20 Monate Haft nach tödlicher Bergkirchweih-Fahrt

18.4.2018, 20:56 Uhr
An der Unfallstelle in Möhrendorf, an der ein radelnder Familienvater sein Leben lassen musste, wurden nach dem Unfall im vergangenen Juni zum Gedenken Blumen aufgestellt.

© Foto: Klaus-Dieter Schreiter An der Unfallstelle in Möhrendorf, an der ein radelnder Familienvater sein Leben lassen musste, wurden nach dem Unfall im vergangenen Juni zum Gedenken Blumen aufgestellt.

Hätte ich doch nur! Wäre ich nur! Es sind Sätze, die an Vergeblichkeit nicht zu überbieten sind - ein junger Polizist bekommt sie nicht aus dem Kopf. Am 1. Juni 2017, es war der erste Tag der Bergkirchweih, beendete er seinen Dienst, fuhr gegen 19 Uhr zur Sparkasse und wollte weiter zu seinem Garten, als er auf der Möhrendorfer Hauptstraße einen weißen Sprinter stehen sah.

Die Fahrertür stand offen, zwei Radfahrer lagen auf dem Asphalt, einer schwer verletzt, der andere nicht mehr bei Bewusstsein. Am Rand saß ein Mann und weinte, er hatte den Unfall verursacht.

Er tat, was er konnte, schildert der Polizist im Amtsgericht Erlangen - er sicherte den Unfallort, sprach die verletzten Männer an und ahnte, dass einer bereits tot war. Um 19.07 Uhr wählte er den Notruf, bat den Fahrer um Ausweis und Führerschein. Um 19.19 Uhr trafen die ersten Rettungskräfte ein - es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, sagt der Zeuge.

Getöteter Radfahrer wäre heuer 60 geworden

Mittlerweile hat der Mitzwanziger den Polizeidienst quittiert. Ihn quält der Gedanke, dass er den Unfall hätte verhindern können - wäre er nicht in die Bank gegangen, sondern direkt zu seinem Garten gefahren, hätte der Sprinter vielleicht sein Fahrzeug auf der Hauptstraße gerammt. Sein Auto hätte eine andere Knautschzone geboten, der Radfahrer könnte noch leben. Hätte. Wäre. Könnte.

"Er hatte noch viel vor", so schrieb die Familie des getöteten Radfahrers in dessen Todesanzeige - heuer hätte der Mann seinen 60. Geburtstag gefeiert. Die Gattin sei gebrochen, sagt Rechtsanwalt Marcus Fischer, er vertritt die Familie als Nebenkläger und erinnert an die Traueranzeige.

Beim Ausparken fast weitere Person verletzt

Hat der Teufel die Karten gemischt, am 1. Juni 2017? "Hätte ich gleich reagiert, wäre all das nicht passiert", kommentiert ein weiterer Zeuge - der Erlanger (75) beobachtete an jenem Abend zufällig durch sein Fenster den späteren Todesfahrer: Der 28-Jährige torkelte auf dem Parkplatz vor dem Anwesen herum, versuchte, ein Auto aufzubrechen und kletterte in den weißen Sprinter - dessen Halter hatte den Wagen gerade gesäubert und die Schlüssel im Schloss stecken lassen. Der 75-Jährige hastete aus seiner Wohnung, wollte den Mann von der Fahrt abhalten. Vergebens.

Der Dieb parkte rückwärts aus, rammte beinahe eine Frau und gab Vollgas. Er sei perplex gewesen, so der Zeuge - doch die Polizei rief er nicht. Er habe den "Jungen nicht in die Pfanne hauen wollen. Ich habe in meiner Jugend selbst Dummheiten gemacht." Als "Dummheit" bagatellisiert der Angeklagte selbst den Unfall nicht - die Schuld lastet schwer auf ihm, gebeugt sitzt er im Gericht, die Reue steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er würde so gerne die Zeit zurückdrehen, schrieb er an die Geschädigten, über seinen Verteidiger Robert Reitzenstein zahlte er bereits 13.000 Euro an die Familien, es solle nur ein Anfang sein, erklärt er.

Filmriss und Erinnerungslücken

Was ihn trieb, an jenem Tag betrunken in ein Auto zu steigen, wisse er selbst nicht. Die "Tradition" des Kastenlaufs kenne er aus dem Studium - heute steht er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Lohn und Brot, er ist nicht vorbestraft, fiel auch im Straßenverkehr nie auf.

Doch an jenem Tag besorgten sich er und ein Kumpel einen Kasten, sie lümmelten wie viele junge Menschen im Wiesengrund. Ein Vollrausch mit Ansage. Am frühen Abend trennten sich die Freunde, der Angeklagte wollte noch auf den Berg. Doch er entwendete den Sprinter, raste über den Radweg nach Möhrendorf. Warum? Ein "Filmriss" sagt er, die Erinnerung sei gelöscht, er hatte fast zwei Promille.

Gefährdung des Straßenverkehrs, fahrlässige Körperverletzung, fahrlässige Tötung und Diebstahl bringen ihm nun 20 Monate Freiheitsstrafe ein. Die Fahrerlaubnis ist weg.

Eine Bewährungsstrafe lehnte Amtsrichter Wolfgang Pelzl zur Verteidigung der Rechtsordnung ab - zwar zweifelt auch er nicht an der Reue des Angeklagten. Doch schon aus Gründen der Generalprävention müsse er in Haft - schon bald sei die Unsitte ("eine Tradition ist das nicht") des Kastenlaufs wieder zu sehen. Wer sich mit Vorsatz besäuft, solle wissen, was passieren kann.