Entdeckung: Ameisen-Ärzte retten Artgenossen das Leben

14.2.2018, 18:59 Uhr
Ameisen-Ärzte versorgen verletzte Artgenossen, wie der Würzburger Forscher Erik Frank herausfand.

© Manfred Müller Ameisen-Ärzte versorgen verletzte Artgenossen, wie der Würzburger Forscher Erik Frank herausfand.

Offene Wunden sind für Tiere in freier Wildbahn lebensgefährlich. Das gilt auch für die Matabele-Ameise, die südlich der Sahara weit verbreitet ist und mit einer ungewöhnlichen Lebensweise auffällt. Mehrmals am Tag ziehen Einsatz-Trupps los, um Termiten zu jagen, die Nahrung der räuberischen Ameisen. Ein gefährlicher Ausflug: Vier bis sechs Tiere verlieren bei jedem Raubzug und den Kämpfen mit Termitensoldaten Teile der Beine, ganze Gliedmaßen oder werden anderweitig verwundet.

Da einzelne Individuen bei sozialen Insekten nicht viel zählen, könnte das ihr Todesurteil sein. Doch was der Biologe Erik Frank von der Universität Würzburg im Comoé-Nationalpark der Elfenbeinküste beobachtet hat, ist etwas anderes: Die Matabele-Ameisen haben ein gut organisiertes Sanitätssystem etabliert, um verletzte Artgenossen buchstäblich wieder auf die Beine zu bringen. Dabei kümmern sich die Ameisen sogar intensiv um die offenen Wunden ihrer Artgenossen, ein Verhalten, das im Tierreich, zumal bei Insekten, wohl einzigartig ist.

Sterberate sinkt von 80 auf 10 Prozent

Nach jeder Schlacht sammeln Ersthelfer zunächst die Verwundeten ein und tragen sie zurück ins Nest. Dort gehen Ameisenärzte ans Werk: festgebissene Termiten werden entfernt und die Wunden der Verletzten minutenlang und wiederholt geleckt. "Wir vermuten, dass sie auf diese Weise die Wunde säubern und mit dem Speichel eventuell sogar antimikrobielle Substanzen auftragen, um die Gefahr von Infektionen mit Pilzen oder Bakterien zu verringern", sagt Erik Frank.

Die Behandlung ist offenbar lebenswichtig: "Ohne diese Versorgung sterben 80 Prozent der Verletzten, nach der Behandlung sind es nur noch zehn Prozent, bei gleicher Schwere der Verletzungen", sagt Frank.

Schwerverletzte opfern sich

Doch nicht jeder Kriegsversehrte wird ins Lazarett geschafft: Zu schwer verwundete Tiere, denen beispielsweise fünf von sechs Beinen fehlen, bleiben zurück. Wer seinem Schicksal überlassen und wer gerettet wird, entscheiden dabei nicht die Helfer, sondern die Schwerverletzten selbst. Sie gebärden sich derart wild, dass sie von ihren Artgenossen nicht mehr gepackt werden können – so verschwendet die Ameisengemeinschaft keine wertvolle Energie in ihre Rettung, die am Ende umsonst ist.

"Das ist ein wunderbares Beispiel für die ,Selbstlosigkeit‘ in Ameisenstaaten", sagt Erik Frank. "Bei Ameisen ist es nicht wichtig, die Fitness des Einzelnen zu maximieren, sondern die der Kolonie als Ganzes." Dass sich Verletzte ohne Heilungschancen, natürlich ohne bewusste Entscheidung, gar nicht mehr helfen lassen, ist demnach eine evolutionäre Anpassung, die der Kolonie dabei hilft, unnötig Ressourcen zu verbrauchen.

Signalstoff alamiert Rettungskräfte

Leichtere Fälle halten dagegen still und ziehen die verbliebenen Beine sogar noch an, um den Abtransport zu erleichtern. Ein Signalstoff alarmiert die Rettungskräfte, die dann zu Hilfe eilen. Dabei ist den Verwundeten offenbar genau klar, wie gut die Chancen auf einen Abtransport sind: In der Nähe vieler Artgenossen, hat Frank beobachtet, bewegen sich verletzte Ameisen langsam und zeigen ihre Verletzungen deutlich. Ist dagegen keiner in der Nähe, nehmen sie die restlichen Beine lieber in die Hand. "Dann laufen sie, so schnell sie noch können, alleine zurück zum Nest."

Wer es nach Hause geschafft hat und versorgt wird, hat realistische Chancen, die Blessuren zu überleben. Wie Frank schon im vergangenen Jahr gezeigt hat, lernen die Patienten innerhalb von 24 Stunden, auch auf vier oder fünf Beinen fast ebenso schnell über den Boden zu flitzen wie ihre gesunden Artgenossen.

Das erklärt auch, wieso die Kolonie so viel Energie in Sanitätsdienst und Wundversorgung investiert: Die Kollegen gesund zu pflegen ist weniger kostspielig, als neuen Nachwuchs zu produzieren. Dass sich der Einsatz lohnt, zeigt auch eine andere Beobachtung: In den ausrückenden Formationen marschieren die Kriegsveteranen kräftig mit: Ein Drittel jedes Kampftrupps, hat Frank beobachtet, besteht aus Tieren mit nur noch fünf Beinen.

 

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