Bauern-Blues: Immer mehr Landwirte leiden an Burnout

20.3.2019, 06:00 Uhr
Der wirtschaftliche Druck ist nur einer von vielen Gründen dafür, dass psychische Erkrankungen mittlerweile auf Platz zwei in der Erwerbsminderungsstatistik für die Berufsgruppe der Landwirte stehen. (Bearbeitete Montage)

© Jens Büttner/dpa Der wirtschaftliche Druck ist nur einer von vielen Gründen dafür, dass psychische Erkrankungen mittlerweile auf Platz zwei in der Erwerbsminderungsstatistik für die Berufsgruppe der Landwirte stehen. (Bearbeitete Montage)

"Viele Betroffene kommen erst, wenn überhaupt nichts mehr geht", weiß Petra Hempel. Die Sozialtherapeutin behandelt seit Jahren Patienten aus der Landwirtschaft und weiß, dass in dieser Berufsgruppe der innere Antrieb, immer weiterzumachen, besonders ausgeprägt ist. "Wer nichts tut, ist nichts wert" - diese Haltung wird gerade in Familienbetrieben von Generation zu Generation weitergegeben.

Vor zehn Jahren saß der erste Landwirt in Hempels Praxis, inzwischen kommt knapp die Hälfte ihrer Patienten aus dieser Branche - wohl auch deshalb, weil die Expertin zahlreiche Seminare zu diesem Thema veranstaltet und familiär vorbelastet ist. Ihr Schwiegersohn betreibt einen Bauernhof, und da bekommt die Sozialtherapeutin ziemlich ungefiltert mit, wie sich der Druck auf diese Berufsgruppe im Laufe der Jahre kontinuierlich erhöht hat.

Vor allem natürlich der wirtschaftliche Druck, den viele Landwirte durch die Expansion ihrer Betriebe auszugleichen versuchten. "Es gilt das Motto: ,Wachse oder weiche‘, doch ein größerer Hof bedeutet natürlich auch mehr Arbeit", erklärt Hempel. Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes sind Landwirte die Berufsgruppe mit dem höchsten Arbeitszeitaufkommen überhaupt. Im Schnitt ackern sie über 54 Stunden pro Woche und liegen damit rund 13 Stunden über dem durchschnittlichen Pensum von Selbstständigen.

Fritz Kroder kennt zahlreiche Fälle, bei denen der betriebswirtschaftliche Zwang zum Wachstum die Landwirte irgendwann überfordert. "Viele stehen permanent unter Strom, weil natürlich auch das unternehmerische Risiko immer größer wird", berichtet der Mitarbeiter der Landwirtschaftlichen Familienberatung der Erzdiözese Bamberg.

Zum Beispiel haben Bauern aufgrund von Umweltauflagen nur noch sehr kleine Zeitfenster, in denen sie ihre Wiesen mähen und damit Viehfutter produzieren dürfen. "Das Wetter muss passen, und sie dürfen auch nicht zu früh mähen, weil sonst der Eiweißgehalt des Grases zu niedrig ist", erklärt Kroder. Unter Umständen müsse der Landwirt dann zusätzliches Futter teuer einkaufen, und dann stimme die ganze Kalkulation nicht mehr.

Immer mehr Ratsuchende

Acht Landwirtschaftliche Familienberatungen - sieben katholische und eine evangelische - gibt es in Bayern, und bei allen ist die Zahl der Ratsuchenden in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Kroder, der bis 1993 einen Milchviehbetrieb in Neunkirchen am Sand (Kreis Nürnberger Land) hatte und jetzt nur noch im Nebenerwerb Landwirtschaft betreibt, berichtet von einem Zuwachs von 20 Prozent innerhalb des vergangenen Jahres. "Und im Jahr zuvor ist die Zahl der Beratungsfälle um zwölf Prozent gestiegen."

Diese Entwicklung hängt aber wohl nur zum Teil mit Überarbeitung und Existenzängsten zusammen. "Das ist auch eine Generationenfrage. Jüngere tun sich leichter, in Krisensituationen nach Hilfe zu fragen", vermutet Maria Weidenhiller, die die Landwirtschaftliche Familienberatung in der Diözese Eichstätt leitet. Vielen Landwirten falle es schwer, über ihre seelischen Probleme zu reden - "auch weil sie keinen Plan B für ihre berufliche Zukunft haben". So bleiben sie alleine mit sich und ihren Depressionen - bis zum Zusammenbruch.

"Wenn betroffene Landwirte erst einmal in einem Burnout-Seminar sitzen, ist deren Erleichterung umso größer", sagt Petra Hempel. "Dann realisieren sie, dass es vielen anderen genauso geht." Die Sozialtherapeutin sieht auch in der zunehmenden Entfremdung zwischen den deutschen Bauern und den restlichen 97 Prozent der Bevölkerung einen Grund für die wachsenden psychischen Probleme dieser Berufsgruppe.

Der Trend ist eindeutig

Durch das einseitige Wachsen der Betriebe ist aber auch eine Entsolidarisierung unter den Bauern selbst zu beobachten. "Vor 15 Jahren gab es noch sechs Landwirte in dem Ort, in dem meine Tochter und ihr Mann leben, jetzt ist ihr Hof der einzige dort", erzählt die Sozialtherapeutin.

Wie viele Landwirte von Burnout betroffen sind, dazu gibt es keine genauen Zahlen. "Wir haben noch keinen anerkannten Diagnoseschlüssel dafür, so dass wir es statistisch nicht präzise erfassen können", erklärt Michael Holzer von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG). Der Trend ist dennoch eindeutig: In den Jahren 2013 bis 2017 ist der Anteil der Versicherten, die auf Grund psychischer Erkrankungen Erwerbsminderungsrente beziehen, von 17 auf 21 Prozent gestiegen. Burnout, Depressionen und ähnliche Leiden stehen mittlerweile auf Platz zwei in der Erwerbsminderungstatistik der SVLFG.

Die Sozialversicherung der Landwirte, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, hat auf diese bedenkliche Entwicklung unter anderem mit neuen Präventionsangeboten zum Thema "Seelisches Gleichgewicht" reagiert. "Wir haben eine Krisen-Hotline eingerichtet und bieten seit etwa einem Jahr Online-Gesundheitstrainings und intensive Einzelfall-Coachings an", berichtet Holzer, der für die Gesundheitsangebote bei der SVLFG verantwortlich ist.

"Frauen reden, Männer sterben"

Die ersten Erfahrungen seien sehr positiv, viele Betroffene nehmen die Angebote an, und zur Überraschung der Initiatoren sind es wesentlich mehr männliche als weibliche Mitglieder. Denn auch viele Frauen in der Landwirtschaft drohen auszubrennen, doch im Vergleich zum vermeintlich starken Geschlecht gestehen sie sich das früher ein und suchen nach Lösungen. "Frauen reden, Männer sterben", bringt es Michael Holzer auf den Punkt und spielt damit auch auf die vielen Suizidfälle in dieser Berufsgruppe an.

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