Warum Spielen so wertvoll ist

28.4.2012, 13:37 Uhr
Warum Spielen so wertvoll ist

© Bek-Baier

Nun steht sie im kleinen Café ihres Museums vor einem wunderschönen alten Schrank – voller Spielsachen, versteht sich – und erinnert sich. Mit dem Ende des Kriegs war die Kindheit für die kleine Katharina mit einem Schlag zu Ende. 1945 geriet der Bauernhof in Thüringen, auf dem sie aufwuchs, mitten in die Front. Sie und ihre Familie kamen an diesem Tag mit dem Leben gerade so davon.

Mit dem verbrannten Haus hat sie auch ihre Spielsachen, den Kaufladen und die Puppe verloren. Für das Kind Katharina war das ein einschneidendes Ereignis. Auf der Flucht kamen sie am nächsten Tag bei einer alten Dame unter. „Die hat mir eine kleine Puppe geschenkt.“ Doch die Freude währte nicht lange. Auf der langen Wanderung nahm ihr der Onkel die Puppe weg. „Meine Sammelleidenschaft für Spielsachen hängt damit zusammen, weil ich im Krieg alles verloren habe.“

Die Puppe aus dem Kohlenkeller

Den Verlust der Puppen hatte sie verdrängt, bis sie etwa 20 Jahre alt wurde. Als sie eines Tages bei ihrem Verlobten in den Kohlenkeller ging, lag da plötzlich eine Puppe. „Ich sagte, so etwas darf man doch nicht verbrennen. Die repariere ich.“ Der Schwiegervater war irritiert: „Du bist wohl noch nicht reif zum Heiraten!“ Engels ist überzeugt: „Diese Puppe aus dem Kohlenkeller ist der Auslöser, dass ich Spielzeug sammele.“ Sie reparierte die Puppe und nähte ein Kleid, bis sie genauso aussah, wie die Puppe, die sie in der Kindheit gehabt hatte. „Ich habe dann 30 Jahre lang gesammelt, bis ich das Museum hier eröffnete.“

Engels erinnert sich, dass früher die Kinder nicht so viel mit Spielsachen gespielt haben wie heute. Spielzeug hatte man vor allem im Winter. „Wir bekamen eine Puppe, eine Puppenstube oder einen Kaufladen zu Weihnachten.“ Den Jungen schenkten die Eltern ein Schaukelpferd oder einen Holz-Bauernhof. „Im Februar wurden diese Sachen dann wieder weggestellt.“ Es war eben nicht so viel Platz in einer Wohnung bei normalen Leuten. Nur betuchte Bürger hatten ein extra Kinderzimmer. Erst zum nächsten Christfest wurden die Sachen wieder hervorgeholt. „Vielleicht gab es dann ein Möbelstück für die Puppenstube oder ein bisschen neues Zubehör für den Kaufladen dazu“, erzählt Engels. „Aber ab März spielten wir vor allem draußen im Freien, zum Beispiel mit Murmeln oder machten Hüpfspiele.“

Warum Spielen so wertvoll ist

Kinder hatten früher jedoch auch Pflichten. „Ich musste Schafe hüten. Meine Brüder sind schon bald mit aufs Feld gegangen.“ Das Helfen auf dem Hof oder das Nähen mit der Mutter war für sie nicht lästige Pflicht, sondern auch eine Art Spiel, das man gern machte. Man sollte spielerisch auf den „Ernst des Lebens" vorbereitet werden. Selbst das eigentliche Spielen war ein Nachahmen. „Mit dem Puppenhaus sollten Mädchen zur Hausfrau erzogen werden. Die Jungs hatten einen Bauernhof. Wenn einer ein katholischer Pfarrer werden sollte, dann schenkte man ihm einen Altar zum Spielen.“ Auch einen solchen hat sie selbstverständlich in ihrem Museum.

„Das Spiel bei Kindern ist ursprünglich ein Ausprobieren“, sagt auch der Kinder- und Jugendpsychotherapeut Peter Dillig aus Rothenburg. Schon kleine Kinder lernen im Spiel ihren Körper und ihr Verhalten kennen. Sie finden mit Hilfe von Spielregeln die Grenzen ihres Handelns heraus. Auch das Nachahmen ist sehr wichtig. Ein typisches Spiel sei das Rollenspiel mit anderen Kindern, wie „Mutter, Vater, Kind“. „Auch das Spiel mit Puppenhaus und Kaufladen ist ein Nachahmen und Erlernen der Welt, die die Kinder umgibt“, sagt der Psychologe. Der „gute alte Kaufladen“ sei ein gutes Beispiel für das Erlernen und Begreifen der Welt im Spiel gewesen: „Ich kaufe etwas, verkaufe etwas, bezahle den Wert der Waren in Spielgeld.“ Im Spiel gehe es meistens darum, Rollen zu übernehmen, auszuprobieren.

Doch warum spielen dann auch erwachsene Menschen? „Etwas zusammen zu tun, gemeinsam etwas zu erleben, Spaß zu haben, sich einer Herausforderung zu stellen, sich miteinander zu freuen und aufeinander zu achten oder sich zu messen, und dass man sich über einen Sieg freuen kann, macht den Reiz und den Wert des Spielens für Erwachsene aus.“ Aber man könne sich auch ärgern und Enttäuschungen verarbeiten, sagt der Psychologe. Auch im Alltag wolle man sich Herausforderungen stellen, Freude und Enttäuschungen müssen verarbeitet werden. Das Spiel sei einerseits ein hervorragender Ausgleich zur wirklichen Welt, andererseits ein Ort zum Ausprobieren. Spielen schafft Kontakt.

Spielen stellt schnell Kontakt her

Diesen kommunikativen Wert des Spiels nutzt man in der evangelischen Jugendarbeit: „Das Spielen ist für mich wichtig, weil es ein sehr verbindendes Element ist“, sagt Jürgen Blum, Jugendkulturreferent der Evangelischen Jugend in Nürnberg. Er ist Mitorganisator des Spielefestes im evangelischen Gemeindehaus „Eckstein“, das immer parallel zur Spielwarenmesse stattfindet. Dort kann jeder Interessent die Neuheiten an Brettspielen testen. Der Spielpädagoge weiß, dass gerade in der Jugendarbeit Spielen eine der wichtigsten Methoden ist.

Wenn Blum vom Spielen spricht, spricht er nicht nur von Brett- oder Kartenspielen, sondern auch von Interaktions-, Bewegungs- oder Kooperationsspielen. Auch vom Theaterspiel. „Was mich beeindruckt, ist, dass Spielen Gruppen schnell in Kontakt bringt.“ Das Spiel biete auf der einen Seite den Rahmen, in dem es Regeln vorgibt, in welchem sich die Mitspieler bewegen können. Es lässt auf der anderen Seite sehr viel Freiraum, etwas auszuprobieren, was man im Alltag nicht ausprobieren würde. Auch wenn ein junger Mensch sich nie und nimmer trauen würde, jemanden einfach so anzusprechen oder gar zu berühren, kann er sich das im Spiel durchaus trauen. „Das sind Möglichkeiten, die wir in der Spielpädagogik und in der Jugendarbeit nutzen.“

Wirken sich Erfahrungen, die ein Spieler macht, danach im wirklichen Leben auch aus? „Die Begegnung im Spiel ermöglicht auch die Begegnung außerhalb des Spiels“, ist der Spielpädagoge überzeugt. „Wir haben oft junge Leute, die sich fremd zunächst sind in den Gruppen. Das Spiel ist eine Kontaktform, die hilft, miteinander im Gespräch zu bleiben, auch wenn das Spiel zu Ende ist. Es ermöglicht ein Gemeinschaftsgefühl: „Wir haben miteinander eine Aufgabe gelöst und gemeinsam etwas erlebt.“

Spielen ist gute Freizeitunterhaltung

Gerade für Erwachsene seien die Freiräume im Leben gar nicht mehr so groß, beobachtet Blum die Entwicklung in der Gesellschaft. Spielen biete einen Freiraum, in dem man sich ausleben kann, in dem man mal anders sein kann. „Der Gedanke, dass vor allem Leistung und Ernsthaftigkeit zählen, ist weit verbreitet", erklärt der kirchliche Jugendreferent. „Kinder dürfen Spielen – und Erwachsene dürfen eigentlich nicht spielen, denn die müssen ernst machen und arbeiten“, klagt Spielpädagoge Blum.

Natürlich sei das so in der Gesellschaft verankert, „Erwachsene arbeiten und spielen nicht“, weiß auch Michael Kränzle, Marketingleiter von Pegasus Spiele, einem Hersteller von Familien- und Gesellschaftsspielen. „Aber manche retten das ,Spiele-Gen’ ins Erwachsenenalter hinüber. Andere nehmen das Spiel als eine Freizeitbeschäftigung.“ Insgesamt sei es schwer zu sagen, wer spielt: Ist es der Daimler-Vorstandschef, ist es der

Mitarbeiter in der Versandabteilung, oder ist es der Postbote, ein Arbeiter oder gar der Finanzbeamte? Mehr und mehr finden auch Menschen wieder zum Brettspiel, die sich in der Freizeit gut unterhalten wollen, beobachtet Kränzle eine gesellschaftliche Entwicklung.

Kränzles persönliche Reihenfolge von gesellschaftsfähigen Freizeitbeschäftigungen lautet logischerweise: „Ich lese ein Buch, ich gehe in einen guten Film ins Kino oder ich spiele mit Freunden ein gutes Spiel.“ Um mit anderen Menschen direkt und interaktiv etwas zu machen, sei ein klassisches Gesellschaftsspiel immer noch erste Wahl. „Es ist heutzutage ein hohes Gut, Zeit miteinander verbringen zu können“, so Kränzle.

Warum widmet man sich dann nicht einem Projekt, das man gemeinsam in der wirklichen Welt anpackt? „Spielen ist vor allem Unterhaltung und ein Bedürfnis auf Unterhaltung hat jeder“, so der Marketingleiter, der selbst Hobby-Spieler ist. Das schließt gesellschaftliches Engagement auf keinen Fall aus, ist er überzeugt: „Viele Spieler, die wir kennen, engagieren sich ehrenamtlich und sozial in der Freizeit oder tragen gesellschaftliche Verantwortung.“

Schließlich setzt sich ein Gedanke durch, der schon im Spielzeugmuseum aufkam: „Das Sammeln und Beschäftigen mit Spielsachen befriedigt", sagt Spielzeugfachfrau Engels. „Ich restauriere eine Puppe und sie hat dann wieder ein schönes Gesicht – das ist ein unbeschreibliches Gefühl!“

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