Ziel Europawahl: "Messie-Partei" startet in Bayern durch

7.12.2018, 10:20 Uhr
Ziel Europawahl:

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Messie ist eines jener Wörter, die aus dem Englischen abgeleitet sind, aber dort gar nicht verwendet werden. Mess ist der Ausdruck für Unordnung, der sich zunächst als Schimpfwort mit Messie im Deutschen einbürgert hat. Das im Englischen gebräuchliche Wort für die Störung – "hoarding" für horten – trifft das Problem mindestens genauso gut.

Und was die Sammelwut anrichtet, das weiß Michael Schröter (66) genau. 500 Fälle von vermüllten Wohnungen hat er erlebt. Erst bei seiner Tätigkeit bei der Caritas, jetzt als Leiter der von ihm gegründeten Messie-Akademie in Gauting.

Bundesweit ist er mit seinen Mitarbeitern im Einsatz, um Messies von ihrem oft stinkenden Ballast zu befreien. Weil er häufig in Nürnberg und Fürth unterwegs ist ("noch nie aber in Erlangen und Ansbach"), plant er einen fränkischen Ableger seiner Akademie, die auch Raum für Selbsthilfegruppen bietet.

Als Krankheit anerkennen

Und jetzt will Schröter in die Politik. Die Partei ist gegründet und seither von neun auf 14 Mitglieder gewachsen. 4000 Unterschriften benötigt er für die Zulassung beim Bundeswahlleiter.

Seine Motivation: "In keinem Programm der politisch relevanten Parteien steht auch nur ein Satz zum Messie-Syndrom. Wir wollen, dass dieses Verhalten als Krankheit anerkannt wird." Ihn stört, dass Messies nur als "schmutzig und faul" wahrgenommen werden und die Störung noch nicht einmal als Fachgebiet ins Psychologiestudium aufgenommen ist. "Viele schämen sich unendlich."


Warum Messies nichts wegwerfen


Wie groß das Problem ist, zeigen Schätzungen. 1,8 Millionen Messies soll es in Deutschland geben, mehrere Hunderttausend davon im Freistaat. Für Wohnungsbaugesellschaften oder auch andere Vermieter sind die vermüllten Wohnungen mittlerweile ein riesiges Problem. Aber oft bleiben die Wohnungseigentümer auf ihren Kosten sitzen.

Stinkende Wohnungen

Therapien für Messies, so Schröter, gebe es kaum. Oft wird eine Depression diagnostiziert, um die Behandlung abrechnen zu können.

Was treibt Schröter an, dass er in stinkende Wohnungen geht? Seine Arbeit sieht er als christliche Pflicht, er räumt auch ein, dass er sich nicht nur ehrenamtlich mit Messies beschäftigt. 2000 bis 10 000 Euro kostet es, die Lebensumstände eines notorischen Sammlers zu normalisieren. Da gibt es freilich auch noch andere Anbieter auf dem Markt.

Drei bis vier Wohnungen schafft Schröter pro Monat mit seinem Team. Dazu gehört erst einmal, die Wohnung von Ungeziefer und Unrat zu befreien.

"Jeder Fall ist anders", sagt Schröter. Die einen sammeln Lebensmittel, andere ersticken im Abfall, große Probleme gibt es mit Haustieren, wenn etwa 30 Katzen in einer kleinen Wohnung leben.

Aufräumen reicht nicht

Oft zahlen die Messies die Hilfe selbst, manchmal springt das Sozialamt ein. Auch Wohnungsbaugesellschaften begleichen das Honorar gerne, wenn sie damit die Stimmung in einem Haus befrieden können; denn der Gestank macht vor der Wohnungstür nicht halt.

Doch mit Aufräumen ist es nicht getan. Die Rückfallquote sei enorm. Schröter wünscht sich daher mehr Betreuer und Therapeuten für seine Klienten — auch das war für ihn Antrieb, die Messie-Partei zu gründen.

Aber sind wir nicht alle ein bisschen Messies? Schröter schmunzelt und erzählt von seinem vollgestellten Keller. Ja, und das Chaos in seinem Jugendzimmer habe seiner Mutter auch nie gefallen: "Das ist normal. Messies aber leiden unter ihrer Situation. Deshalb setze ich mich für ihre Belange ein." Schröters Institut in den Geschäftsräumen im alten Gautinger E-Werk wird für Seminare, Fortbildungen und Vorträge zum Thema Messie-Syndrom genutzt. Andererseits ist es eine Anlaufstelle für Menschen mit Vermüllungsproblemen. Sogar aus Nürnberg kommen regelmäßig Betroffene zu den Treffen.

Optimistisch ist Schröter, was die Europawahl angeht. Da gelten nämlich keine Prozenthürden. 2014 schafften es einige Splitterparteien nach Straßburg. Angesichts der hohen Zahl von Betroffenen plus deren Angehörigen hofft er darauf, mit dem bisher von keiner Partei besetzten Thema reichlich Stimmen zu bekommen.

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