Der Glöckner von Neustett

6.8.2011, 00:00 Uhr
Der Glöckner von Neustett

© Horst M. Auer

Das reichsstädtische Rothenburg hatte es im Mittelalter zu beachtlichem Landbesitz gebracht. Die sogenannte Landwehr umfasste ein Territorium von fast 400 Quadratkilometern mit 183 Dörfern, Weilern und Höfen. Zu ihrem Schutz bauten die Rothenburger im Norden und Westen eine Wallanlage, die Landhege. Hegereiter bewachten das Grenzland. Sie wohnten in den Landtürmen, die auch Wachposten und Zollstation waren. Einige dieser wehrhaften Bauwerke sind im Land der Hegereiter noch erhalten, beispielsweise in Großharbach. Ein Landturm mit buchstäblich bewegter Geschichte thront mitten in Neustett bei Adelshofen: Weil er als Beobachtungsposten auf einer benachbarten Anhöhe ausgedient hatte, baute man den Rundturm kurzerhand Stein für Stein ab und im drei Kilometer entfernten Dorf wieder auf.

Auf den Umzug nach Neustett deutet an der Fassade eine kleine Tafel mit dem Rothenburger Wappen und der Jahreszahl 1790 hin. Die hübsche Uhr an der Außenwand und die Glocke auf dem Dach machen den 17 Meter hohen Turm mit der rostbraunen Farbe zu einem Blickfang der Ortschaft im Landkreis Ansbach. Am neuen Platz war der Turm zunächst als Raps- und Ölmühle errichtet worden, erzählt Jürgen Lang. Später entstand im Innern eine Tuchwalke. Vom drehbaren Dach mit den Windmühlflügeln als Antrieb sind noch die Widerlager zu besichtigen.

Die Familie Lang hatte den Rundling 1991 erworben, vollständig entkernt und zu einem Wohngebäude umgebaut. 19 eher kleinformatige Fenster hat der Turm, „alle sind unterschiedlich groß“ und eine Spezialanfertigung. Leicht nachvollziehbar, dass auch bei der Inneneinrichtung Maßarbeit gefragt war: Wegen der kreisrunden Wohnfläche haben die einzelnen Räume auf jeder der vier Etagen recht eigenwillige Grundrisse.

Im Dachgeschoss hat der Turm einen Innendurchmesser von 9,30 Metern, unten dagegen sind es nur 8,70 Meter. „Oben wird die Außenmauer eben dünner“, erläutert Lang. Dass die Mauerstärke im Erdgeschoss stattliche 1,56 Meter beträgt, hat handfeste Vorteile. „Es ist ein angenehmes Raumklima. Im Sommer schön kühl, im Winter gleichbleibend warm“, sagt der 49-Jährige. Ruhig ist es im Turm, wenn auch ein bisschen dunkel. Jedenfalls will Lang mit keinem Hausbesitzer tauschen: „Ich möchte nirgendwo anders wohnen.“

Die Glöckner des Dorfes

Glocke und Uhr des Turms sind seit jeher im kommunalen Besitz. Für den Betrieb sind die Hausherren zuständig. Als Vergütung für Uhr- und Glockendienst stehen der Familie drei Tagwerk Acker und Wiese zu. „Wir sind quasi die Glöckner des Dorfes“, sagt Lang schmunzelnd. Den verbrieften Nießbrauch der landwirtschaftlichen Flächen hat der Neustetter allerdings an die Gemeinde zurückgegeben. Er erhält dafür pro Jahr eine kleine Entschädigung.



Bis vor 30 Jahren wurde die Glocke noch von Hand geläutet, heute übernimmt der automatische Magnetantrieb diese Funktion. Bei Beerdigungen und anderen Familienfeiern muss der 49-Jährige das Läutwerk aber immer noch selbst bedienen. Auch zum Sturmläuten sind die Langs verpflichtet — so wie vor zwei Jahren, als im Dorf ein Feuer wütete. Sonntags gibt die Glocke eine Stunde vor Beginn des Gottesdienstes das Signal, dass es Zeit ist, zum Kirchgang nach Tauberzell unten im Taubertal aufzubrechen. Den Glockenschlag hört die Familie im Turm gar nicht mehr: „Der Schall geht vom Dach direkt nach draußen“, sagt Lang.

Winzer in Tauberzell

Der 49-Jährige ist Winzer und bewirtschaftet in Tauberzell einen 1,5 Hektar großen Weinberg. Ausgebaut werden die insgesamt sechs verschiedenen Rebsorten aber in einem Weingut in Rothenburg. Dort geht auch seine Frau zur Arbeit. Verbindungen zur Tauberstadt unterhält die Familie nicht nur beruflich. Jürgen Lang macht beim Festspiel „Meistertrunk“ mit und hält die Erinnerung an die Rothenburger Landwehr wach: Er ist Mitbegründer des Vereins Hegereiterland und mimt bei manchen festlichen Anlässen im historischen Kostüm des Hegereiters ein Stück Geschichte.
 

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