Verhütung und Kirche: Wie das Pillenverbot langsam aufweicht

26.7.2018, 16:53 Uhr
Sexuelle Befreiung oder Lebenszerstörerin? Vor 50 Jahren hat sich die Kirche gegen die Antibabypille gestellt und damit weltweite Kritik ausgelöst.

© Carsten Rehder/dpa Sexuelle Befreiung oder Lebenszerstörerin? Vor 50 Jahren hat sich die Kirche gegen die Antibabypille gestellt und damit weltweite Kritik ausgelöst.

Noch immer reicht nur eine Zahl aus, um zu polarisieren: 1968. Das Jahr der Studentenproteste, des Kampfes gegen Alt-Nazis und der langen Haare, das Jahr der sexuellen Befreiung – und damit auch das Jahr, in dem die Antibabypille immer populärer wurde. Mitten in diese Stimmung platzt der Papst mit dem wohl schwerwiegendsten Fehler der jüngeren Kirchengeschichte: Am 25. Juli veröffentlichte das Kirchenoberhaupt ein Dokument, die Enzyklika Humanae Vitae, in dem er festlegt, dass "jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben" müsse – und den Katholiken damit den Gebrauch von Verhütungsmitteln untersagt. Für viele der völlig falsche Zeitpunkt, für die Kirche gerade noch rechtzeitig.

"Pillen-Paul" unter Beschuss

Heute denkt man im Vatikan anders darüber, erklärt Eberhard Schockenhoff, Professor für Moraltheologie an der Universität Freiburg und ehemaliges Mitglied des Deutschen Ethikrates. Die Kirche hat das Verhütungsmittelverbot, das der Institution zahlreiche Austritte und dem Papst den wenig schmeichelhaften Namen "Pillen-Paul" eingebrockt hat, als Fehler erkannt. Offen zugeben kann sie das nicht: Nach dem katholischen Glauben sind bestimmte Entscheidungen eines Papstes unfehlbar, sie können auch von seinen Nachfolgern nicht zurückgenommen werden. Enzykliken zählen in aller Regel nicht dazu, bei Humanae Vitae ist das aufgrund ihrer weitreichenden Bedeutung allerdings umstritten.

Doch selbst wenn es nicht so wäre, "entspricht es nicht der Praxis, dass ein Papst seine Vorgänger korrigiert", so Schockenhoff. Deshalb ist Papst Franziskus gezwungen, dieses Dilemma zu umgehen: "Die Kirche hat das Pillenverbot schon seit längerem nicht mehr in der Deutlichkeit eingefordert", erklärt Schockenhoff. Bereits Benedikt XVI. habe sich von der Entscheidung distanziert. Franziskus drücke immer wieder "seine große Skepsis aus, aus allgemeinen Prinzipien konkrete Schlussfolgerungen für alle Situationen abzuleiten". Für Schockenhoff eine verdeckte Kritik an dessen Vorgänger Paul VI., der sich mit dem sogenannten Pillenverbot in zuvor kaum gekannter Weise in die Gewissensentscheidungen der Gläubigen eingemischt hatte.

Humanae Vitae drängte Menschen aus der Kirche

Woher kommt der Richtungswechsel? "Die Kirche hat natürlich gemerkt, dass es ihr nicht gelungen ist, die Gläubigen zu überzeugen", so Schockenhoff. "Und dann ist klar: Wenn Humanae Vitae auf kaum verhüllte Ablehnung stößt, schadet die Kirche ihrer eigenen Autorität." Nützen wird ihr das nicht viel. Der Schaden, der bereits angerichtet wurde, ist zu groß. "Humanae Vitae hat bei seiner Veröffentlichung vor 50 Jahren einen Entfremdungsprozess ausgelöst, der viele Menschen aus der Kirche herausgedrängt hat", analysiert der Moraltheologe. "Aber ich glaube nicht, dass sich dieser Prozess heute einfach umkehren lässt und der Kirche mehr Menschen zuströmen, weil sie von Humanae Vitae abrückt."

Schon vor der Veröffentlichung der Enzyklika Humanae Vitae wurde die Haltung des Papstes zur Verhütung kritisiert - auch von Mitgliedern der Kirche.

Schon vor der Veröffentlichung der Enzyklika Humanae Vitae wurde die Haltung des Papstes zur Verhütung kritisiert - auch von Mitgliedern der Kirche. © Foto: colourbox.de

Diese Befürchtungen gab es vor 50 Jahren auch schon – und zwar in unmittelbarer Nähe des Papstes selbst. Paul VI. hatte eine Expertengruppe eingesetzt, die seine Vorschläge vor der Veröffentlichung beurteilen sollte. Doch er wurde enttäuscht: Die Mehrheit der rund 200 befragten Bischöfe rieten ihm ab, sich so konkret in Lebensentscheidungen einzumischen.

Eine Warnung an den Papst

Das Kirchenoberhaupt kümmerte das nur wenig: Kurz vor der Entscheidung wurde ihm ein Gutachten einiger Geistlicher zugespielt, erklärt Schockenhoff. "Und das hat offenbar großen Einfluss auf ihn ausgeübt." In diesem warnten die Bischöfe den Papst, er würde von der Tradition der Kirche abweichen und seine Vorgänger ins Unrecht setzen, wenn er jetzt vom Verbot ablasse. "Humanae Vitae war also schon bei ihrer Veröffentlichung eine große Enttäuschung", so der Theologe.

Die Furcht vor einer zweiten Fehlentscheidung hat Folgen. Auch beim Thema Homosexualität – eigentlich hoch umstritten und stark bekämpft – ist es still geworden in der Kirche. Es werde zwar noch eine Zeit lang dauern, bis sich der Katholizismus vollständig von seiner Position löse, aber "Sie finden bei Franziskus jetzt schon kein einziges Wort der Verurteilung von sich gleichgeschlechtlich liebenden Menschen", so Schockenhoff.

Wird dieses Umdenken die Kirche vor immer weiteren Mitgliederverlusten retten? Schockenhoff: "Die Zukunft des Christentums in der säkularisierten Gesellschaft wird sicher keine der Massenbewegung, sondern eine der kleineren Zahl, der überzeugten Gruppe sein." Um relevant zu sein, müsse sie Grundprinzipien festlegen, dürfe aber keine persönlichen Entscheidungen abnehmen.

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