Wo Albrecht lernte, wie der Hase läuft

23.5.2012, 10:00 Uhr
Wo Albrecht lernte, wie der Hase läuft

© Harald Sippel

Wollte man zu Lebzeiten Dürers (1471–1528) einen Gaul erwerben, bezahlte man in Nürnberg zehn bis 20 Gulden dafür. Man konnte freilich auch anders investieren. Denn für 20 bis 40 Gulden gab’s vom aufstrebenden Albrecht bereits ein kleinformatiges Werk. Die Gäule sind tot, es lebe die Kunst: Der Alte Meister ist heute unbezahlbar.

„Wir nehmen die Zeit unter die Lupe, in der er wurde, wie er war“, begründet Ausstellungskurator Daniel Hess die Beschränkung aufs Frühwerk des Universalkreativen. Unter dem Motto „Der frühe Dürer“ hatte Hess nun die heikle Situation zu lösen, einerseits 120 Leihgaben aus den wichtigsten Museen der Welt nach Nürnberg zu holen, andererseits aber wissenschaftliche Neuigkeiten allgemeinverständlich zu machen.

„Es geht nicht darum, Dürer Fehler nachzuweisen. Es geht darum, ihn zu verstehen“, erklärt Hess den Ansatz. Und tatsächlich wurde sichtbar viel Geist und Ausstellungsarchitektur in das Projekt gesteckt, so dass durch geschickten Aufbau eine warme Kunstatmosphäre entstanden ist.

Als ältestes Stück der Präsentation befindet sich Dürers Meisterblatt „Selbstbildnis als Knabe“ im ersten Ausstellungsbereich. Der Junge fertigte es 1484 nach seinem Spiegelbild mit dem Silberstift in der Werkstatt des Vaters. Wodurch er offenbar einen fruchtbaren Künstlerwettstreit anstachelte. Denn Vater Albrecht – der einer der angesagtesten Goldschmiede im Reich war – antwortete prompt mit einem eigenen Selbstporträt, das nun die Schau bereichert.

Überhaupt wuchs der junge Künstler aus dem Burgviertel im seinerzeit wohl lehrreichsten Kreativmilieu auf; zwischen den Werken der Nachbarschaft steht man im GNM buchstäblich mittendrin. Daniel Hess, der die Schau mit Thomas Eser gemeinsam konzipiert hat, ist davon überzeugt, dass es nicht erst die Italienreise brauchte, um Dürer auf den Stand der modernsten Kunst seiner Zeit zu bringen.

Hans Pleydenwurffs maltechnisch revolutionäres Gemälde „Kreuzabnahme“ (1462) etwa kann in der Ausstellung deutlich machen, dass man in Nürnberg längst wusste, wohin auch bei den Italienern der Hase lief: Durch die Vereinfachung von Massenszenen etwa, durch die Konzentration auf wenige, nun größere Figuren sowie durch die Einbindung von Alltagsgegenständen fand bereits der junge Dürer die Idee von einer neuen Bilddramaturgie.

Weil er ein Händchen fürs Porträtieren hatte, stach Albrecht die Konkurrenz aus – wie Exponate belegen. Seine Tarife hingen jedoch offensichtlich vom Aufwand ab. So auch das Ergebnis. Allein die Mühen, die er in seine „Selbstporträts“ steckte, sind unübertroffen – entsprechend ihr Wert. Bei den Porträts der Tucher-Familie ist gut zu erkennen, wer weniger bereit war zu löhnen und wer mehr.

Kritiker hatte Dürer dabei immer, und es gibt sie bis heute. Als „Studienratsmalerei“ etwa bezeichnete der Künstler Georg Baselitz in den 1980er Jahren den Urheber von so weltberühmten Werken wie „Rasenstück“, „Betende Händen“ und „Feldhase“ – deren Fehlen die Schau gut kompensiert. Ja, und auch Erasmus urteilte, dass Dürer wirklich alles zeigen könne – aber eben nur in Schwarz-Weiß. Die reizvolle Fragestellung, wie Dürer es denn anging, seine unstrittige Qualität als Grafiker auch auf seinen zunächst umstrittenen Ruf als Maler auszuweiten, ist ein spannender Aspekt der Schau.

Das berühmte Bildnisdiptychon, das Dürers Mutter Barbara und seinen Vater Albrecht 1490 zeigt, ist im GNM wie auch andere Werke so gehängt, dass man neben dem von der Vorderseite unabhängigen Bildmotiv auch das zweite Werk auf der Rückseite sieht.

Bei der wissenschaftlichen Durchleuchtung in den Uffizien hat man übrigens dank GNM erstmals Gewissheit darüber erhalten, dass Dürer zuerst den Vater malte; mit der dunkelgrünen Wand im Hintergrund wird eine darunter gemalte Landschaft kaschiert. Beim Mutter-Porträt fehlt dieser Untergrund, doch farblich reagierte der Maler auf das andere Bild mit hellerem Grün.

Dürer verstand es ohnehin früh, die Kunstgriffe seiner Zeit zu nutzen. Rasenstücke oder botanische Hinweise gab es zum Beispiel bereits länger – als Bestandteil von Gesamtkompositionen. Dürer vereinzelte das Motiv. Dank Stichen wie „Vier nackte Frauen“ (1496) und „Adam und Eva“ (1504) galt Dürer als einer der ersten Aktkünstler nördlich der Alpen. Genauso wie er das erste Buch zur Proportionslehre erarbeitete – und damit eine Grundlage für den Kunst-Lehrbetrieb schuf.

Weiter ermöglicht die Ausstellung es, Dürer als Glasmaler näher zu betrachten, ohne auf heitere Motive wie „Hiob auf dem Misthaufen“ (1503/05) zu verzichten – beziehungsweise die entsprechende Altarmalerei aus Frankfurt.

Ein als Rondell angelegtes „Dürer-Labor“ ergänzt die Präsentation. Ob Albrecht denn „ein guter Maler“ gewesen sei, ob er ein eitler Tropf war oder eben, was seine Kunst so kostete, wird darin zum Thema. Geschickter Multimedia-Einsatz hilft dabei, die dreijährige wissenschaftliche Vorarbeit appetitanregend anzuticken.

Nach der Verklärung durch das Stadtmarketing tut die Begegnung mit einem gesunden Maß Kunsthistorikerverstand den Werken des berühmtesten Sohnes der Stadt wohl gut. Seit dem Dürer-Jahr 1971 wurde der Alte Meister nicht mehr so groß gewürdigt. Und dass es andernorts demnächst eine ähnlich hochkarätige Schau geben wird, hält Direktor Ulrich Großmann schon aus konservatorischen Gründen für unwahrscheinlich.

Besonders gelungen präsentiert werden in der Schau die Holzstiche der „Apokalypse“ – als Originale wie auch als Projektion. Als Dürer dieses Buchwerk um 1500 veröffentlichte, da war er 30 Jahre alt – und wurde zum Star. Die Ausstellung bebildert seinen Werdegang sehenswert.

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