Warum es richtig ist, Sami A. zurückzuholen

17.8.2018, 12:58 Uhr
Der nordrhein-westfälische Landtag beschäftigt sich mit der rechtswidrigen Abschiebung des tunesischen Islamisten Sami A.

© Federico Gambarini Der nordrhein-westfälische Landtag beschäftigt sich mit der rechtswidrigen Abschiebung des tunesischen Islamisten Sami A.

Haben Sie schon mal mit einer Behörde vor einem Gericht gestritten? Beispielsweise, weil das Bauamt Ihren Bauantrag nicht genehmigen wollte? Oder weil das Foto von einer Geschwindigkeitsüberschreitung Sie und Ihren Wagen doch nicht so eindeutig zeigte, wie es die Polizei behauptete?

Möglicherweise haben Sie in diesem Augenblick die Unabhängigkeit des Gerichtes und diesen doch sehr abstrakten Begriff "Gewaltenteilung" schätzen gelernt. Weil es eine dritte, unabhängige Instanz gab, die sich in den Streit einschaltete und nicht mit der betroffenen Behörde kungelte.

Die Gewaltenteilung ist die Lebensversicherung der Demokratie. Und diese Versicherung hat im Fall Sami A. spät, aber doch noch rechtzeitig gegriffen. Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht hat unmissverständlich klargemacht, dass es sich die Ungeheuerlichkeiten der Landesregierung und ihrer Behörden nicht bieten lässt.

Dass es eben nicht rechtens ist, wenn eine Behörde eigenmächtig entscheidet, ab wann der Rechtsweg ausgeschöpft ist und abgeschoben werden kann, nur weil das politisch opportun erscheint. Das Urteil im Fall Sami A. ist daher auch nichts, wofür sich "Deutschland schämen" müsste oder "sich in der Welt lächerlich macht", wie manche jetzt schimpfen.

Im Gegenteil: Dieses Urteil belegt eindrucksvoll, wie stark der deutsche Rechtsstaat ist. Er stuft die Einhaltung von Gesetzen und der Gewaltenteilung als das schützenswertere Rechtsgut ein, auch wenn von diesem Mann möglicherweise eine Gefahr ausgeht.

Übergriffige Behörde

Natürlich muss niemand die Rückkehr eines Islamisten bejubeln. Und die Sorgen, die sich in der Bevölkerung mit diesem Fall verbinden, müssen ernst genommen werden. Aber wenn eine Behörde übergriffig wird und sich anmaßt, durch ihr Handeln Gerichtsentscheidungen ersetzen zu können, dann sollten bei uns alle Alarmglocken schrillen.

Denn die Gewaltenteilung ist kein Luxusgut, das man sich in guten Zeiten leistet, in rauer See aber über Bord werfen kann. Wir sind der Rechtsstaat, und jeder von uns kann darauf angewiesen sein, dass die Aufteilung der Macht so funktioniert, wie es das Grundgesetz vorsieht: Bundestag, Bundesrat und die Landesparlamente erlassen Gesetze, Bundes- und Landesregierungen setzen diese mit ihren Behörden um und die Justiz wacht darüber, dass sie eingehalten werden.

Eine Verwischung der Grenzen zwischen diesen drei Bereichen wie im Fall Sami A. darf es nicht geben. Niemand hat das Recht, die Lebensversicherung der Demokratie zu kündigen. Deswegen gilt für die Gewaltenteilung auch die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes.

Schwere Vorwürfe

Das können, ja das müssen auch die NRW-Minister Stamp und Reul wissen. Wenn die ungeheuerlichen Vorwürfe der obersten NRW-Richterin Brandts stimmen, dass die Ausländerbehörde der Justiz bewusst Informationen vorenthalten hat, um Sami A. abschieben zu können, dann muss Integrationsminister Stamp zurücktreten.

Und auch Innenminister Reul muss sich fragen lassen, ob er der richtige Mann an dieser Stelle ist. Richter dürfen bei ihren Urteilen auf keinen Fall, wie von Reul gefordert, irgendein diffuses Rechtsempfinden der Bevölkerung im Blick haben. Sie müssen vielmehr die geltenden Gesetze und die Verfassung befolgen — sonst nichts.

Wer meint, Gesetze taugen nicht mehr, der muss sie ändern: mit einer Mehrheit im Parlament, aber sicher nicht durch den Verwaltungsakt einer Behörde oder das Urteil eines Gerichts. Das wäre übrigens eine durchaus lohnende Aufgabe für Bundesinnenminister Seehofer. Denn natürlich muss es möglich sein, einen Gefährder wie Sami A. schnell und rechtssicher abzuschieben. Für die nötigen Gesetze muss Seehofer sorgen.

Wer anderer Meinung ist, blicke bitte in die Türkei, wo es keine unabhängige Justiz mehr gibt — und damit auch niemanden, der den Rechtsstaat verteidigen kann. 

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