Was zählen die Menschenrechte noch?

6.11.2018, 20:39 Uhr
Was zählen die Menschenrechte noch?

© Foto: NZ

70 Jahre ist es her, dass in Paris die Allgemeine Erklärung für Menschenrechte (AEMR) verkündet wurde. Auch heute noch soll sie Menschen vor Ausgrenzung, Diskriminierung, Unterdrückung und Ausbeutung schützen. Doch weltweite Menschenrechtskrisen und die abnehmende Presse- und Meinungsfreiheit zeugen vom Gegenteil. Ein Grund, weshalb am Montagabend Experten unter dem Titel "Die universellen Menschenrechte im digitalen Zeitalter" im Maritim Hotel zusammengekommen sind.

Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit/Thomas Dehler-Stiftung hatte in Kooperation mit dem Nürnberger Menschenrechtszentrum namhafte Experten eingeladen, unter anderem die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, den Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Christian Mihr und den bulgarischen Journalisten Nikolay Staykov.

"1948 wurde mit der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte ein Papier der Öffentlichkeit präsentiert, das dokumentiert, was selbstverständlich sein sollte, es aber niemals war und bis heute keine Selbstverständlichkeit ist", betonte der Moderator Stephan Sohr zu Beginn des Abends. In ihrer Einführung knüpfte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an den NZ-Chefredakteur an. "Die Freiheit des Einzelnen wird weltweit immer wieder eingegrenzt. Deshalb sind die Menschenrechte nicht als universell zu sehen, wie sie eigentlich zu verstehen sind", so die stellvertretende Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Den Schutz der Menschenrechtskonvention als Hauptaufgabe der EU-Mitgliedsstaaten hob Dunja Mijatovic, Menschenrechtskommissarin des Europarates, in einer eingespielten Videobotschaft hervor. Diese sei Grundlage für das Zusammenleben der rund 800 Millionen Menschen in Europa. In seinem Impuls zur Pressefreiheit plädierte wiederum der bulgarische Journalist Nikolay Staykov für internationale Untersuchungen von Journalistenmorden. Dies würde den Druck auf staatliche Ermittlungsbehörden erhöhen, Fälle wie die Ermordung der bulgarischen Journalistin Viktoria Marinowa und des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi ernsthaft aufzuklären.

Die Frage, wie es um die Presse- und Meinungsfreiheit im digitalen Zeitalter bestellt ist, stand im Mittelpunkt der anschließenden Podiumsdiskussion. "Die Digitalisierung bietet keinen fundamentalen Mehrwert für Demokratie und Teilhabe", lautete das Urteil von FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Menschen, die sich in der Vergangenheit nicht für Freiheit und Demokratie eingesetzt hätten, würden dies auch jetzt nicht tun, nur weil es neue technische Voraussetzungen gebe. Michael Krennerich dagegen argumentierte: "Durch die besseren Möglichkeiten zur Vernetzung und den schier unendlichen Zugang zu Informationen sehe ich in der Digitalisierung durchaus Vorteile."

Gleichwohl verwies auch der Privatdozent am Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen auf die Kehrseite der Medaille: "Natürlich gehört es genauso zur Wahrheit, dass sich in den sozialen Medien auch staatliche Propaganda besser verbreiten und sich die Freiheit ins Gegenteil verkehren lässt, indem der Zugang zum Netz blockiert und die Digitalisierung zur Überwachung genutzt wird."

Letztere ist für Christian Mihr
das meistunterschätzte Problem, gerade bei Journalisten. Vor dem Hintergrund dieser "digitalen Naivität" mahnte der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen: "Die Geheimdienste interessiert es in erster Linie nicht, was ich in einer Mail geschrieben habe. Von Interesse sind vielmehr die Metadaten, wer mit wem, wann und wo kommuniziert."

Ein Grund, warum für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger der kritische und reflektierte Umgang mit der Digitalisierung als zentraler Bestandteil auf den Lehrplänen längst überfällig ist: "Wir müssen junge Menschen darüber aufklären, wie sich die Digitalisierung auf alle Lebensbereiche auswirkt."

Digitale Meinungsfreiheit in der Hand von Monopolisten

Christian Mihr sieht dabei die Politik in der Verantwortung. Seine Forderung: "Wir müssen Algorithmen demokratischer kontrollieren können. Genauso wie es menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen etwa bei Lieferketten gibt, müssen diese in der digitalen Welt gelten." Ein Anliegen, das auch für Michael Krennerich unumgänglich ist: "Es ist beinahe schon paradox, dass wir auf Monopolisten wie Google oder Facebook angewiesen sind, wenn wir unsere digitale Meinungsfreiheit ausüben wollen."

Auch Nikolay Staykov kennt viele Beispiele, wie in seinem Heimatland Konzerne und Politik zusammenarbeiten, um Medienschaffende zu kontrollieren. Sein Befund: "Zwar hat auch Bulgarien die Allgemeine Erklärung für Menschenrechte unterzeichnet, aber der Geist dieser Erklärung ist nicht in den Köpfen angekommen, speziell in Bezug auf die Pressefreiheit." Doch auch in Deutschland gebe es Nachholbedarf, betonte Christian Mihr: "Was die Informationsfreiheitsgesetze betrifft, gehört Deutschland weltweit zu den Schlusslichtern. Skandinavien ist da viel fortschrittlicher, wenn es um das Recht geht, eine Behördenauskunft zu bekommen."

Keine Kommentare