Wie Nazis Jugendliche im Internet ködern

24.11.2011, 07:15 Uhr
Wie Nazis Jugendliche im Internet ködern

Die Leiche des Nürnberger Blumenhändlers erscheint ebenfalls in Großaufnahme, wenige Sekunden später abgelöst durch arglos anmutende Zeichentrick-Szenen. Die Rechts-Terroristen haben das Schreckliche perfekt auf perfide Weise inszeniert – ansprechend sicher auch für Heranwachsende.

Rechtsextremes Gedankengut jugendgerecht verpackt: Diese Masche hat im Internet Methode. Neonazis rekrutieren ihren Nachwuchs dort, wo er sich aufhält: entweder vor Schulgebäuden – oder auf Online-Plattformen wie Facebook und YouTube. „Das Internet ist heute für Rechtsextremisten Propagandaplattform Nummer eins“, bestätigt denn auch Michael Wörner-Schappert von der Länder-Zentralstelle „jugendschutz.net“. Jugendliche würden gezielt durch Videos mit fetziger Musik und schnellen Schnitten oder über Symbolsprache angeworben, erklärt der Experte aus dem Referat Rechtsextremismus. Oftmals werden dazu Styling und Parolen aus anderen Jugendszenen kopiert.

Dabei täuschten Neonazis häufig vor, sich um jugendspezifische Themen und Events zu kümmern. „Vermittelt aber“, betont der Experte im NZ-Gespräch, „werden dabei menschenverachtende und antidemokratische Vorstellungen“. Das einzige Ziel sei, Hass zu verbreiten und junge Menschen für den Rechtsextremismus zu gewinnen.

Der politische Hintergrund ist den einschlägigen Trailern und Netzseiten aber nicht immer sofort anzumerken. Sogenannte Gutenachtgeschichten für Kinder transportieren gewaltverherrlichende Liedtexte. In „Schlaf- und Kinderliedern“ wird der Holocaust geleugnet und zum Mord an Juden und Schwarzen aufgerufen. Auch die Botschaften, die Neonazis in sozialen Netzwerken wie Facebook oder SchülerVZ sowie in Diensten wie Twitter verbreiten, entsprechen schon lange nicht mehr den Vorstellungen des klassischen Nazis: In den Videos sind nicht mehr glatzköpfige, bierselige Schlägertypen zu sehen. Vielmehr wird – so die Beobachtung von „jugendschutz.net“ – eine Welt angeboten, die Jugendliche als attraktiv erleben. Dabei geht es aber nie nur um Spaß, sondern stets um die Vermittlung rassistischer oder geschichtsfälschender Einstellungen.

Die Zunahme dieser Seiten ist alarmierend. Eine verstärkte Ausnutzung der Internet-Dienste, der wachsende Profilierungsgrad und die subtil gehaltenen Angebote haben das Gefahrenpotenzial zusätzlich gesteigert, betont Wörner-Schappert. Allein in ihrem aktuellen Bericht hat die Organisation „jugendschutz.net“ für das vergangene Jahr 6000 rechtsextreme Beiträge im Web 2.0 dokumentiert – dreimal so viele wie im Vorjahr. Als „Verfasser“ dienten vor allem „Autonome Nationalisten“, eine Gruppe, die sich mit Sonnenbrille und Kapuzenpulli ähnlich kleidet wie linke Autonome. Diese verbinden ihre Multimedia-Beiträge mit Action, Kommunikation und Multimedia. Die NPD wirbt ebenfalls nicht mehr nur auf knapp 250 Webseiten um ein jugendliches Publikum, sondern längst mit Beiträgen in Communities und auf Video-Plattformen. Sorgen bereiten den Jugendschützern zudem die sehr hohen Zugriffszahlen. Ein aktueller Clip, der Fackelträger beim nächtlichen Marsch durch leere Straßen zeigt, erzielte binnen weniger Wochen über 20000 Klicks. Noch größer ist der Zuspruch, wenn es um besonders emotionale Themen geht: Ein rechtsextremes Musikvideo zum Kindesmissbrauch wurde bislang knapp 900000-mal aufgerufen.

Eine Maßnahme, der braunen Propaganda im Netz zu begegnen, setzt bei den Jugendlichen an. Zahlreiche Vereine und Organisationen wie zum Beispiel „No-nazi.net“ wenden sich auf ihren Homepages dezidiert an Jugendliche. Die jugendlichen Surfer bekommen dort ausreichend Argumente gegen Ausländerfeindlichkeit in die Hand.

Wörner-Schappert nimmt darüberhinaus die User in die Verantwortung. Die Internet-Gemeinde dürfe Diskriminierung nicht dulden, fordert er. Mit einem Meldebutton sei es etwa für Facebook-Nutzer sehr einfach, die jeweiligen Plattform-Betreiber über rechtsextreme Profile oder Kommentare zu informieren. Falls das erfolglos bleibt, kann auch „jugendschutz. net“ aktiv werden: „In vielen Fällen“, sagt Wörner-Schappert, „erreichen wir die Entfernung rechtsextremer Inhalte.“

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