Asyl gibt es nicht im Schnelldurchlauf

17.10.2014, 12:34 Uhr
Asyl gibt es nicht im Schnelldurchlauf

© Reuters, Kai Pfaffenbach

In Bayern gibt es zwei zentrale Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge – eine in Zirndorf, eine in München und „Außenstellen“ in Form von Turnhallen und Zelten. Müssen alle Flüchtlinge, die im Freistaat ankommen, dorthin?

Nein, manche werden in andere Bundesländer weitergeschickt. Denn es gibt ein innerdeutsches Quotensystem, den „Königsteiner Schlüssel“, der sich nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft des Bundeslandes richtet. Bayern muss 15,22 Prozent der Flüchtlinge aufnehmen. Ist die Quote erfüllt oder gibt es kein freies Bett in Aufnahmeeinrichtungen, werden die Menschen auf andere Bundesländer verteilt, die die Quote nicht erfüllt haben. Außerdem richtet sich die Zuständigkeit nach dem Herkunftsland. Flüchtlinge aus Hauptherkunftsländern wie Syrien, Eritrea oder Serbien können fast überall betreut werden. Bei der Ukraine wäre das nächstgelegene Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Bundesweit exklusiv zuständig ist Zirndorf für Betroffene zum Beispiel aus Kasachstan, Weißrussland, Rumänien, Sambia, Ost-Timor und Kuba. Innerhalb Bayerns exklusiv unter anderem für Flüchtlinge aus Irak, Iran, Georgien, Bosnien/Herzegowina und Kosovo. Auch unbegleitete Minderjährige werden nicht weitergeleitet, sondern von Jugendämtern betreut.

Auf welchen Fluchtwegen erreichen die Menschen Bayern?

Es gibt drei Hauptrouten nach Bayern. Die derzeit am meisten in den Schlagzeilen stehende ist die aus Italien, wo Flüchtlinge über die Mittelmeerroute ankommen. Wenn die Züge aus Genua in München eintreffen, sind dort Polizeibeamte im Einsatz, die bei der Registrierung und Meldung helfen. Jeder Betroffene kann sich auch selbst beim Einwohnermeldeamt oder der Polizei melden. Viele haben einen Zettel mit der Adresse, den sie zum Beispiel von einem Schleuser bekommen haben. Es gibt zwei weitere Hauptwege nach Bayern: die Balkanroute über Österreich und die Ostroute über Tschechien. „In Bayern kommen mehrere dieser Routen zusammen“, sagt Ursula Gräfin Praschma. Das Wort „Schleuser“ mag die Abteilungsleiterin nicht. Dass viele Flüchtlinge auf ihren oft mühevollen, gefährlichen Wegen auf diese Menschen angewiesen sind, sei aber so, sagt sie ohne Umschweife. Zugleich räumt sie mit dem Vorurteil auf, dass sich ohnehin nur reichere Menschen die Flucht leisten könnten. Es gebe nicht wenige, die sich bei den Schleusern verschuldet hätten. Als Pfand werde dafür oft der Pass einbehalten.

Was passiert in der Erstaufnahmeeinrichtung?

Dort wird die Identität geprüft, die Unterbringung organisiert und eine Gesundheitsuntersuchung durchgeführt. Dazu gehört etwa ein Röntgenbild der Lunge, um Tuberkulose-Fälle auszuschließen. Sollte ein Asylsuchender sehr krank sein, wird er zunächst behandelt, bevor er einen Asylantrag stellen kann. Beim BAMF oder in den Außenstellen wie Zirndorf kann der Asylantrag gestellt werden. Nach einer Belehrung in der Muttersprache werden Fingerabdrücke genommen und ein biometrisches Foto erstellt. Die Fingerabdrücke werden ans Bundeskriminalamt (BKA) weitergeleitet und mit der Eurodac-Datei abgeglichen, der europäischen Datenbank zur Speicherung von Fingerabdrücken. Damit soll verhindert werden, dass ein Asylbewerber in mehreren Staaten einen Antrag stellt.

Laut Dublin-Abkommen muss der Antrag in dem Land gestellt werden, in das jemand zuerst einreist. Wenn sich nachweisen lässt, dass ein Flüchtling über ein anderes Land eingereist ist, was passiert dann?

Dann stellt Deutschland ein Übernahmeersuchen. So lange dieses läuft, wird in Deutschland kein Asylantrag bearbeitet. Stimmt das Ersteinreiseland zu oder lässt es die Antwortfrist von zwei Monaten verstreichen, muss der Flüchtling dorthin zurückgeschickt werden. Es sei denn, er kann Hindernisse geltend machen – dazu gehören ärztlich bestätigte erhebliche Krankheiten oder Mutterschutz. Auch unbegleitete Minderjährige dürfen nicht zurückgeschickt werden.

Wie viele Flüchtlinge hat Deutschland denn tatsächlich in andere EU-Länder zurückgeschickt?

Im Jahr 2013 hätte zum Beispiel Italien 15 000 Flüchtlinge zurücknehmen müssen. Tatsächlich überstellt wurden aber nur 3000. Ein spezielles Agreement gibt es derzeit mit Griechenland. Weil dort kein Asylverfahren durchgeführt werden kann, das BAMF nennt es „systemische Mängel im Asylverfahren“, schickt Deutschland seit 2011 keine Flüchtlinge mehr dorthin zurück. Vielmehr sei es so, dass Deutschland sogar Anfragen aus Griechenland bekommt, wenn dort jemand angibt, er habe bereits Familienangehörige in Deutschland. 341 Flüchtlinge wurden aus diesen Gründen zusätzlich übernommen. 2013 gab es in Deutschland 109 000 Erstanträge auf Asyl bei 35 000 Übernahmeersuchen.

Wenn ein Asylantrag gestellt wurde, sollen bis zur Anhörung höchstens drei Monate vergehen. Warum ist das derzeit nicht einzuhalten?

Weil die Zahl der Flüchtlinge 2014 so hoch ist wie seit den 90er Jahren nicht mehr. Das BAMF hatte im September 270 Entscheider, im Oktober werden 30, im November 35 und im Dezember 15 weitere Entscheider eingestellt. Sie sind Beamte im gehobenen Dienst und haben ein Fachhochschulstudium absolviert. „Jeder Flüchtling muss angehört werden – das geht nicht im Schnelldurchlauf“, sagt Gräfin Praschma. Es kann bis zu vier Stunden oder länger dauern. Mit der Anhörung ist das Verfahren nicht beendet, sondern sie bildet die Grundlage der dann folgenden Entscheidung, bei der sich der Entscheider ein Gesamtbild über den Flüchtling, die Lage im Herkunftsland und seine spezielle Verfolgungssituation machen muss. Das BAMF hat bei der Bearbeitung Prioritäten für bestimmte Länder eingeführt. Dazu gehören die vielen Anträge von Menschen aus den Westbalkanstaaten, die mithilfe des demnächst in Kraft tretenden Asylkompromisses auch schneller abgeschoben werden können. Auch Anträge von Syrern, bei denen die Anerkennungsquote sehr hoch ist, werden bevorzugt bearbeitet, außerdem „Altfälle“. Das führt dazu, dass Betroffene aus anderen Ländern länger warten müssen. Ziel des BAMF bleibe es aber, die Verfahren so schnell wie möglich abzuschließen, versichert Gräfin Praschma. Denn diejenigen, die zu Recht Schutz suchen, wolle man so schnell wie möglich in Integrationskurse schicken – und diejenigen, denen kein Schutz gewährt wird, möglichst bald zurückschicken.

Wie lässt sich überprüfen, woher jemand kommt, wenn kein Pass vorhanden ist?

Hier gibt es schriftliche und mündliche Befragungen, die analysiert werden – bei Bedarf auch von Sprachwissenschaftlern an Universitäten. Etwa, um auszuschließen, dass jemand aus einem sicheren Nachbarland stammt statt wie angegeben aus einem Land, in dem es Verfolgung gibt.

Auf welche Quellen greifen die Entscheider bei der Überprüfung der Fluchtgeschichten zurück?

Das reicht von Lageberichten des Auswärtigen Amtes, von Amnesty International und anderen nicht-staatlichen Organisationen (NGOs) und Analysereferaten im eigenen Haus, die weltweite Presseberichte auswerten, über die BAMF-eigene Länderdatenbank, regelmäßige Länder-Workshops im Haus, zu denen externe Experten eingeladen werden bis hin zu eigenen Leitsätzen für bestimmte Herkunftsländer.

Wie geht das BAMF mit der Gefahr der Einreise von Terroristen um, die sich als Flüchtlinge tarnen – wovor der US-Geheimdienst gewarnt hat?

„Zunächst müssen wir davor warnen, deswegen jetzt alle Flüchtlinge zu diskreditieren, die bei uns Schutz suchen“, sagt Gräfin Praschma. Und natürlich sei es schwierig, solche Menschen zu identifizieren. Schließlich würde ja kein Betroffener bei seiner Anhörung angeben, dass er Terroranschläge plane. Der Datenabgleich beim BKA sei eine wichtige Maßnahme. Sollten BAMF-Mitarbeiter Anhaltspunkte haben, würden das Sicherheitsreferat im eigenen Haus und möglicherweise staatliche Sicherheitsbehörden eingeschaltet. Auch Soziale Netzwerke seien hilfreich.

Wie viele Flüchtlinge wurden 2014 anerkannt?

Bis September beantragten 136 039 Menschen Asyl. 19.434 (22,4 Prozent) wurden nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt, 1462 als Asylberechtigte nach Artikel 16a Grundgesetz. 17.972 bekamen Flüchtlingsschutz. „Asyl oder Flüchtlingsschutz erhält, wem bei Rückkehr ins Heimatland Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe droht“, erklärt Tanja Sichert. „Schutz bekommen außerdem Menschen, denen Verfolgung aus anderen Gründen droht, etwa bei Blutrache, Todesstrafe und Krieg“, erklärt Sichert. Das nennt man dann „subsidiären Schutz“, den 4716 Menschen bekamen. Bei 1495 wurde ein Abschiebungsverbot erteilt, etwa wegen fehlender Existenzsicherung oder Krankheit. Abgelehnt wurden 27.733 Menschen (31,9 Prozent).

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