Durst nach Wissen

9.4.2015, 19:56 Uhr
Durst nach Wissen

© Foto: Katrin Straupe

Bildung sei ihm am wichtigsten, sagt Mohammad aus Afghanistan. „Ohne sie ist man blind, ein Nichts.“ Der 17-Jährige möchte etwas werden, was, das weiß er noch nicht so genau, vielleicht einen Beruf mit Elektronik ergreifen, in jedem Fall will er Wissen anhäufen, um später unabhängig und nicht mehr auf staatliche Zuwendung angewiesen zu sein.

Mohammad sei ein gutes Beispiel dafür, wie „willensstark“ junge Flüchtlinge trotz ihrer schrecklichen Erlebnisse sind, sagt Sozialpädagogin Dagmar Gerhard, die sich acht Jahre lang hauptberuflich als Vormund und Betreuerin um junge Flüchtlinge gekümmert hat. Bis vor kurzem. Auch jetzt im Ruhestand lässt sie die Tatsache nicht los, dass das Potenzial dieser jungen Menschen vielfach nicht genutzt wird, weil es allerorten an Schulplätzen fehlt.

Immer wieder mahnt Gerhard, nun als Ehrenamtliche, die Behörden an, sich auch um ausreichend geistige Nahrung für junge Flüchtlinge zu kümmern: „Wir brauchen sie. Bildung ist die beste Möglichkeit, sie vor Terroristen zu schützen.“ Zusammen mit ihrem Nürnberger Verein Mimikri (eine Abkürzung für Migranten meistern ihre Krisen) bietet sie den jungen Menschen aus aller Herren Länder einstweilen ein „Sprungbrett“ an.

So heißt das inzwischen erfolgreiche Projekt, in dem 16- bis 21-Jäh-
rige aus der gesamten Region in zwei Grund- und zwei Aufbaukursen fit gemacht werden, damit sie irgendwann in eine spezielle Berufsschulklasse für Asylbewerber und Flüchtlinge (BAF-Klasse) überwechseln können — dort, wo sie untergebracht sind. Denn während sich die Stadt Nürnberg schon
seit Jahren um die Beschulung der Entwurzelten kümmert und auch noch Plätze anbieten kann, mangelt es in den Nachbarstädten und den Landkreisen weiter an solchen Angeboten.

Unterschlupf gefunden

Und so sitzen derzeit acht Minderjährige, die in der Jugendhilfeeinrichtung in Schnaittach leben, neun aus der Einrichtung in Rummelsberg, zwei volljährige Syrer aus der Flüchtlingsunterkunft Eckental und zwei Minderjährige aus der Jugendhilfeeinrichtung in Fürth an 24 Stunden in der Woche in einem Raum der Nürnberger Christuskirchen-Gemeinde und machen sich erst einmal mit der deutschen Sprache vertraut. Dort hat das „Sprungbrett“ Unterschlupf gefunden, dort wird gelernt.

Gerhard und ihre Mitstreiter haben mit Julia Pühler und Elem Civi zwei Studierende der Pädagogischen Hochschule gefunden, die Sprachkenntnisse vermitteln und der engagierten Lehrkraft Yasmin Temizkan assistieren können.

Räume und Personal sind nur zu finanzieren, weil die sechs Nürnberger Rotary-Clubs, die Sparkasse Nürnberg und die Leser unserer Zeitung über die Aktion „Freude für alle“ Spenden gegeben haben. Auch das Diepersdorfer Theaterbrettl und Firmen aus der Region schickten erkleckliche Summen. Die Kursgebühren von 250 Euro für 28 Unterrichtstage und 350 Euro für 40 Schultage werden den jeweiligen Einrichtungen, aus denen die Schüler kommen, in Rechnung gestellt.

Privatleute haben Schreibmaterial und Bücher vorbeigebracht, zwei Frauen sind gefunden, die ehrenamtlich die „interkulturellen Trainingsmodule“ organisieren. Dazu zählen eine Führung durch die Nürnberger Stadtbibliothek und ein Besuch in der Zirndorfer Stadtgärtnerei, ein Rundgang durchs Nürnberger Klinikum, Besuche in einer Autowerkstatt, einer Schreinerei oder bei der Feuerwehr.

Die jungen Menschen seien „durchwegs traumatisiert“, sie könnten sich nicht so gut konzentrieren, deswegen müsse der Unterricht einfach anders gestaltet werden, erläutert Dagmar Gerhard. Psychische Auffälligkeiten werden sofort an die Betreuer in den jeweiligen Einrichtungen gemeldet. Das Konzept findet Beifall, auf den Wartelisten stehen inzwischen Heranwachsende, die in Hersbruck, Eckental, Fürth und in Nürnberg untergebracht sind. Doch es fehle ein „Koordinator“, klagt Gerhard, der sich um alle schulpflichtigen Asylbewerber bis 21 Jahre kümmert. Vertreter von Schulen, der Regierung und Jugendämtern müssten dazu endlich an einen Tisch, fordert sie.

Im Auftrag von Werner Staritz, dem Landesbeauftragten für die Verteilung der Flüchtlinge in Bayern, hat ihr Verein Mimikri jetzt ein Flugblatt mit den wichtigsten Hinweisen gefertigt, das den Neuankömmlingen an die Hand gegeben wird. Immerhin, ihre hartnäckigen Verhandlungen und unzähligen Gespräche mit den Behörden zeigen erste Erfolge. Die Regierung von Mittelfranken eröffnet nach den Osterferien, also noch während des laufenden Schuljahres, elf weitere BAF-Klassen an den Staatlichen Berufsschulen in der Region.

So haben die Schützlinge von Dagmar Gerhard und dem Mimikri-Verein nun gute Chancen, endlich eine reguläre Ausbildung beginnen zu können. Das „Sprungbrett“ hätte dann seine ganze Wirkung entfaltet.

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