Warum Deutschland mehr Digitalisierung wagen muss

30.4.2017, 21:50 Uhr
Warum Deutschland mehr Digitalisierung wagen muss

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Es ist sehr viel von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit die Rede in den Erklärungen der Gewerkschaften zum Tag der Arbeit. Das wird auch am Montag so sein bei den Kundgebungen, denen viele deshalb fernbleiben, weil sie den Brückentag für einen Kurzurlaub nutzen - vielleicht aber auch, weil sie merken: Der DGB und seine Einzelgewerkschaften sind zu wenig dran an der Hauptherausforderung für den Arbeitsmarkt, an der Digitalisierung und ihren Folgen.

Da aber sind die Gewerkschaften in guter oder eher schlechter Gesellschaft: Auch die Politik behandelt das Thema stiefmütterlich - fast schon sprichwörtlich war da Angela Merkels Ausspruch vor vier Jahren, das Internet sei "Neuland". Für zu viele in Deutschland ist das immer noch so.

Zwei Herausforderungen

Mindestens zwei Herausforderungen sind anzugehen. Ob es dazu ein "Digitalministerium" braucht, wie es nun Verkehrsminister Alexander Dobrindt fordert oder auch die FDP auf ihrem Parteitag, das ist eher zweitrangig. Wichtig ist zum einen: Die Digitalisierung ist längst im Gange und, ob man sie begrüßt oder nicht, unumkehrbar. Wer da schneller ist, hat Vorteile gegenüber Mitbewerbern - das gilt auch für Staaten und im deutschen Föderalismus für Bundesländer, die mit ihrer Industriepolitik für (mehr oder weniger gute) Infrastruktur sorgen. Deshalb ist der Netzausbau zu forcieren - und da gibt es in Deutschland noch viel zu tun, auch was den Anschluss vieler Haushalte an ein leistungsfähiges Internet angeht.

Das ist die rein technische Seite. Noch viel spannender sind die Folgen, die sich aus der unumkehrbaren Digitalisierung für Firmen, für Beschäftigte, aber auch für jeden einzelnen Bürger ergeben. Absehbar ist: Das Netz baut die Wirtschaft gewaltig um. Das muss nicht so schnell gehen wie manche vorhersagen, weil es mit massiven Investitionen verbunden ist, vor denen viele zurückschrecken, zumal gerade deutsche Firmen momentan in der Regel glänzend dastehen. Aber: Absehbar ist, dass Routinejobs mehr und mehr von intelligenten Maschinen übernommen werden. Gerade sind sie auf der Hannover Messe zu sehen, der Leistungsschau der Roboter. Auch das autonome Fahren könnte bald systemreif sein - sich selbst steuernde Lkw und Autos erobern dann die Straßen, sicherer und verlässlicher als Fahrer jeder Art, die alle um ihre Jobs bangen müssen.

Riskant ist das trotzdem: Hacker können, zumindest bisher, in solche Systeme eindringen - und Autos noch leichter als Terrorwaffen nutzen. Dieser Sicherheitsaspekt ist nur eine der gesellschaftlichen Herausforderungen der Digitalisierung. Hinzu kommt die brisante, offene Frage nach dem Umgang mit privatesten Daten, von denen die Internetriesen leben - brauchen wir "digitale Grundrechte"?

Die Gewerkschaften sind gefordert, was Regeln für die digitale Arbeitswelt angeht. Die verführt Arbeitgeber wie auch Beschäftigte, buchstäblich sämtliche Grenzen zu überschreiten: Produktionen lassen sich von überall aus steuern - und auch die Arbeit wird entgrenzt, zeitlich wie räumlich. Das ist ein Segen, wenn es Arbeit erleichtert, aber ein Fluch, wenn es zu Arbeit ohne Ende und rund um die Uhr führt: Die Frage nach Pausen, nach der Möglichkeit, auch mal unerreichbar zu sein für die Firma, wird sich immer dringlicher stellen.

Noch zu viel Neuland

Und auch die Frage, wie wir ein Sozialversicherungssystem finanzieren, das (zu?) zentral auf dem Faktor menschliche Arbeit basiert. Wenn die zusehends von Maschinen übernommen wird - müssen wir die dann mit einer Robotersteuer belegen?

Die Politik stochert da im Nebel. Das Digitale darf aber kein Neuland bleiben - weil die Menschen längst spüren, was sich da alles ändert, und weil sie wissen möchten, welche Antworten die Politik darauf hat.

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