Die Unerwünschten: Quälendes Warten in Abschiebehaft

2.6.2014, 20:52 Uhr
Die Unerwünschten: Quälendes Warten in Abschiebehaft

© Franziska Holzschuh

Deutschland, das Land der Träume, ist nur ein paar Meter entfernt. Da wirbt ein Möbel­haus mit Mega-Rabatten. Mit vollen Einkaufstüten in der Hand steigen wohlfrisierte junge Frauen vor dem „Modepark“ in ihre glänzenden Autos. „Europas größte Stunt- und Actionshow“ baut die „Original Mons­ter- Truck“-Show auf. Plakate werben für den Bau eines exklusiven Zehn-Fa­milien- Hauses mit großen Sonnenbal­konen, gerade werden die Mauern hochgezogen. Rapsfelder blühen son­nengelb.

Zwischen all dem warten 36 Män­ner und drei Frauen in einem Beton­bau in Mühldorf am Inn auf ihre Abschiebung. Die Fenster sind vergit­tert, der Hof mit meterhohen, stachel­drahtgesicherten Mauern umschlos­sen. Wer die Häftlinge in ihren Zellen sehen will, muss Ausweis, Handy und Autoschlüssel abgeben, durch eine Sicherheitsschleuse und dann einem Mitarbeiter folgen, der vier Türen nacheinander auf- und sorgfältig wie­der abschließt.

Prüfen der Unterlagen

Dass der Besucher im Zellentrakt angekommen ist, merkt als Erstes seine Nase: Der säuerlich-stechende Geruch von vielen Männern auf engem Raum mischt sich mit kaltem Zigarettenrauch. Dieter Müller klopft an den Türrahmen, steckt den Kopf in den Raum. „Hallo“, sagt er auf Eng­lisch, „wir sind von der katholischen Kirche.“ Am Tisch sitzen fünf Män­ner, vor ihnen ein voller Aschenbe­cher, ein angefangenes Glas Oliven, ein Rätselheft. Im Hintergrund läuft russisches Fernsehen: Panzer fahren, Wladimir Putin gibt ein Interview, eine blonde Moderatorin spricht schnell und viel.

Dieter Müller, 56 Jahre, graue Stop­peln im Gesicht, stellt seinen Ruck­sack auf den Boden. Viele neue Gesich­ter hier, Menschen, die erst seit weni­gen Tagen in der JVA Mühldorf auf ihre Abschiebung warten. Doch auch bei ihnen hat sich herumgesprochen, dass der Ordensbruder vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst jeden Mittwoch in das Gefängnis kommt und sich die Unterlagen der Häftlinge anschaut. „Manchmal kann man noch etwas machen“, sagt Müller und blättert durch Gerichtsurteile und Bescheide von Ausländerbehörden.

Vielleicht auch bei dem jungen Ira­ker, der vor ihm sitzt. Er soll zurück nach Bulgarien. So ist das in der soge­nannten Dublin-Verordnung geregelt: Das Land, in dem ein Asylbewerber zuerst den Boden der EU betritt, ist für ihn und sein Verfahren zuständig. Eigentlich. Doch Deutschland schiebt nicht mehr in jedes EU-Land ab. In manchen Staaten gilt die Situation der Flüchtlinge als zu unsicher, etwa in Griechenland.

Grenzfall Bulgarien

Bulgarien ist ein Grenzfall, die Gerichte urteilen mal im Sinne des Flüchtlings, andere schieben konse­quent ab. Das Verwaltungsgericht München ist eher Bulgarien-skep­tisch, „da kann man wirklich eine Klage versuchen“, sagt Müller, und der Iraker nickt hoffnungsvoll. Der junge Mann will nicht nach Bulga­rien, er will hierbleiben und in Deutschland ein neues Leben begin­nen. Aufforderungen, die Bundesrepu­blik zu verlassen, ignorierte er, wurde von den Behörden aufgegriffen und nach Mühldorf gebracht – nun wartet er, bis die Bundespolizei ihn in einen Flieger nach Sofia setzt.

Um Dieter Müller und seinen Kolle­gen Dominik Matuschek steht inzwi­schen ein Dutzend Männer, viele mit ihren Unterlagen in der Hand. Müller wird sich alle anschauen, nach Form­fehlern suchen, nach Lücken in den Verfügungen. Seit 13 Jahren arbeitet er mit Abschiebehäftlingen, früher in Berlin, seit sechs Jahren in Bayern. Im Laufe der Jahre hat Müller sich eine professionelle Distanz angeeignet. Er fragt selten nach den oft grauenhaften Geschichten hinter den Fällen, auch weil die Zeit bei seinen Besuchen fehlt. Er kann, sagt er, diese Arbeit nur machen, „weil Gott will, dass wir uns für Gerechtigkeit einsetzen“.

In der nächsten Zelle packt Dieter Müller Bibeln und Rosenkränze aus, Bestellungen von seiner letzten Visite. Die Männer hängen sich die Kränze wie glitzernden Modeschmuck um den Hals, posieren, tänzeln, lachen. Doch es genügt eine Kleinigkeit und die Stimmung kippt. Eine Frage nach dem Essen etwa: „Nur Brot, das ist zu hart, das kann ich nicht verdauen“, stöhnt ein Mann, zieht sein Shirt hoch und streckt den prallen Bauch nach vorne. Acht bis zehn Scheiben bekommt jeder pro Tag, dazu abge­packte Butter, Marmelade, Nuss-Nou­gat- Creme und etwas Wurst. Mittags gibt es meist Eintopf. „Zu viel Brot“, klagen die Mithäftlinge, bestürmen Dieter Müller, diskutieren mit dem Aufseher. Es ist laut, es ist hitzig, es ist anstrengend.

„Wissen Sie“, sagt ein Afghane in gepflegtem Englisch, „ein Tag hier fühlt sich an wie ein ganzes Jahr.“ Dann erzählt er, wo er herkommt, von seiner Familie und warum er in Deutschland bleiben will. Er spricht gestenreich und mit großen Augen, doch man versteht kaum ein Wort, son­dern hört fast nur die anderen Häft­linge, die aufgebracht über Brot strei­ten.

Ein Mann im Hungerstreik

Nebenan will ein Tunesier gar nicht mehr essen. Die Anstaltsleitung hatte Dieter Müller auf den Fall hingewie­sen, es bestehe zwar keine Gefahr, doch er solle mit dem Mann reden. „Ich bin im Hungerstreik“, sagt der Tunesier. Er will einen Anwalt, jeman­den, der für ihn vor Gericht zieht, ihn hier rausholt. „Das bringt im Moment nichts“, sagt Dieter Müller, „bei Ihnen läuft alles seinen rechtmäßigen Weg. Ein Anwalt kann da nichts machen.“

Der Tunesier schüttelt den Kopf. Blass sieht er in seiner blauen Häft­lingskleidung aus, ein schmales Gesicht mit dichten dunklen Haaren. „Sobald sich in Ihrem Verfahren eine Lücke auftut und wir eine Chance sehen, schalten wir einen Anwalt ein, wenn Sie jetzt essen“, sagt Müller. Der Tunesier schüttelt den Kopf. „Wenn Sie essen, bekommen Sie wie andere Neuankömmlinge ein Päck­chen Tabak“, sagt Müller. Der Tune­sier schüttelt den Kopf. Müller zuckt mit den Schultern.

„Ich kann die Flüchtlinge nur ein Stück auf ihrem Weg begleiten und für ihre Rechte ein­treten“, sagt er. „Die Entscheidungen trifft aber jeder selbst.“ Eine halbe Stunde und viele durch­gesehene Unterlagen später steht der Tunesier wieder vor Müller: Er wolle Zigaretten, dann werde er den Hunger­streik beenden. Müller nickt. Ein Päckchen Tabak und zwei Päckchen Zigarettenpapier für die nächsten Wochen in Haft. Mehr kann er für den Mann nicht tun.

An der Zellenwand steht dick mit Filzstift geschrieben „Hello Deutsch­land“. Und direkt daneben „Fuck Ger­many“. In diesem Moment, an diesem Ort kann man das irgendwie ver­stehen.

2 Kommentare