Puppen-Kleidchen aus dem Hobbykeller

12.12.2015, 11:00 Uhr
Puppen-Kleidchen aus dem Hobbykeller

Ottilie Regels Reich liegt ein wenig versteckt im Keller ihres Wohnhauses. Eine schmale Wendeltreppe muss man hinabsteigen, um dorthin zu kommen, was gemeinhin als „Hobbyraum“ bezeichnet wird. Eine niedrige Decke hat dieser, durch ein kleines Fenster sieht man ein Stück Rasen und darüber den Himmel. Vor allem aber gibt es hier alles, was die 79-Jährige für ihre liebste Beschäftigung braucht: Drei Nähmaschinen stehen auf einem Tisch an der Wand, darüber hängen kleine Kästchen, aus denen Spitzen und Borten herauslugen. Nebenan, in einer Abstellkammer, stapeln sich Stoffe, die auf Verarbeitung warten.

Ein weiterer Tisch in der Mitte des Raums dient der Ablage und dem Zuschneiden. Beinahe jeden Tag ist Ottilie Regel hier unten — und dabei selten allein. Die andere Hälfte des Kellerzimmers bewohnt nämlich ihr Ehemann Herbert. Zwei Computer mit großen Bildschirmen nennt er sein eigen, dazu mehrere Drucker, die vor allem die Bilder ausspucken, die er zuvor digital bearbeitet hat.

Offensichtlich genießen es die beiden, im Untergeschoss ihren Hobbys nachgehen zu können. „Wir sind richtige Kellerkinder“, gibt Ottilie Regel verschmitzt zu. Das ganze Jahr über arbeitet sie auf zehn Tage im Dezember hin. Dann, während der Altstadtweihnacht auf dem Waagplatz, haben ihre selbst gemachten Dinge ihren großen Auftritt. In ihrer Bude gegenüber der Freibank hängen dann dicht an dicht Kleidchen, Blusen, Röcke, Hosen, Mäntel und Jacken für Puppen jeglicher Größe, außerdem Handpuppen und kleine Häkeltiere. Viele ihrer Kunden bringen extra die Puppe mit, die neu eingekleidet werden soll.

Wer denkt, der größte Anteil ihrer Kunden seien Kinder, täuscht sich. „Das hat sich gewandelt“, sagt Regel. „Inzwischen kommen sehr viele Erwachsene mit ihren alten Puppen, die sie vom Dachboden oder aus dem Keller geholt haben.“ Meistens sind diese Erinnerungsstücke nackt und brauchen dringend angemessene Kleidung. Auch Sonderwünsche versucht die Puppenschneiderin zu erfüllen. Kürzlich etwa brachte eine Frau ein kleines Lederpüppchen vorbei. Es soll nun ein neues, maßgefertigtes Gewand aus Spitze bekommen.

Beheizbare Sohlen

Seit 1991 hat Ottilie Regel ihren Stand auf dem Waagplatz. Eine Nachbarin hat damals ihre Bude aufgegeben, Regel übernahm sie. Mittlerweile allerdings benötigt sie etwas mehr Hilfe als früher. Beispielsweise beim täglichen Auf- und Abbau. Weil der Stand nach Feierabend vorne mit einer Platte verschlossen wird, muss Regel sämtliche Artikel abnehmen, verpacken und bis zum nächsten Tag in der Freibank lagern. Das stundenlange Sitzen in der Bude stört sie wenig. Es wird erträglich mit der passenden Kleidungsschicht; gegen Kälte von unten helfen zudem beheizbare Einlegesohlen für die Schuhe.

Genäht, gehäkelt und gestrickt hat Ottilie Regel, die Buchhalterin und Hausfrau war, ihr ganzes Leben gern. Als Kind schaute sie ihrer Tante an der Nähmaschine über die Schulter und durfte selbst Hand anlegen. Später, als sie selbst drei Kinder hatte, geriet das Hobby in Vergessenheit — bis ihr Mann sie mit einem Bastelset für eine Puppe überraschte. Danach war die Leidenschaft fürs Handarbeiten neu entfacht; Regel bezeichnet sich selbst als „süchtig“.

Fast jeden Tag setzt sie sich an ihre Nähmaschine, um winzige Ärmel an Puppenkleider anzunähen, ein Röckchen zu säumen oder aus Schaumstoff und Frottee das Gesicht einer ihrer Handpuppen zu formen. „Nähen hebt einfach meine Laune“, sagt sie. An Tagen, an denen es nicht so gut läuft, geht sie in den Keller — und bald schon sind die trüben Gedanken vergessen.

Keine Kommentare