Dinkelsbühl erinnert mit Kinderzeche an Dreißigjährigen Krieg

12.5.2018, 05:31 Uhr
Dinkelsbühl erinnert mit Kinderzeche an Dreißigjährigen Krieg

© Foto: Touristik Service Dinkelsbühl

Der Sieger reitet durch das Wörnitztor. Blau-gelbe Wimpel flattern, die Farben Schwedens. Die Stadtoberen stehen demütig und vor Angst schlotternd am Rande und halten den Stadtschlüssel zur Übergabe bereit. Ein paar Fanfaren – und dann aus der Ferne helle Töne, Kinder singen. Der Zug bewegt sich auf den grimmigen Feldherrn Claus Dietrich von Sperreuth zu. Lore sinkt vor dem Pferd des Obristen nieder, fleht darum, Dinkelsbühl nicht zu plündern und anzuzünden. Da fällt der Blick von Sperreuth auf einen blondlockigen Knaben, der ihn an seinen eigenen, jüngst verstorbenen Sohn erinnert. Zu Lore sagt er: "Du führst in Wahrheit eine Schar, mein Kind, bei deren Anblick sich mein Herz erweicht. Um euretwillen sei die Stadt verschont." Es folgt eine Strophe des Chorals "Nun danket alle Gott".

Das ist die Schlussszene des Historienspiels, an dem schwedische Offiziere und Fußvolk teilnehmen, Tross und Marketenderei, Kinderlore und der Rat der damaligen Reichsstadt, Stadtknechte, die berühmte Knabenkapelle, Kindergruppen, die Zunfttanzgruppe – mehr als tausend Dinkelsbühler wirken mit. Und wenn dann endlich Wein und Bier serviert werden, erklingt jenes traditionelle Lied zum alljährlichen Historienspiel: "Leckt’s mi links, leckt’s mi rechts, leckt’s mi kreizweis am Arsch, das is d’r Dinklschbilla Kind’rzecha-Marsch."

Kinderzeche ist bis heute Bürgerfest

Ein Münchner Dramaturg ist für diese "formvollendete Geschichtsfälschung" verantwortlich, schreibt der Dinkelsbühler Heimatforscher Gerfrid Arnold in seinem Buch über die "Schulzech". Ludwig Stark (1851–1917) hatte wohl ein Händchen für historischen Stoff mit emotionaler Komponente. 1884 hatte er bereits das Meistertrunk-Festival von Rothenburg ob der Tauber modernisiert. Natürlich wollten auch die Dinkelsbühler ihr Festspiel und engagierten ihn. Aus den Legenden um die Kinderlore und den grimmigen Sperreuth formte Stark 1897 das Stück. Es entsprach dem Zeitgeist der Spätromantik, bürgerliche Feste mit viel Pomp zu inszenieren.

Tatsächlich ist die Kinderzeche bis auf den heutigen Tag ein Bürgerfest, das die besondere Verbundenheit der Dinkelsbühler mit ihrer Heimat jährlich neu dokumentiert – in diesem Jahr vom 13. bis 22. Juli.

Wenngleich die Geschichte von den Kindern, die den grimmigen Sperreuth milde stimmten, herzergreifend erfunden ist, ein paar Körnchen Wahrheit stecken in dem Historienspiel. Tatsächlich hat der Obrist Dinkelsbühl 1632 eingenommen, um dort im Auftrag von König Gustav Adolf Sammel- und Musterungsplätze einzurichten. Und tatsächlich wurde Dinkelsbühl im Dreißigjährigen Krieg nicht zerstört. Die Geschichte der Zechen hängt mit dem Schulwesen der einst durch Wolle und geschmiedetes Eisen reichen Stadt zusammen. Zechen sind eine Art Stipendium für Schüler, die – etwa zusammen mit Kleidung – bei Sommerfesten überreicht wurden. Immerhin hatten sich die Lateinschüler das durch liturgische Dienste und Krankenbesuche hart erarbeitet. Und die Feste waren verbunden mit Ausflügen in die Umgegend von Dinkelsbühl.

Spannend ist dabei das Verhältnis der Konfessionen. Im Dreißigjährigen Krieg war die Stadt katholisch regiert, aber die Mehrheit der Bewohner war protestantisch Durch den städtischen Paritätsvertrag von 1649 bekamen nun auch die Lutherischen mehr Rechte und feierten 1654 die erste evangelische Kinderzeche. Ein Ausflugsziel war etwa das Segringer Wirtshaus. Die Katholiken feierten schon ein paar Wochen vorher ihre "Kinderzech".

Aus dem protestantischen Schulfest entwickelte sich schließlich auf dem Schießwasen ein Bürgerfest mit Schützenschießen, ein Jahrmarkt – und das Knabenbataillon wie die Knabenkapelle kleideten sich in damals schwedische, heute Rokoko-Uniformen, zur Erinnerung ans Jahr 1632.

Da gab es die katholische Schulzeche schon gar nicht mehr. 1816 waren den Absolventen letztmals ihre Gulden ausbezahlt worden. Die Spannung der Konfessionen mit getrennten Schulzechen ist nach den Jahrhunderten ohnehin endgültig gewichen. Zwar dominieren mit etwa 57 Prozent der Bevölkerung die Protestanten vor den Katholiken mit knapp 30 Prozent, doch gerade wegen der Historie fühlen sich etliche Dinkelsbühler zur Ökumene verpflichtet. Und zum Mitspielen bei der "Kinderzech".

So erinnert Franken an den Dreißigjährigen Krieg. Die wichtigsten Veranstaltungen finden Sie in unserer Karte.

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