Ein Dorf, das die Kurve noch gekriegt hat

5.1.2016, 19:30 Uhr
Ein Dorf, das die Kurve noch gekriegt hat

© Fotos: privat

Ein Dorf, das die Kurve noch gekriegt hat

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Gerhardshofen liegt im Niemandsland, umgeben von Karpfenteichen und den grünen Wiesen des mittleren Aischgrunds. Der Ort besteht aus 13 Ortsteilen, es sind überwiegend kleinere Dörfer und Weiler, die bis zu fünf Kilometer vom Hauptort entfernt sind. Insgesamt zählt die Gemeinde etwas über 2500 Einwohner. Zusammen mit den Marktgemeinden Dachsbach und Uelfeld bildet Gerhardshofen eine Verwaltungsgemeinschaft. Wer nicht hier wohnt, fährt höchstens durch.

Touristisch bietet die Kommune nur wenig, malerisch ist sie auch nicht. Durch den Hauptort schlängelt sich die vielbefahrene Bundesstraße 470. Trotzdem ist Gerhardshofen etwas Besonderes. Nach hundert Jahren stetigen Bevölkerungsrückgangs wächst die Kommune und entwickelt sich mehr und mehr zu einem attraktiven Wohnort mit guter Infrastruktur.

Massive Probleme

Zu diesem Ergebnis kommt eine Langzeitstudie des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung. Der amtierende Bürgermeister Jürgen Mönius (CSU) ist stolz auf sein Dorf. Nur zu gut erinnert er sich an Zeiten, in denen die Uhr rückwärts zu gehen schien.

Viele Jahrzehnte lang litt Gerhardshofen unter massiven Entwicklungsproblemen. 1834 zählte der Ort noch 585 Einwohner, danach ging es kontinuierlich bergab. In den 50er Jahren litt die Bevölkerung massiv unter Armut, es gab kaum Arbeit außerhalb der Industriestädte Nürnberg und Fürth. Durch die Ansiedlungen von Evakuierten, Flüchtlingen und Vertriebenen versuchte man dem Bevölkerungsschwund (1939: 336 Einwohner) entgegenzuwirken. Der Erfolg war von kurzer Dauer, seinen Zenit erreichte er 1949 mit einer Einwohnerzahl von 517 Personen. „Dann setzte die Abwanderung erneut schneller ein, als man erwartet hatte“, erzählt Mönius. Es gab einfach kaum Arbeit vor Ort. In den 50er Jahren lebten 25 Prozent der Bevölkerung von Industrie und Handwerk. Die Hälfte der Einwohner ausschließlich von der Landwirtschaft. Es gab noch 78 Bauernhöfe. Heute sind es vier, Kühe hält keiner der Landwirte mehr.

1952 kamen zum ersten Mal die Wissenschaftler vom Thünen-Institut in das kleine mittelfränkische Dorf. Im Auftrag das Bundeslandwirtschaftsministerium untersuchten sie die Lebensbedingungen von 14 bundesdeutschen Gemeinden über einen Zeitraum von 60 Jahren hinweg. Alle 20 Jahre wurden die auserwählten Gemeinden erneut von den Soziologen besucht, um neue Entwicklungen zu dokumentieren. Erstmals eben 1952, dann 1972, 1993 und zuletzt 2012. Neben Gerhardshofen wurde in Bayern auch Falkenberg im Landkreis Rottal-Inn untersucht. Heinrich Becker, Leiter der Landzeitstudie des Thünen-Instituts sagt: „Gerhardshofen ist was ganz Besonderes.“ Er muss es wissen, denn er betreut die Studie seit 40 Jahren und hat deren Ergebnisse jüngst veröffentlicht. Immer ging es den Wissenschaftlern um die Alltagswelt in den Gemeinden.

Über Gerhardshofen sagt Becker, dass Bürgermeister wie Gemeinderäte stets pragmatisch und im Sinne der Gemeinschaft entschieden hätten. Das habe dazu geführt, dass sich die Bevölkerungszahl erst stabilisierte, später noch steigerte. Von 2002 bis 2012 zogen 1456 Menschen zu. Die Bürger schätzen dort vor allem ein ruhiges Leben, die Überschaubarkeit des Dorfes sowie die Natur und Landschaft.

Über tausend Pendler

Darüber hinaus sei die Gemeinde schuldenfrei, trotz hoher Investitionen in ein neues Feuerwehrhaus, das in Gemeinschaft mit dem benachbarten Dachsbau entstand, sowie dem Neubau der Schule. „Bürgermeister und Gemeinderäte sind und waren stets bemüht, den Ort attraktiv zu halten“, betont Becker. Zum einen durch intelligentes Ausweisen verhältnismäßig günstiger Baugebiete, aber auch durch die Entwicklung der notwendigen Infrastruktur für die neue Bevölkerung. Es gibt heute eine Krippe, zwei Kindergärten, eine Grundschule und Einkaufsmöglichkeiten.

Natürlich profitiere die Gemeinde auch von Wachstum und Arbeitsmarkt der Region. Täglich pendeln 1047 Menschen von dort zur Arbeit. Die meisten nach Herzogenaurach zu Schaeffler, ein geringerer Teil nach Erlangen zu Siemens. 306 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte arbeiten in Gerhardshofen. Die Gemeinde verfügt mittlerweile über ein breit aufgestelltes Gewerbe. Einziges Manko sei, so Becker, die Anbindung. Ohne eigenes Auto komme man hier nicht weit.

„Ich hab Hochachtung vor den Verantwortlichen der vergangenen Dekaden, Gerhardshofen stand oft genug auf der Kippe“, sagt Becker. Doch das ist Schnee von gestern, heute gehört der kleine mittelfränkische Ort im Aischgrund zu den schnellstwachsenden Gemeinden Bayerns, trotz seiner vermeintlich geringen Attraktivität im Niemandsland.

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