AKW Grafenrheinfeld geht vom Netz – und dann?

27.5.2015, 07:28 Uhr
AKW Grafenrheinfeld geht vom Netz – und dann?

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Südlich von Schweinfurt, am linken Mainufer, steht Deutschlands ältestes noch betriebenes Atomkraftwerk. Doch bald ist Schluss: Früher als geplant zieht Betreiber E.ON den Stecker und nimmt das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld (KKG) vom Netz. Mit Baubeginn 1975 ging das KKG Ende 1981 in Betrieb. Der Druckwasserreaktor der dritten Generation erzeugte nach Betreiberangaben 2014 rund zehn Milliarden Kilowattstunden Strom. Mit dieser Strommenge hat das Kernkraftwerk einen Anteil von circa 14 Prozent an der gesamten Stromerzeugung des Freistaates. Im März 2011 fiel in Folge der Fukushimakatastrophe der Abschaltbeschluss. Die gesetzliche Betriebserlaubnis gilt noch bis Jahresende. Um die Kernbrennstoffsteuer in zweistelliger Millionenhöhe zu sparen, verlegte E.ON die Stilllegung des Reaktors zunächst in die erste Jahreshälfte 2015 und korrigierte den Termin im April aufgrund "der nach dem Winter höheren Restverfügbarkeit an Kernbrennstoff" nun auf Ende Juni 2015.

Zwischenlager bis 2046?

Doch die Stilllegung stellt lediglich die Spitze des Eisbergs dar. Auf sie folgt der, möglicherweise Jahrzehnte andauernde, Prozess der Auflösung des KKG. Zwei Optionen sind dabei denkbar: Ein "sicherer Einschluss" in Form einer Ummantelung des radioaktiven Bereichs für die Dauer von 30 Jahren oder die, nach BR Informationen von E.ON geplante Variante des "direkten Rückbaues" analog zu den AKWs Stade und Würgassen. Dabei sollen die Brennelemente zunächst fünf Jahre im Nasslager bleiben, um anschließend in Castoren verlagert ins benachbarte Zwischenlager mit Betriebserlaubnis bis 2046 zu kommen. Ein Endlagerplatz ist nicht in Sicht. Teile des KKG, wie etwa die beiden 143 Meter hohen Kühltürme, können, bei entsprechenden Genehmigungen, bereits früher abgebaut werden.

Freisetzung von Radioaktivität

Bereits am 9. Mai 2015 veranstaltete das Schweinfurter Aktionsbündnis gegen Atomkraft eine Fachtagung zum Thema Stilllegung. Der Grundtenor geht aus der Pressemitteilung hervor: Beim direkten Rückbau bestehe die Gefahr der Freisetzung von Radioaktivität. So stellte Werner Neumann, Sprecher des Arbeitskreises Energie im wissenschaftlichen Beirat des BUND, fest, „dass mit dem gängigen Freigabekonzept (soll auch vor Ort greifen) ein Verstoß gegen das Minimierungsgebot des Strahlenschutzes“ einhergehe. Außerdem sei das Zwischenlager BELLA verbesserungswürdig, findet die Physikerin Oda Becker: "Die ‚Grenzwerte‘ für radiologische Belastung seien willkürlich festgelegte politische Werte und so nicht zu akzeptieren." Weiterhin sollen bei der Suche eines "risikoarmen Endlagers die Bevölkerung und Umweltverbände mitwirken."

AKW Grafenrheinfeld geht vom Netz – und dann?

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Abseits der Auflösungsfrage wird die kleine Gemeinde Grafenrheinfeld die Konsequenzen der Stilllegung auch in der deutlichen Reduzierung der Gewerbesteuereinnahmen zu spüren bekommen. Der weitere Umgang mit dem Einnahmeausfall und den rund 560 Beschäftigten am Standort ist eine ebenso brennende Frage, wie die ob zukünftig ein Gaskraftwerk im Umfeld des bisherigen KKG Energie liefern kann.

Auch Bamberg atmet auf

Das KKG befindet sich rund 50 Kilometer von Bamberg entfernt. Aufgrund der vorherrschenden Windströme tangiert das hiervon ausgehende Risiko auch die Weltkulturerbestadt. Innerhalb der letzten beiden Jahre gab es sechs meldepflichtige Ereignisse, die allerdings alle unterhalb der siebenstufigen internationalen Skala zur sicherheitstechnischen Bewertung von Vorkommnissen in Kernkraftwerken lagen. Sie werden als "Normalmeldungen" angegeben.

Stadt setzt auf regenerative Quellen

Keine Sorgen machen müssen sich die Bewohner der Domstadt bezüglich der Versorgungssicherheit. Man sehe die Abschaltung nach Angaben von Jan Giersberg von den Stadtwerken "relativ entspannt." Denn die Stadtwerke beziehen ihre Energie seit Jahren im Mix. Nach den neusten Zahlen stammt jede zweite Kilowattstunde aus regenerativen Quellen wie Sonne, Wasser, Wind oder Bioenergie. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt (25,9 %) ist das fast doppelt so viel. Etwa dreiunddreißig Prozent entfallen auf fossile Brennstoffe. Kernkraft macht lediglich ein Sechstel des Energiemix aus. Aus diesen Kennzahlen bilanziert Giersberg: "Nur weil Grafenrheinfeld vom Netz geht, ist nicht mit Engpässen zu rechnen. Unabhängig von der Abschaltung des AKW Grafenrheinfeld ist es unser Ziel, den Anteil aus regenerativen Quellen in unserem Strommix massiv auszubauen."

Schon Ende 2010 hatte der Bamberger Stadtrat auf Initiative von SPD und Grünen eine Resolution gegen eine mögliche Laufzeitverlängerung des KKG eingereicht, knapp viereinhalb Jahre später scheint die Abschaltung so nahe wie nie zuvor. Die nun folgenden Zweifel der Atomkraftgegner am Rückbau und am Grafenrheinfelder Zwischenlager verdeutlichen aber, dass Gesellschaft und Politik das Thema noch nicht komplett abhaken sollten.

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