Babyleichen-Prozess: 14 Jahre Haft für Mutter

20.7.2016, 14:21 Uhr
Babyleichen-Prozess: 14 Jahre Haft für Mutter

© NEWS5 / Ittig

Die acht toten Neugeborenen waren am 13. November 2015 in Wallenfels im Wohnhaus der Eltern gefunden worden. Eines der Babys kam bereits tot zur Welt, bei drei weiteren konnte die Rechtsmedizin aufgrund des Verwesungszustandes nicht mehr feststellen, ob sie lebensfähig gewesen wären.

Nichts werde wieder so sein in Wallenfels, wie es einmal war, sagte Jens Korn, der Bürgermeister der 2800-Einwohner-Gemeinde in Oberfranken, als die  Spurensicherung an jenem 13. November aus dem Wohnhaus an der Hauptstraße die sterblichen Überreste der Babys getragen hatte. Mehr als ein halbes Jahr später, am Vormittag des 20. Juli,  versucht Richter Christoph Gillot im vollbesetzten Sitzungssaal des Landgerichts Coburg zu erklären, was sich im Haus der Familie G. abgespielt hatte.

Seit vergangenen Dienstag hat die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Coburg fünf Tage von morgens bis abends verhandelt, mehr als ein Dutzend Zeugen, zudem eine Psychologin, einen Psychiater und einen Gutachter der Rechtsmedizin gehört. Und die drei Berufsrichter und die beiden Schöffen stimmten der Forderung der Staatsanwaltschaft, Andrea G. wegen Mordes zu verurteilen, nicht zu. Die Staatsanwaltschaft war von Mord aus niederen Beweggründen ausgegangen, die Strafkammer sieht dieses Mordmerkmal nicht als erfüllt an.

Rechtliche Hürden

Die rechtlichen Hürden, um bei Kindstötung zu niederen Beweggründen zu kommen, seien hoch, so Richter Gillot in der Urteilsbegründung: Allein rücksichtslose Interessen des Täters gegenüber seiner Opfer reichten, so der Bundesgerichtshof,  nicht aus, schon allein, weil dies bei jedem Tötungsdelikt so sei.

Andrea G. könne auch von Angst, Ratlosigkeit und Verzweiflung getrieben  gewesen sein, schließlich war sie bereits mehrfache Mutter, denkbar ist,  dass sie ihre Familie nicht verlieren  wollte. Die Frage sei, ob dies extrem selbstsüchtig oder unter Umständen nachvollziehbar sei. Das menschliche Verhalten, so der Richter, sei  nie von nur einem Motiv geprägt, vielmehr von einem ganzen Motivbündel.

"Wenn ein solcher Fall verhandelt wird wie dieser, dann gibt es plötzlich ganz viele, die wissen, was richtig ist: dass hier eine angebliche Horror-Mutter für immer eingesperrt gehört", so der Vorsitzende. Wenn versucht werde, heute ihr Verhalten nachzuvollziehen, habe dies nichts nichts damit zu tun, es zu rechtfertigen, sondern nur mit dem Versuch, es zu verstehen."

Die Frau, damals noch Andrea S., hatte  im November 1989 ihr erstes Kind geboren, bereits diese Schwangerschaft verheimlichte sie ihrem damaligen Freund, ihrem ersten Ehemann, bis zum Tag der Geburt. Ihm hatte sie erzählt, dass sie mit der Pille verhüten würde, und als sie schwanger wurde, behauptete sie ihm gegenüber, unter einem "Myom", einer Wucherung in der Gebärmutter, zu leiden. Nach der Geburt heirateten die beiden, 1994 bekam Andrea S. ihr zweites Kind - von dieser Schwangerschaft erzählte sie ihrem ersten Ehemann erst im 5. Monat.

Viele Schulden

Schon damals, so hatten Zeugen bestätigt, bestellte Andrea S. übermäßig viel Kleidung, machte Schulden. Als sie im Jahr 2000 Johann G. kennenlernte, belog sie auch ihn - erzählte ihm, dass sie mit der Pille verhüten würde. Als sie 2001 Mutter von Zwillingen wurde, und Gerüchte aufkamen, dass sie diese beiden Kinder ihrem ersten Ehemann untergeschoben hätte, bestritt sie dies. Im Sommer 2002, als sie erneut von Johann G. schwanger wurde, verheimlichte sie auch diese Schwangerschaft – erst nach der Entbindung in der Klinik gab sie zu, dass Johann G. der Vater des Kindes ist.

Damals, in der Cafeteria der Klinik, tagte der Familienrat – die Mutter der Angeklagten und Johann G. entschieden, dass sich Andrea sterilisieren lassen müsse. Irgendwann zwischen Sommer und Herbst, das genaue Datum konnte nicht mehr in Erfahrung gebracht werden, fuhr Johann G. die Frau zur Frankenwaldklinik zur Sterilisation. Doch dort setzte sie sich in die Krankenhauskantine und wartete , bis er sie wieder abholte.

Im Oktober 2002 zog sie bei Johann G. in Wallenfels ein. Im Mai April 2003 wurde die damalige Andrea S. geschieden, im Mai 2003 heiratete sie Johann G.  Auch die Hochzeit verheimlichte sie ihrer eigenen Mutter. Im Zeitraum von zehn Jahren, von 2003 bis 2013, brachte Andrea G. acht Kinder zur Welt und tötete sie.

Was wusste Johann G.?

Johann G. hatte vor Gericht zwar über sein Leben gesprochen, zu den Vorwürfen jedoch keine Angaben gemacht. Bei den Geburten, so schilderte Andrea G., sei er nie anwesend gewesen. Sie habe die Kinder im Stehen zur Welt gebracht, meist in der Küche, manchmal im Wohnzimmer.

Der Sex mit Johann G., so hatte sie auch ihrem neuen Freund erzählt, habe nur wenige Minuten gedauert, nackt habe er sie nie gesehen, das Liebesleben fand unter der Bettdecke statt.

Er musste davon ausgehen, dass die Sterilisation im Sommer 2002 geklappt habe, einmal habe sie ihm im Suff von einer Fehlgeburt erzählt, ob sie diese allein durchstand oder mit ärztlicher Hilfe – darüber wurde nie gesprochen. Doch als sie im Jahr 2007 erneut schwanger war, fuhr er sie wieder zu einer Sterilisation, diesmal nach Erlangen. Gleichzeitig sollte eine Abtreibung vorgenommen werden – dass sich Andrea G. heimlich in einer Pension einquartierte und die Klinik nicht aufsuchte, konnte Johann G. nicht wissen.  Als er sie fragte, warum sie zugenommen habe, erklärte sie ihm dies mit den Wechseljahren.

Erst im Jahr 2014, so heißt es in der Urteilsbegründung, habe Johann G. die Frage umgetrieben, ob sich ein totes Kind im Haus befinden könnte - denn wieder hatte Andrea G. ihm im Suff mit von einem Baby erzählt. All dies trieb ihn im Sommer 2014 mit Depressionen zum Psychiater, so die Richter, Johann G. habe zwar "den Kopf in den Sand gesteckt", doch  niemals hätte er jahrelang mit dem Wissen um die acht Babyleichen leben können.
 
Dazu kommt: Auch Andrea G.s Aussage nährt gewaltige Zweifel am Wissensstand  des Johann G.; denn sie hatte bei der Polizei bei ersten Vernehmungen, später beim Ermittlungsrichter und schließlich in der Hauptverhandlung, immer wieder andere Erklärungen präsentiert und widersprüchliche Angaben gemacht, was sie wann ihrem Mann gesagt haben will.