Der NSU-Prozess 2015: Die Wahrheitsfindung geht weiter

4.1.2015, 13:35 Uhr
Der NSU-Prozess 2015: Die Wahrheitsfindung geht weiter

© dpa

Es ist einer der wichtigsten Strafprozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte, und er begann unter den Augen der Weltöffentlichkeit: Seit dem 6. Mai 2013 wird vor dem Münchner Oberlandesgericht gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte verhandelt. Ein großes Medienereignis ist der Prozess um die Morde und Anschläge des "Nationalsozialistischen Untergrunds"inzwischen nicht mehr. Im schwer geschützten Saal 101 wird aber weiter hart gearbeitet. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und sein Senat sind auf akribischer Wahrheitssuche - bis sie eines Tages ihr Urteil sprechen werden.

Wann das passieren wird, weiß niemand. Das Gericht hat Termine bis Januar 2016 reservieren lassen. Manche Prozessbeobachter glauben aber, dass das nicht reichen wird - und planen für sich schon weiter, bis mindestens Mitte 2016.

Am Montag, 12. Januar, dem 173. Verhandlungstag und dem ersten nach der Weihnachtspause, wird noch einmal ein neues Kapitel aufgeschlagen: Erstmals wird sich das Gericht ausführlich mit dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße beschäftigen, der dem NSU angelastet wird. Bisher waren im Prozess lediglich Videoaufnahmen einer Überwachungskamera in Köln gezeigt worden.

Der mit Nägeln bestückte Sprengsatz detonierte am 9. Juni 2004 vor dem Friseursalon von Özcan Yildirim. Versteckt war er in einem Motorradkoffer auf dem Gepäckträger eines Fahrrads. Das Ziel der Terroristen war laut Anklage, so viele Kunden und Passanten wie möglich in der von türkischen Migranten geprägten Straße zu töten oder zu verletzen. Am Ende wurden 22 Menschen verletzt, einige von ihnen lebensgefährlich.

Als erste Zeugen für den Anschlag sind am 12. Januar drei Beamte des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts geladen. Deutlich emotionaler dürfte es eine Woche später werden: Dann werden die Opfer von damals und ihre behandelnden Ärzte befragt. Und zwar kurz hintereinander und eng - nach Ansicht einiger Beteiligter zu eng - getaktet: rund 30 Zeugen an drei Tagen. Es könnten lange Tage im Münchner Gerichtssaal werden.

Der Anschlag in der Keupstraße ist die letzte Tat des NSU, die vor Gericht bisher nicht zur Sprache gekommen war. Die zehn Morde - neun an ausländischstämmigen Kleinunternehmern, einer an einer deutschen Polizistin - waren schon dran, ein Sprengstoffanschlag auf ein kleines Lebensmittelgeschäft in Köln ebenfalls. Auch das Ende des NSU wurde schon vor Gericht behandelt: der Tag, an dem sich Zschäpes mutmaßliche Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nach einem missglückten Banküberfall in Eisenach umbrachten, der Tag, an dem Zschäpe die gemeinsame Wohnung in Zwickau anzündete.

Auch die Herkunft der Mordwaffe vom Typ "Ceska", mit der die meisten der Morde verübt wurden, wurde ausführlich nachgezeichnet. Das Gericht leuchtete zudem das Umfeld der rechtsextremen Terrorgruppe intensiv aus. Dennoch werden einige Fragen wohl offen bleiben. Viele Zeugen aus der rechtsextremistischen Szene schweigen - wie Zschäpe.

Götzl und sein Senat müssen prüfen, ob Zschäpe von den Morden und Anschlägen des NSU wusste, wie es ihr die Anklage vorwirft. Dann nämlich wäre sie im juristischen Sinne Mittäterin gewesen und könnte, auch wenn sie nicht selbst geschossen hat, als Mörderin bestraft werden. Auch der Mitangeklagte Ralf Wohlleben, der die "Ceska" beschafft haben soll und sich wegen Beihilfe zum Mord verantworten muss, schweigt - und zwingt das Gericht zu umso umfangreicherer Arbeit. Die Suche nach der Wahrheit wird noch lange dauern.

0 Kommentare