Wie man älter wird und jung bleibt

3.11.2016, 17:32 Uhr
Ihr sieht man das Alter nicht an: Schauspielerin Iris Berben (66 Jahre, links Matthias Schweighöfe, rechts Helge Schneider)

Ihr sieht man das Alter nicht an: Schauspielerin Iris Berben (66 Jahre, links Matthias Schweighöfe, rechts Helge Schneider)

Herr Voelpel, Sie haben einmal gesagt, dass nur 20 bis 30 Prozent des Alterungsprozesses genetisch beeinflusst werden, der Rest ist Umwelt und Kopfsache. Lässt sich das wissenschaftlich belegen?

Sven Voelpel: Ja, es gibt biologische Belege. Die Forschung geht sogar immer weiter runter mit den Zahlen. Früher dachte man, dass viel mehr determiniert ist. Von den Genen, aber auch durch die soziale Umwelt. Wie ich von meinen Eltern sozialisiert werde, von Erzieherinnen und Lehrern, das sind alles Einflüsse. Aber ich würde inzwischen davon ausgehen, dass beim Altern nur zehn Prozent genetisch determiniert sind.

Eine erstaunlich niedrige Zahl. Es fühlt sich nach mehr an, auch wenn man sich fit fühlt.

Voelpel: Wir fühlen uns ja eigentlich immer jünger als wir sind, und erschrecken dann vielleicht mal beim Blick in den Spiegel. Repräsentative Befragungen auch bei über 70-Jährigen zeigen, so geht das den meisten. Aber man bekommt auch Zipperlein, das sind die Alterungsprozesse. Vor allem handelt es sich da um verschiedene Entzündungsherde im Körper. Da kann man aber wahnsinnig viel gegensteuern, mit Ernährung, mit Bewegung, mit Denkweisen. Ich achte extrem auf eine gesunde Ernährung. Mit Ingwer und Kurkuma etwa kann man vielen Entzündungen vorbeugen, das geht von Rheuma über Gastritis bis zu Alzheimer, wo es ja zu Entzündungen im Gehirn kommt.

Wenn der größte Teil des Alterungsprozesses Kopfsache ist: Wie bekommt man eine positive Einstellung zum Thema Alter?

Voelpel: Erst einmal muss man sich dessen bewusst werden, dass wir alle negative Altersstereotypen haben. Wir lernen überall einen Jugendwahn – von unseren Verwandten, Bekannten und Freunden ebenso aus den Medien. Jugendwahn heißt, nur zu denken, im Alter hat man Abbauprozesse, da geht alles schlechter. Und das ist schlichtweg falsch. Natürlich gibt es Sachen, die schlechter werden, etwa einige körperliche Funktionen: Da geht es ab 40 abwärts, damit schockiere ich immer gerne zu Beginn meiner Vorträge. Nierenfunktionen, Herz-Kreislauf-Funktionen, Lungenvolumen, Muskeln, all diese Dinge. Auf Aufnahmen sieht man auch, dass das Gehirn löchriger wird, das Volumen wird weniger. Im emotionalen Bereich lassen wir auch nach, haben immer weniger soziale Kontakte und pflegen sie seltener.

Und die guten Nachrichten?

Sven Voelpel ist Alterforscher und empfiehlt einen gesunden Blick auf das Älterwerden.

Sven Voelpel ist Alterforscher und empfiehlt einen gesunden Blick auf das Älterwerden.

Voelpel: Die gute Nachricht ist, dass wir extrem viel steuern
können. Alleine das Bewusstsein darüber, wie wir denken, führt schon zu einer Verbesserung. Und dann können wir auf die vielen positiven Aspekte des Alterns sehen. Zum Beispiel, dafür müssen wir gar nichts tun, werden wir Menschen laut mehreren Studien mit zunehmendem Alter immer glücklicher. Wir werden gelassener und erfahrener, emotional stabiler.

Manche werden aber auch verbitterter.

Voelpel: Ja, manche schon, und genau da setzt der Hebel an. Die Einstellung ist ganz entscheidend. In der Psychologie spricht man von der Selbstwirksamkeit. Mit einer positiven Einstellung erreicht man sein Ziel viel leichter. Und ich stelle mich darauf ein, was aus Untersuchungen bekannt ist: Im Alter geht auch vieles besser.

Spricht sich das auch langsam in den Unternehmen herum?

Voelpel: Eine Untersuchung in Unternehmen in ganz Finnland hat gezeigt: Wenn die Führungskräfte eine negative Einstellung zum Alter ihrer Mitarbeiter haben, nimmt deren Leistungsfähigkeit ab. Und bei einer positiven Einstellung nimmt sie zu. Ich arbeite zum Beispiel sehr intensiv mit Mercedes-Benz in Bremen zusammen. Das ist nicht nur bei Daimler, sondern in der weltweiten Automobilindustrie das Werk mit dem höchsten Altersdurchschnitt. Und es ist das produktivste Werk.

Was wird dort anders gemacht?

Voelpel: Wir haben zum Beispiel einen Vortrag von mir in eine Mitmach-Ausstellung umgesetzt. Da geht man hinein mit seiner negativen Einstellung zum Alter und lernt sich genauer kennen, sein biologisches und psychologisches Alter. Und wir setzen Programme um, wie Jung und Alt erfolgreich zusammenarbeiten. Man hat im Alter andere Kompetenzen, die sich aber super mit denen der Jüngeren ergänzen. Jüngere sind vielleicht motivierter und engagierter, Ältere sind emotional stabiler. Die Jüngeren punkten mit mehr Wissen aus ihrer Ausbildung, die Älteren mit mehr Erfahrungswissen. Jüngere verfolgen eher radikale Innovationen mit einer Vielzahl von Ideen. Die Älteren haben funktionale Ideen, die auf Prozessen und ihren Erfahrungen basieren. Sie wissen daher gut, welche radikalen Ideen der Jüngeren sich am besten mit ihrem entsprechenden Netzwerk umsetzen lassen. So ergänzen sich Junge und Alte, wenn sie zusammen arbeiten.

Das Buch von Sven Voelpel entwickelt sich zum Bestseller

Das Buch von Sven Voelpel entwickelt sich zum Bestseller

Das gilt aber nicht für alle Branchen. In manchen Jobs kann man auch einfach körperlich nicht mehr mithalten.

Voelpel: Unsere Umfrage an der Jacobs University bei Berufstätigen Mitte 50 zeigte, sie wollten alle in den Ruhestand gehen. Und alle, die in den Ruhestand gegangen sind, wollen wieder arbeiten – aber keiner Vollzeit, sondern flexibel. Wir brauchen in Zukunft viel mehr Flexibilität, skandinavische Länder machen das vor. Es ist ja absurd, dass man bei uns mit 67 oder dann 70 in den Ruhestand gehen muss. Alle zur gleichen Zeit, bei völlig verschiedenen Berufen, Dachdecker und Fliesenleger genauso wie Professoren. Wir haben so eine große Produktivitätssteigerung in allen Industrien, im Grunde könnte jeder mit 50 in den Ruhestand gehen, das ist eine Frage der sinnvollen Umverteilung. Ein Nobelpreisträger klagt mit 67, dass er weiter arbeiten will und darf es nicht. Und ein anderer muss Fliesen legen bis 67, das ist doch unsinnig. Der soll früher damit aufhören – aber dann etwas anderes tun. Wer rastet, der rostet.

Sie warnen dringend vor dem Rasten und Rosten im Ruhestand.

Voelpel: Es gibt Studien zum Eintritt ins hohe Alter, in denen wurden drei Gruppen untersucht: Die eine Gruppe arbeitet weiter, bei diesen Teilnehmern bleibt der Blutfluss im Gehirn konstant. Die zwei anderen Gruppen gehen beide in den Ruhestand, die eine aktiv, die andere passiv. Wer aktiv in den Ruhestand geht, bei dem geht es in den ersten zwei Jahren aufwärts, der Blutfluss im Gehirn steigt. Diese Leute engagieren sich sozial, üben ein Ehrenamt aus, gehen in Musik- oder Sportvereine, sind aktiv und machen, was ihnen Spaß macht.

So malt man sich das ja aus.

Voelpel: Viele denken, im Ruhestand verbringen wir die Zeit mit Freunden, Familie, Hobbys. Wenn man das aber nicht gezielt angeht, dann macht man eben keine Kreuzfahrten, sondern ruht sich erst mal aus und kommt dann in einen Trott rein. Das passiert der dritten Gruppe: Der Blutfluss im Gehirn fällt von Jahr zu Jahr drastisch ab. Die Folgen können Herzinfarkt, Gehirnschlag oder Depressionen sein. Die Menschen im passiven Ruhestand haben die höchste Krankheitsrate und fühlen sich nicht wertgeschätzt.

Also muss man dem Trott gegensteuern.

Voelpel: Das ist auch wieder Kopfsache. Jeder muss etwas finden, was ein Eigeninteresse hat, was fasziniert. Ein Hobby, Sport, ein Instrument: Solche Aktivitäten und soziale Interaktionen soll man nicht zurückfahren, sondern dranbleiben — und auch etwas Neues lernen
oder machen, zum Beispiel reisen. Alle Menschen, die wirklich alt geworden sind, haben etwas gemeinsam: Neugierde und Freude am Leben. Die fangen mit 85 an zu fechten und fahren noch selber Rad bis über hundert. Der älteste Marathonläufer ist 101 Jahre alt. Die meisten von uns können gar keinen Marathon laufen, und er zeigt uns, was im hohen Alter noch geht. Es gibt eine wahnsinnige Plastizität, und die können wir nutzen. Man muss sich einfach etwas zutrauen und loslegen. Wer motiviert etwas Neues startet, macht ganz schnell erstaunliche Fortschritte.

Das klingt gut, aber auch anstrengend. Wo bleibt der Genuss?

Voelpel: Ja, der ist zentral wichtig. Ich liebe zum Beispiel Essen. Da setze ich aber auf höchste Qualität. Dann habe ich den Genuss und bin zugleich leistungsfähig. Bei unseren Einstufungstests ist es übrigens so, dass die Leute, die ein bisschen Alkohol trinken, jünger eingestuft werden als jene, die gar nichts trinken. Ein Wein am Abend kann ja sehr gemütlich sein, und man soll lieber entspannt älter werden als "sich einen abzubrechen". Lebensfreude ist ganz wichtig. Um gelassen, glücklich und entspannt alt zu werden, gilt es sein Leben in vollen Zügen zu genießen.

 

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