Wie Trump auch die Freunde der Freiheit mobilisiert

2.12.2016, 20:42 Uhr
Wie Trump auch die Freunde der Freiheit mobilisiert

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Herr Welzer, Sie zitieren gerade in einem Sammelband einen Buchtitel, den viele wohl nicht mehr kennen: Karl Poppers "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde". Darin beschrieb er auch die Ängste, die viele vor der Freiheit, vielleicht auch zu viel Freiheit(en) haben. Haben wir zu viel Freiheit, weil momentan derart viel Angst und Wut zu sehen ist?

Welzer: Das glaube ich nicht. Stimmt der Befund, dass es so viel Angst und Wut gibt? Oder sind die nur medial total überrepräsentiert? Und dann muss man immer sehen, dass Freiheit nicht nur etwas Schönes und Wünschenswertes ist, sondern dass sie an vielen Stellen auch mit Belastungen einhergeht.

Freiheit bedeutet ja auch: Man muss für sich selber Verantwortung tragen, selbst entscheiden – das nimmt einem niemand ab. Und davon suchen manche Menschen Entlastung - "escape from freedom", Entkommen oder auch Flucht vor der Freiheit, wie Erich Fromm das genannt hat.

Wir spüren bei uns in Reaktionen einiger Leser durchaus mehr Wut, teils auch Hass als früher...

Wie Trump auch die Freunde der Freiheit mobilisiert

© Stefan Hippel

Welzer: Das geht mir genau so, aber die Frage ist: Wer handelt so? Wie groß ist der Bevölkerungsanteil, der sich dazu aufgerufen fühlt, sich so zu verhalten? Das sind nicht viele. Die haben dadurch, dass sie Grenzen und Konventionen verletzen, dass sie laut schreien, dass sie Dinge behaupten, die nicht wahr sind, mehr Aufmerksamkeit als die, die sich zivilisiert verhalten.

Diese „Normalen“ bleiben auch normal, die Rechten radikalisieren sich, das zeigen auch jüngste Studien. Was heißt das eigentlich? Dass der Umgang mit den Rechten falsch ist.

Sie kriegen zu viel Aufmerksamkeit?

Welzer: Viel zu viel Aufmerksamkeit. Viel zu viele Zugeständnisse. Viel zu großes Hereinfallen auf das Marketing der Rechten – auf deren These etwa, alle Leute hätten Angst. Diese Aussage ist doch gar nicht gedeckt – sondern man muss den Anführern der Rechten entgegnen: Ihr nutzt Angst und Wut als Marketing. Ihr selbst habt doch gar keine Angst. Nein, das ist einfach ein supergutes Marketing, bekannt seit Jörg Haider. Und leider werden diese Leute hochgejazzt.

Sie setzen Popper quasi fort – mit einem Band und einer Initiative namens "Die offene Gesellschaft und ihre Freunde". Wer zählt alles zu diesen Freunden, melden die sich bisher zu wenig zu Wort?

Welzer: Die melden sich zu wenig zu Wort. Aus zwei Gründen. Erstens: Wir sind es nicht gewohnt, für etwas einzutreten – wir sind alle unglaublich routiniert im Dagegen-Sein und Kritisieren, aber völlig ungeübt im Dafür-Sein. Zweitens: Die Demokratie braucht besonders dann, wenn sie stärkeren Gegenwind bekommt, Freundinnen und Freunde. Die Weimarer Republik ist ja nicht an der Überzahl ihrer Feinde zugrunde gegangen, sondern aus Mangel an Freunden. Das darf sich nicht wiederholen. Mit unserer Initiative gewinnen wir sehr viele Freunde – wir haben bisher über 3000 Anmeldungen.

Hat Donald Trumps Wahl da einen Ausschlag gegeben?

Welzer: Ja, da kamen ein paar hundert Leute dezidiert nach oder wegen Trump. Es sind danach ja auch wieder mehr Menschen in Parteien eingetreten. Offenbar gibt es doch ein Bewusstsein dafür, dass die Demokratie gefährdet sein kann.

Kann Trump da sogar ein positiver Schub für die Verfechter der Demokratie sein?

Welzer: Wenn es an der Person irgendetwas Positives gibt, dann vielleicht diesen Effekt.

Die Flüchtlingsfrage war auch ein Hauptfaktor für das Entstehen oder Erstarken rechtspopulistischer Parteien in ganz Europa – und die "Etablierten" suchen händeringend nach Rezepten, wie sie dagegen ankommen. Haben Sie Ratschläge?

Welzer: Sie müssen selber Themen setzen. Die Normalbevölkerung, auch das zeigen Studien, hat gegen die Flüchtlingspolitik ja gar nichts einzuwenden - 80 Prozent sagen, das ist okay. Aber wir hören seit Monaten trotzdem nichts anderes als die angeblich riesige Integrationsproblematik. Dabei ist doch unser Land nichts anderes als das Mischungsergebnis von Menschen, die mal von irgendwoher gekommen sind. Anders ist die Geschichte dieses Landes überhaupt nicht zu verstehen.

Ich würden den etablierten Parteien zwei Dinge raten: zum einen mal drauf zu gucken, für wen sie eigentlich stehen sollten. Und dann mal bitteschön endlich wieder Themen selber setzen anstatt sich treiben zu lassen von den Rechten. Da gibt es genug Probleme, über die zu reden wäre: die Bildungsungleichheit, das Anwachsen sozialer Ungleichheit, Elitenversagen in den Top-Managements. All das haben die Populisten ja gar nicht ernsthaft auf ihrem Zettel – auch nicht die Frage der ökologischen Transformation. Den Klimawandel gibt es nach deren Weltsicht ja gar nicht.

Da gibt es genug Themen, die vor allem SPD und Grüne aufgreifen könnten – und viele Menschen würden auch gern wissen, wofür die eigentlich stehen.

Genug Stoff zum Streiten ...

Welzer: Ja, aber das haben wir zum Großteil verlernt. Stattdessen triumphiert oft eine paternalistische Haltung, die brisante oder auch nur pointierte Aussagen sofort in Watte packen will. Wenn da Sigmar Gabriel von „Pack“ spricht, gibt es gleich einen Aufschrei. Oder denken Sie an die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Özoguz, die kürzlich allen Ernstes für Augenmaß bei dieser großen Razzia gegen Salafisten warb. Ja, geht’s noch?

Erreicht da eine übertriebene Political Correctness das Gegenteil von dem, was sie will?

Welzer: So ist es. Wenn gewaltbereiter Islamismus als Gefahr erkannt ist, dann gibt es doch nichts Wünschenswerteres, als wenn Rechtsstaat und Polizei dagegen vorgehen. Da um Augenmaß zu bitten, das zerstört doch politische Kultur.

Wie bewerten Sie die Position der CSU in der Flüchtlingsfrage, ihre Dauer-Kritik an einer Unions-Kanzlerin?

Welzer: Seit Seehofer beschlossen hat, dass die Stimmung angeblich kippt und die Flüchtlingspolitik falsch ist, ist das ja sein Alleinstellungsmerkmal unter den etablierten Parteien. Ich halte Seehofer für den gefährlichsten Politiker dieses Landes. Er ist derjenige, der das Geschäft der AfD betreibt. Die Rechten sind nicht das eigentliche Problem, die sind auszuhalten – heikler sind Politiker wie Seehofer auf der einen oder Sahra Wagenknecht von der Linken auf der anderen Seite, die rechte Inhalte auf ihre Mühlen gießen. Und: Im Zweifel wird immer das Original gewählt, nicht die Kopie. Die Zustimmung zu Seehofer ist bei AfD-Anhängern am höchsten – aber die wählen ihn nicht, warum sollten sie auch,wenn sie das Original haben?

Geschichte muss nicht immer ein Fortschritt sein, sie kann sich auch zurückentwickeln. Leben wir gerade in solch einer Phase des Roll Back?

Welzer: Sieht so aus. Zum Glück noch nicht in Deutschland. Aber in Österreich ist man kurz davor, in Frankreich auch, in Polen ist man schon kurz dahinter, in Ungarn auch. Die Demokratien sind global nicht auf dem Siegeszug.

Wie erklären Sie sich das?

Welzer: Da erleben wir eine Paradoxie: Wenn ein System sehr erfolgreich ist, vergessen viele oft die Voraussetzungen, auf die es gebaut ist. Gerade in Westdeutschland – da hatten wir 70 Jahre ein Regierungssystem, 70 Jahre Wohlstandssteigerung, keine gravierenden Brüche, keinen Krieg. Alle glauben, das ist dauerhaft stabil – aber das sind Demokratien nie. Deshalb muss man sie nun verteidigen, offensiver.

Gibt es auch einen Überdruss, Langeweile an der nicht so attraktiven parlamentarischen Demokratie?

Welzer: Problematisch ist, dass die Unterschiede der Parteien nicht wirklich sichtbar sind, dass es keine echten Konflikte gibt und sich viele Menschen nicht mit dem Personal der Parteien identifizieren. Da bin ich ja schon wieder froh, dass Angela Merkel nochmal als Kanzlerin antritt. Auch deshalb, weil überhaupt nichts anderes da ist.

Aber da zeigt sich ja auch die Schattenseite dieser Kontinuität. . . und Frank-Walter Steinmeier steht als kommender Bundespräsident quasi schon fest. . .

Welzer: Auch das ist verrückt, aber auch gut, leider, weil es die einzigen beiden sind, die diese Ämter gut ausüben können. Manche Beobachter sehen diese monatelange Suche nach Bewerbern ja eher als Theater, vor allem Jüngere tun sich schwer, das ernst zu nehmen. Weil sie keine inhaltlichen Kontroversen sehen, sondern eher ein ritualisiertes Ringen.

Streiten wir zu wenig?

Welzer: Wir streiten überhaupt nicht mehr. Das ist aber nicht Schuld der Politik, sondern das ist auch Ergebnis einer entpolitisierten Gesellschaft insgesamt, die der Vorstellung huldigt, dass alles eine Win-Win-Situation ist: Jeder gewinnt angeblich, niemand verliert. Das ist aber nun mal nicht so. Und die Demokratie, die offene Gesellschaft lebt vom Konflikt – und wenn der zivilisiert ausgetragen wird, kommt man zu Lösungen.

"Postfaktisch" sei unsere Gesellschaft, heißt es nun immer öfter: Emotionen sind stärker als Vernunft, Argumente und Fakten kommen bei manchen nicht mehr an, Bauchgefühl besiegt den Verstand. Was kann man dagegen tun?

Welzer: Ich würde eher sagen: Es gibt Leute – nehmen Sie Boris Johnson oder Donald Trump — , die lügen. Die existieren nicht in einer postfaktischen Welt, sondern sie lügen, gnadenlos und offensichtlich. Dieses Lügen muss man als Lügen bezeichnen. Da nützen neue Etiketten gar nichts, die verharmlosen das eher. Die Lüge bleibt eine Lüge.

2017 feiern wir das Lutherjahr – mit der ersten Medien-Revolution, Stichwort Buchdruck und Gutenberg. Wie wird die momentan laufende zweite Medienrevolution – Stichwort Digitalisierung – enden?

Welzer: Das ist schwer bis nicht zu beantworten. Im Moment erleben wir aber zweifellos eine Revolution – weil sich Kommunikation derart schnell verändert wie noch nie. Da haben wir keinen historischen Vergleich. Welche Folgen das kurzfristig hat, sehen wir jetzt. Bei der US-Wahl zum Beispiel. Da wird die politische Kultur radikal beeinflusst durch diese Form von Kommunikation. Schlimmer ging's ja nicht mehr.

Was macht diese neue Form der Kommunikation oft so obszön, so aggressiv?

Welzer: Mir scheint, als würden diese Medien einen bestimmten Typus von Menschen besonders anziehen – einen eher negativ gestimmten. Hinzu kommt dieses Agieren im Versteckten, im Geschützten, mit verdecktem Visier, ohne Namensnennung. Das ist eine Hetz-Kommunikation aus dem Hinterhalt.

Wäre das eine notwendige Regel: anonyme Wortmeldungen in den sozialen Netzwerken zu verbieten?

Welzer: Würde ich schon sagen. Aber wer soll das durchsetzen? Was wir jedenfalls sehen: Alle Hoffnungen auf mehr Demokratisierung durchs Internet haben sich als Illusion erwiesen. Wir erleben diese Enge in der Kommunikation, die Filterblase, die Anonymität samt der Angriffe – das sollte man ernsthafter debattieren.

Um die smarte Diktatur zu verhindern, die Sie in Ihrem neuen Buch heraufziehen sehen?

Welzer: Ich bin da etwas frustriert, weil dies ein Thema ist, das schwer zu politisieren ist. Wohl, weil das Angebot des Netzes so attraktiv ist, dass die Menschen einfach nicht darauf verzichten wollen. Das Smartphone ist für die meisten absolut unabdingbar.

Keine Trendwende in Sicht?

Welzer: Ein bisschen Hoffnung setze ich auf die Jüngeren, für die manches in der Smartphone-Welt schon läppisch ist, auch weil sie damit aufwachsen. Da fragen manche: Noch 'ne neue App? Was soll das alles? Bei Jüngeren ist auch Facebook nicht mehr so gefragt – das sind Zeichen, die etwas Mut machen.

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