, auf unter ein Prozent sank. Da werden also fast alle Frauen nicht geimpft – obwohl das ein sehr guter Schutz gegen Gebärmutterhalskrebs wäre. Und so sterben jährlich etwa 3000 Frauen, weil sie nicht geimpft wurden. Fake News töten da also durch Fehlinformation Menschenleben. Deshalb will Facebook diese Ausbreitung von Falschnachrichten durch Impfgegner eindämmen.

Braucht das Netz Regeln? Lässt es sich überhaupt noch regeln?

Yogeshwar: Als die ersten Autos fuhren, gab es auch noch keine Straßenverkehrsordnung, keine Führerscheinpflicht – alles das kam erst danach. Inzwischen erkennen wir global, dass es solche Regeln braucht. Denken Sie etwa an den Schutz von privaten Daten. Da erleben wir Skandale wie den von Facebook mit Cambridge Analytica, wo Daten missbraucht wurden. Oder die völlige Kommerzialisierung von US-Plattformen, wo unsere Daten in Geschäftsmodelle einfließen. Oder China, wo die totale Überwachung technisch möglich ist – mit der für uns paradoxen Situation, dass es die Menschen dort nicht stört, wenn sie überall im Visier von Kameras sind. Sie sagen: So sind wenigstens die Straßen sicher. Eine zweischneidige Sache...

Sie schreiben in "Nächste Ausfahrt Zukunft", wir stünden erst am Anfang der digitalen Revolution. Stolpern wir deshalb auch so unvorbereitet in sie hinein?

Yogeshwar: Wir betreten in vielen Bereichen sehr viel Neuland – wie bei allen Veränderungen. Was wirklich neu ist: das Tempo der Innovation. Dinge, die heute entwickelt werden, sind morgen schon fast Norm. Da ist es ganz wichtig, dass wir mit dem technischen Fortschritt auch ethische Aspekte in den Blick nehmen.

Unsere diversen Digitalisierungsminister sind bisher nicht durch nennenswerte Aktionen aufgefallen. Wie sehen Sie die Rolle der Politik angesichts der digitalen Revolution?

Yogeshwar: Was für mich da noch schlimmer ist: Wir erleben bei der Digitalisierung eine Entwicklung, die massiv in den USA vorangetrieben wird, massiv in China vorangetrieben wird – und Europa steht dazwischen, mit vergleichsweise sehr wenig Innovation. Man müsste KI ganz anders koordinieren und fördern und die Relevanz dieses Themas für viele Bereiche erkennen. Da unterschätzt unsere Politik das Thema völlig. Ich erinnere nur an den letzten Wahlkampf, in dem das Thema Digitalisierung nicht vorkam. Eine wirkliche Unterlassungssünde. Wir müssen da sicher über Ethik reden, aber auch dafür sorgen, dass wir selbst aktive Gestalter bleiben und nicht zurückfallen. Europa kommt in einigen Zukunftsbereichen als Hersteller gar nicht vor, es läuft vieles auf eine Konkurrenz USA–China hinaus.

Man hat den Eindruck, zu viele stellen sich auf den Standpunkt: Das können wir ohnehin nicht gestalten, das lassen wir mal auf uns zukommen...

Yogeshwar: Das stimmt nicht ganz. Es gibt durchaus auch kluge Leute, die sich etwa intensiv mit dem Thema Autonomes Fahren beschäftigen. Aber: Die Politik erkennt diese Relevanz nicht. Da wird unglaublich viel geredet und sehr wenig gehandelt. Die drei Milliarden Euro, die für KI-Forschung vorgesehen waren, werden nun schon wieder relativiert – das ist sträflich, da mache ich der Politik einen massiven Vorwurf. Europa muss endlich aufwachen.

Die Politik regelt zu wenig, sie fördert aber auch zu wenig...

Yogeshwar: Genau. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. China versucht, möglichst viele junge Leute für Digitalisierung zu begeistern, damit sie sich da engagieren. Da gibt es Unternehmen wie DJI, der weltweit beste Hersteller von kleinen Drohnen. Der Chef von DJI rief einen großen Roboter-Wettbewerb ins Leben, an dem über 150 Universitäten teilnehmen. Dieser Wettbewerb wird in einer Arena ausgetragen, mit 40 000 Besuchern beim Finale. 30 Millionen junge Leute verfolgen ihn im Internet – eine Riesengaudi, bei der sich aber auch der Glaube an die Zukunft zeigt und der Optimismus, den wir in Deutschland nicht haben.

Sie schreiben: "Einer internationalen Studie entnehme ich, dass gerade mal vier (!) Prozent der Befragten in Deutschland daran glauben, dass sich in Zukunft unser Leben verbessern wird". Ein erschreckender Befund.

Yogeshwar: Das liegt auch daran, dass es uns schon sehr gut geht. Und wenn es Menschen gut geht, dann wachsen die Verlustängste. Da sieht man: Die Welt ändert sich – und sagt sich: Sie könnte sich ja zum Schlechteren ändern. Da sind wir ein bisschen satt geworden. Und: Wir haben in Deutschland diese Innovationskultur ein bisschen verloren. Wir sind großartig im Mittelstand. Aber bei den großen Firmen, bei den Konzernen, da haben wir eher Verwalter. Da fehlen Unternehmer-Figuren wie nun Zuckerberg oder andere in den USA, die ihre Firmen selbst hochgezogen haben und das politische Klima prägen. China wiederum hat sich von Staats wegen vorgenommen, Marktführer in Sachen KI zu werden.

"Wir malen uns die Welt schwarz", schreiben Sie. Und da ist ja was dran: Negative Meldungen überwiegen, online und in den klassischen Medien. Woran liegt das?

Yogeshwar: Auch an Verzerrungen. Daran zum Beispiel, dass falsche Nachrichten – die hoffentlich nicht von professionellen Journalisten kommen – sich sechsmal schneller im Netz verbreiten als die korrekte Nachricht. Und: Was normal ist, was gut läuft, das wird in der Regel weniger wahrgenommen als Außergewöhnliches. Das führt dazu, dass wir eine Erregungs-Bewirtschaftung haben – in den privaten wie in den öffentlich-rechtlichen Medien. Man guckt auf Quote, auf Klickzahlen. Diese kommerzielle Getriebenheit ist sicher auch ein Teil des Problems. Dabei geht es da um elementare Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie, die gut arbeitende Medien braucht.

TV-Moderator Yogeshwar:

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Uns sei es noch nie so gut gegangen wie heute, schreiben Sie und nennen Beispiele wie die steigende Lebenserwartung, den wachsenden Wohlstand etc. Glauben Sie, dass das ein Niedriglöhner auch so sieht?

Yogeshwar: In absoluten Zahlen muss man einfach sagen: Ja. Wer gilt heute als Niedriglöhner, wer war es vor 100 Jahren? Wenn wir das vergleichen, lebe ich lieber heute. Wir haben allerdings eine riskante Verschiebung: Innovationen nutzen einer Minderheit mehr als der Mehrheit. Das führt zu einer Spaltung – die wir verhindern müssen. Es kann nicht sein, dass wenige extrem reich werden und der Rest guckt zu. Wenn Roboter einfache, stupide Arbeit ersetzen, finde ich das gut – aber wir brauchen einen stabilen Wandel. Da muss man steuerlich und juristisch nachhelfen. Schauen Sie mal, wie viel (oder eher wenig) Steuern Amazon zahlt oder Google und wie wenig da gemacht wird. Wenn wir nicht aufpassen, führt diese gefühlte Unzufriedenheit zu sehr rückwärtsgewandten politischen Entwicklungen – blicken Sie nur auf die USA.

Viele sagen: Ist doch nicht schlimm, wenn etwa KI anstrengende, öde Arbeit ersetzt. Studien zeigen aber, dass auch Kassierinnen oder Kumpel an ihren Jobs hängen, weil das ein Stück ihrer Identität ist und die Arbeit ihnen Selbstwert gibt. Was machen Bus- oder Lkw-Fahrer, wenn das autonome Fahren kommt?

Yogeshwar: Wir haben schon immer Veränderungen in der Arbeitswelt erlebt. Wir müssen schauen: Was sind Jobs, die Roboter nicht machen können? Ich war im Januar in San Francisco bei Amazon Go, das ist ein Laden ohne Kassen, Sie zahlen elektronisch, nehmen sich Waren und gehen hinaus. Das hat sicher Potenzial – aber sie brauchen eben keine Kassiererin. Was wichtig ist: Die Jobs, bei denen Menschen direkt mit Menschen agieren, müssen besser bezahlt werden. Da haben wir aktuell eine völlige Schieflage. Die Krankenschwester, die Pflegerin – die verdienen viel zu wenig. Da müssen wir eine gesellschaftliche Debatte voranbringen.

Unser Abend in Fürth dreht sich um Bildung und Erziehung der Zukunft. Sie schreiben: "Wir müssen uns endlich von der Schulform verabschieden, die wir selbst erlebt haben, denn wir befinden uns mitten in einer globalen Bildungsrevolution." Geht es konkreter? Wie wandelt sich Bildung?

Yogeshwar: Das geht schon mit den Begriffen los. Wenn wir von einem "Schüler" reden, haben wir da ein Gefälle, ein Untergebenen-Gefühl drin. Wenn wir von "Abschluss" reden, suggeriert das, dass das Lernen damit geschafft sei. Das Wissen wird aber immer kurzlebiger. Wir müssen und können uns auf eine Welt einstellen, in der wir ständig dazulernen. Ich rede lieber von Lernenden als von Schülern. Ein Teil des Lernens findet nicht mehr in der Schulbank statt, sondern später. Wir müssen der Bildung die Position geben, die sie verdient. Die Schulen in Deutschland sind oft in einem miserablen Zustand. Wir haben die Lehrerausbildung zu wenig auf die neuen Herausforderungen ausgerichtet – schauen Sie auf den Mangel in den naturwissenschaftlichen Fächern. Auch da hat die Politik sehr klar versagt. Oder der Anachronismus des föderalen Bildungssystems: Warum, bitte, muss Mathematik in Hamburg anders sein als in München?

Haben wir die passenden Institutionen dafür?

Yogeshwar: Nein, die passen nicht mehr. Wir sollten den Mut haben, das Bildungssystem sehr gründlich zu überdenken. Es stammt im Kern noch aus dem 19. Jahrhundert, mit dem Fokus, Beamte auszubilden. Es ging um Disziplin, Gehorsam... Das passt im 21. Jahrhundert nicht mehr.

Sie nehmen sich manchmal digitale Auszeiten, in denen Sie nicht erreichbar sind. Das muss man sich erst mal leisten können in Zeiten, in denen Arbeitgeber die Rund-um-die Uhr-Erreichbarkeit erwarten...

Yogeshwar: Das stimmt so nicht mehr. Immer mehr Arbeitgeber haben verstanden, dass ihre Mitarbeiter nicht mehr dauernd erreichbar sein dürfen. Da findet ein breites Umdenken statt. Immer mehr verstehen, dass es auf Dauer besser ist, wenn wir Pausen haben und mal offline sind.

Aktuell scheint sich das Leben ums Smartphone zu organisieren. Wer es vergessen hat, fühlt sich nackt und unvollständig. Eine neue Sucht?

Yogeshwar: Der erste Apparat, den wir ständig am Körper trugen, war die Uhr. Die ist nun durch das Smartphone ersetzt worden, das unglaubliche Vorzüge hat. Sie navigieren damit durch eine Stadt, Sie bezahlen damit – eine positive Veränderung. Aber wie weit geht das? Wenn drei Menschen zusammen sind, müssen wir lernen, uns auch noch in die Augen zu gucken und nicht nur auf den Kasten. Das ist ein weltweites Thema. Ich war kürzlich in Peking. Da sprach ich mit einer Entwicklungschefin. Die sagte mir: Wenn wir mit Freundinnen essen gehen, legen wir alle Handys auf einen Stapel – und die erste, die das Handy anfasst, die muss die Rechnung zahlen.

Wagen wir das Schwierigste: einen Blick in die Zukunft. Wo steht das digitale Deutschland in fünf Jahren?

Yogeshwar: Ich hoffe, dass wir aufwachen und in einigen Bereichen auch international mitspielen. Das ist meine Hoffnung. Wenn wir nicht aufwachen, dann werden wir abgehängt, auch wenn wir uns das momentan nicht vorstellen können als lange stolze Industrienation.


Am Mittwoch, 27. März, um 19 Uhr (Einlass: 18 Uhr) spricht Ranga Yogeshwar in der Fürther Stadthalle zum Thema "Nächste Ausfahrt Zukunft? Unser Umgang mit Bildung" in unserer Reihe "Erziehung 4.0". Karten zu 41/29 (mit ZACRabatt: 37/25) Euro sind in den Geschäftsstellen dieser Zeitung und online bei der NN-Ticketcorner erhältlich. Von 16 bis 17 Uhr signiert Yogeshwar Bücher in der Geschäftsstelle der Fürther Nachrichten, Schwabacher Str. 106, 90763 Fürth. 

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