Erhabenes und Schönes: Das Pittoreske und seine Bedeutung

1.3.2019, 14:06 Uhr
Elias Bancrofts Gemälde des Plönleins entstand um 1900 und befindet sich heute im Kriminalmuseum.

© privat Elias Bancrofts Gemälde des Plönleins entstand um 1900 und befindet sich heute im Kriminalmuseum.

Das Wort war nicht per se Teil des deutschen Sprachgebrauchs, sondern ist eine Ableitung von "pittore", der italienischen Bezeichnung für Maler und ist deshalb ein gängiges Sy­nonym für "malerisch". Erst Mitte des 19. Jahrhunderts gab es jedoch eine greifbare Definition. So heißt es in der Wissenschaftlich-literarischen Enzyklopädie der Ästhetik aus dem Jahr 1843 von Wilhelm Hebestreit zu "pittoresk": "(...) überhaupt alles, was durch eigenthümlichen Reiz das Auge anspricht und festhält, und in Beziehung auf den Stoff insbesondere: was zur malerischen Behandlung geeignet ist, namentlich aber jene Gegenstände, auf deren Fläche ein Reichthum von Farbtönen überblickt wird, oder die durch Licht und Farbe erst Reiz und höhere Bedeutung erhalten."

1688 begann Englands "Sonderweg" mit einer Mischverfassung aus Monarchie, Aristokratie und einer Parteiendemokratie. Ein Standesportrait in der Landschaft, das Nobilität und landwirtschaftliche Nutzung, auf einer Leinwand vereint, gab es bis dato nicht. "Ohne Sensualismus, kapitalistische und später industrielle Revolution wäre das ,picturesque’ nicht denkbar", erklärt Dr. Christöphler.
Grundsätzlich gilt es zu verstehen, dass Landschaft nicht gleich Natur ist. Landschaft, so der Tourismusdirektor, sei "gestaltete, gemalte Natur". Ein wichtiges Element dabei ist die sogenannte "Line of Beauty and Grace" (William Ho­garth), also ein gewundener Gang durch die Natur in Form einer Schönheitskurve oder Serpentine. Der Landschaftsarchitekt "Capability" Brown entwickelte in diesem Sinne die "Ästhetik des ,beltwalks’", wo­runter ein angenehmes Wandeln rund um gewundene Gewässer zu verstehen ist.

„Entzückender Horror“

Daneben gibt es aber auch Edmund Burke, der die Idee des Erhabenen und Schönen ("Ideas of the Sublime and Beautiful") vertrat. Für ihn gründet sich das Schöne im Geselligkeitstrieb des Menschen. Das Erhabene verortet er im Selbsterhaltungstrieb. Darunter versteht er das formlose Große, das einen "entzückenden Horror" ("delightful horror") bewirkt. Über das Raue, Ungestaltete, Dunkle tritt es in die Nähe des späteren "picturesque" (englisch für pittoresk).

Laut William Shenstone solle der Garten "so wie ein Bild auf der Leinwand" geschaffen werden – jedoch entsprechend der englischen Überzeugung nicht sklavisch der Geometrie folgen. Damit grenzen sich die Inselbewohner bewusst von den Franzosen ab, die der festen Überzeugung sind, dass sich die Natur den Gesetzen der Geometrie unterordnen müsse. Denn geometrisch ist gleich wohlgeordnet ist gleich gottgleich.

Das klassische Landschaftsgemälde betreffend, so hat die französische Académie royale de peinture et de sculpture 1648 eine Gattungshierarchie festgelegt, nach der historische Szenen über Portraits stehen und diese wiederum über der Genre-Malerei anzusiedeln sind. Schlusslicht sind Landschaften vor Stillleben. Um Landschaftsbildern einen höheren Wert zu geben, wurden darin biblische Geschichten oder "mythologisches Personal" integriert. In diesem Werk sei "alles komponiert und in sich geschlossen", so Dr. Jörg Christöphler. Der Beobachter schaut aus einem hochgelegten Blickpunkt auf die gemalte Szenerie.

Inspiriert von diesem klassischen Bildtypus nimmt auch der Betrachter in der realen Landschaft, die durchaus schon mal mit Theaterdekoration ausstaffiert sein kann, einen erhöhten Blickpunkt ein. Ein derartiges Gartenerlebnis bietet dabei eine Abfolge verschiedener Bilder, die sich erst im Verlauf eines Spaziergangs erschließen. Oder wie es der Tourismusdirektor formuliert: "Man geht durch die Natur wie durch eine Gemäldegalerie". Der erste Landschaftsgarten nach englischem Typus befindet sich übrigens in Wörlitz bei Dessau.

Zwischen 1750 und 1850 wurde in England die sogenannte "enclosures" (auf Deutsch: Einhegung) durchgesetzt, also die Einschränkung traditioneller Landnutzungsrechte, wodurch ein ländliches Präkariat geschaffen wurde, dessen Mitglieder zu zu Arbeitskräften für die rasch wachsenden industriellen Ballungsräume wurden. Das Pittoreske steht in diesen Fällen sozialgeschichtlich für einen Stil der Aneignung und Täuschung.

Renaissance dank Kunsthistoriker

Ende des 19. Jahrhunderts erlebte der Begriff des "Malerischen" eine Renaissance – vor allem beeinflusst  durch Kunsthistoriker wie Camillo Sitte. Dieser betonte vor allem malerische Prinzipien bei Stadtanlagen, so die Anlage von Plätzen, das Zusammenspiel von Säulenumgängen sowie gekrümmte Straßenverläufe. Letzteres findet man auch in der Tauberstadt, wie Barry Parker, einer der profiliertesten Architekten und Stadtplaner, in einem Foto von der Stadtansicht zwischen Stadtmauer und Kobolzeller Kirche belegt.

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