Ein Theaterwunder in der fränkischen Provinz

21.7.2010, 17:22 Uhr
Ein Theaterwunder in der fränkischen Provinz

© www.colourbox.com

Die Premiere ist das jüngste Beispiel für das sogenannte Theaterwunder von Ansbach. Vor drei Jahren noch wäre es undenkbar gewesen, dass ein Stadttheater seiner Stadt Geschichten von ihrer Geschichte erzählt. Kein Wunder, es gab zwar ein propper renoviertes Theatergebäude, aber keine Theatermacher darinnen.

Theatergemeinde wurde immer kleiner

 Seit 1919 sorgt in der mittelfränkischen Bezirkshauptstadt eine Genossenschaft, die heute den Namen »Theater Ansbach – Kultur am Schloss« trägt, für einen Gastspielbetrieb mit Tourneetheatern. Gespielt wurde kaum zwei Dutzend Mal pro Saison, ansonsten zeigte die Genossenschaft im Saal Kinofilme. Die Theatergemeinde war dementsprechend klein. Und wurde zusehends kleiner.

 Vor vier Jahren setzte Carl-Dieter Spranger, der Vorstandsvorsitzende der Kulturgenossenschaft, alles daran, ein eigenes Stadttheater zu etablieren. Der ehemalige Bundesminister ließ sich von Experten beraten und fand Mitstreiter in der Kommunalpolitik. Dann ging es schnell. 2007 war mit Jürgen Eick der Gründungsintendant gefunden. Seit Herbst 2008 läuft der Spielbetrieb, der auf einem Drei-Säulen-Modell basiert: Eigenproduktionen, Koproduktionen und Gastspiele.

Sponsorengelder sind gestiegen

Die Sponsorengelder sind seitdem ebenso gestiegen wie die Zuschauerzahlen – auch wenn ein paar Abonnenten die pensionierten Fernsehstars auf der Bühne vermissen. Jetzt, zum Ende der zweiten Spielzeit, zeichnet sich ab, dass das Theater in Ansbach drauf und dran ist, zu einem Mittelpunkt der Stadt zu werden. Eick, der ein Gespür für die Seelenlage der Stadt hat, macht sein Haus zu einem Ort der Selbstvergewisserung und der Selbstbefragung.

 Die künstlerische Qualität ist hoch. Der regelmäßig ausverkaufte »Faust« zum Beispiel, »Miss Sara Sampson« oder »Ein Winter unterm Tisch« – das sind, wie auch die Klassenzimmerstücke für Jugendliche, Produktionen, die berühren und unter die Haut gehen. Den Vergleich mit etablierten Stadttheatern halten sie aus. Möglich war diese Entwicklung, weil die Stadt Ansbach ihre Zuschüsse deutlich erhöht hat. Inzwischen sind das fast 700.000 Euro, verglichen mit 2006 mehr als das Doppelte.

Hoffnung auf Zuschüsse vom Freistaat

Im Vergleich mit Theatern in anderen 40.000-Einwohner-Städten ist Eicks Etat trotzdem klein. Die Ansbacher Kulturgenossenschaft hofft darum ab 2012 auf Zuschüsse vom Freistaat. Wie hoch die ausfallen, ist offen. Für ein festes Ensemble jedenfalls reichen die Mittel noch nicht. Ein Umstand, den der Intendant zur Tugend erklärt hat: »Mit wenig Mitteln und viel Elan größtmöglichen poetischen Reichtum zu schaffen«. Bisher ist sein Schwung nicht erlahmt.

 Was Eicks Motto meint, lässt sich an der neuen Produktion ablesen. Jürgen Eick hat den Künstler und Schriftsteller Gerd Scherm, der in Binzwangen bei Colmberg lebt, für ein Stück mit einem regionalen Thema gewonnen. Scherm verfasste ein faktenreiches Porträtstück über Alexander, den letzten Ansbacher Markgrafen. Alexanders ehemaliger Hofnarr besucht den Regenten zwei Stunden vor seinem Tod. Erinnerungen an Erfolge und Niederlagen werden wach und als konfliktträchtige Rückblenden sichtbar.

Brennend Aktuelles

Einem mäßigen Ensemble wäre die Spielvorlage unter der Hand zum Seminar für Regionalhistoriker vertrocknet. Eick und seine neun Schauspieler kneten den Text mit so vielen eigenen Einfällen durch, dass die ledernen Geschichtsdetails geschmeidig werden. Die Lebensbilanz eines Provinzfürsten wird zur sanft skurrilen Erinnerungsrevue.

 Eick arbeitet zudem heraus, dass Scherm im Alexander-Stoff brennend Aktuelles aufgespürt hat. Wenn von Krise, Schulden und Krieg die Rede ist, wirkt das sehr vertraut. Klaus Gramüller als Markgraf und Christian Mark als Hofnarr sind ein prächtig ungleiches Paar. Jeder auf seine Art tragisch, komisch. Durchweg präzis gefasst die Nebenfiguren.

 Das Alexander-Drama war nicht das letzte Stück für Ansbach. Das nächste ist schon in Arbeit. Eick hat das Libretto für ein Kaspar-Hauser-Musical geschrieben, Walter Kiesbauer die Musik. Uraufführung ist am 28. Juli.