Eine Bombe zerstört Vertrauen blitzschnell

5.9.2016, 21:22 Uhr
Eine Bombe zerstört Vertrauen blitzschnell

© Horst Linke

Khalil Saleh Sulaiman kann ein leicht verlegenes Schmunzeln nicht vermeiden, wenn er berichtet, was ihm widerfahren ist. Der 28-jährige Syrer lebt als Flüchtling in Nürnberg in einer eigenen Wohnung. Seine Vermieterin habe doch tatsächlich bei ihm angeklopft, um sich forsch zu erkundigen, ob er vielleicht irgendwelche gefährliche Materialien für einen Anschlag in seinem Zimmern lagere. Das geschah nach den schockierenden Taten der vergangenen Wochen in Bayern — vermutlich aus purer Hilflosigkeit.

Der junge Mann nimmt das der Frau deshalb gar nicht mal übel. „Wenn wir länger miteinander reden, lässt sich vieles klären“, meint er. Die tief empfundene Dankbarkeit für seine Bleibe und gegenüber den Nürnbergern, die ihn bisher unterstützten, hat für ihn ein deutlich größeres Gewicht als solche Erlebnisse.

Wie soll man auf Verbrechen wie die der Attentäter reagieren? Eine klare Antwort hat Sulaiman auf diese Frage auch nicht parat. Er spürt nur, dass sich die Stimmung deutlich verändert hat.

Gewalt hat Folgen

„Wir sind vor dem Krieg hierher in Sicherheit geflohen“, sagt er, „jetzt bringen die den Krieg hierher. Das ist fürchterlich.“ Es dauere schließlich lange Zeit, bis zwischen Flüchtlingen wie ihm und den Einheimischen wenigstens ansatzweise so etwas wie ein Vertrauensverhältnis entstehen könne. „Und so eine Bombe wie in Ansbach zerstört das innerhalb einer Sekunde.“ Das hat Folgen.

Bisher hat sich Khalil Saleh Sulaiman mit Bekannten im Hof der Nürnberger Wohnanlage getroffen, in der er lebt. Das hat man ihm nun nachdrücklich untersagt. Und es gibt unverhohlene Beschimpfungen. „Wir können Leute wie dich nicht leiden“, so was wird ihm offen entgegengeschleudert. Der 28-Jährige schluckt so etwas irgendwie hinunter.

Auch wenn Besorgnis oft auf falsche Weise ausgedrückt würde, entstanden sei sie ja wahrlich nicht ohne Grund. Der junge Syrer ist ausgebildeter Energieingenieur und konzentriert sich jetzt lieber ganz darauf, in Nürnberg beruflich Fuß zu fassen.

Hanebüchene Verbote und Beschimpfungen, wie er sie hier erlebt hat, sind schließlich nicht das Schlimmste, was er auf seiner bisherigen Flucht erdulden musste. Er habe, so erzählt er, in seinem Heimatland Syrien zusammen mit anderen selbst Flüchtlingen geholfen, die dort zu Hunderttausenden Schutz vor Gewalt suchen, bevor sie sich oft zur Flucht nach Europa entschließen. Zweimal habe er für sein Engagement in Gefängnissen des Assad-Regimes gesessen, weil man bei ihm medizinisches Versorgungsmaterial gefunden hatte. Der reflexartige Vorwurf: Unterstützung von Rebellen.

Sulaimans Verlobte, die 27-jährige Asmaa Huttouq, gehörte mit zu der Gruppe von Flüchtlingshelfern in Syrien. Sie kam vor gut einem Jahr nach Nürnberg, wo sie ein Kunststudium beginnen möchte. Ihr selbst ist es noch nicht passiert, aber berichtet worden ist ihr schon, dass Kopftuchträgerinnen wie sie angespuckt wurden. Die Hemmschwelle für Hassausbrüche ist gesunken.

Sie meidet Plätze

Als gläubige Muslima ist es ihr schleierhaft, wie man sich auf den Islam berufen und gleichzeitig Menschen verletzen oder gar töten kann. Nach ihrer persönlichen Haltung fragt aber kaum jemand. Die Zeiten sind schlecht für Differenzierung. Bis sie besser werden, behilft sich Huttouq mit Vorsicht. Um gar nicht erst eine Angriffsfläche zu bieten, meidet sie in Nürnberg lieber Plätze mit größeren Menschenansammlungen.

Das tut auch Nashwan Jalal Haji. Um den Plärrer macht er möglichst einen Bogen. Da fühlt sich der junge Iraker unsicher. Das gilt derzeit grundsätzlich, wenn er das Haus verlässt. Er hat schlicht Angst vor einem Anschlag. Das ist für ihn eine völlig absurde Situation. Der 27-Jährige ist Jeside, eine Volksgruppe, die im Irak vom IS brutalst verfolgt wird, und jetzt hat er hier Angst, in einem
Land, in dem er Sicherheit und Freiheit suchte.

Viel Ratlosigkeit

Sein Asylantrag ist bereits anerkannt. Seine Frau und die drei Kinder warten noch auf den Bescheid. „Meine Eltern sind im Irak geblieben“, erzählt Jalal Haji, „wir hatten nicht genug Geld, um auch für sie die Flucht zu bezahlen.“

Er frage sich unablässig: „Wie kann ich den Menschen hier deutlich machen, dass ich nicht das Geringste mit solchen Attentätern zu tun habe? Wie muss ich mich präsentieren?“ Ratlosigkeit. Der Wunsch, sich nach außen jederzeit erkennbar von Terroristen zu distanzieren, ist ebenso stark wie das Gefühl, dass sich dieser Wunsch kaum erfüllen lässt. Soll er ein großes Schild mit der Aufschrift „Ich bin kein Attentäter und tue unschuldigen Menschen nichts“ vor sich hertragen? Würde das etwas nützen?

Haji weiß, dass islamistische Internet-Propaganda und Gewaltaufrufe auch Flüchtlinge in Nürnberg leicht erreichen können. Sollte er mitbekommen, dass dafür in seinem Umfeld jemand das geringste Anzeichen von Sympathie erkennen lässt, gibt er sich entschlossen: „Ich kenne die Nummer der Polizei. Die werde ich wählen.“

Einen derartigen Hinweis haben auch Mitarbeiter von Martina Sommer, Leiterin des Referats für Migration und Integration bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Nürnberg, schon bekommen. „Der Vorwurf entpuppte sich nach tastenden Gesprächen und vorsichtigem Nachfragen als haltlos“, erzählt sie, „da wollte ein Zimmernachbar einfach jemanden anschwärzen.“ Auch Denunzianten wissen um die derzeit besonders schnelle Wirkung solcher Andeutungen. Man sei aber, so Sommer, sensibilisiert, dürfe die Augen vor Gefahren, die ja nicht aus der Luft gegriffen seien, natürlich nicht verschließen.

Was sich für Martina Sommer in diesen Situation in Nürnberg besonders bewährt hat, sind der enge Austausch und der reibungslose Kontakt zwischen den beteiligten Stellen und Behörden in der Stadt. „Das funktioniert bei uns. Selbstverständlich ist so was keineswegs.“

Nachlassen dürfe man in den Bemühungen allerdings nicht, die angekommenen Flüchtlinge zu integrieren, betont Martina Sommer. In gewisser Weise, sagt sie, gehe die Arbeit in dieser Hinsicht nach dem starken Zuzug im vergangenen Jahr erst richtig los.