1968 rebellierten in Erlangen auch die Schüler

14.4.2018, 15:00 Uhr
1968 rebellierten in Erlangen auch die Schüler

© Stuempel/Stadtarchiv

Der 1. April 1968, ein Montag, gibt für die Berichterstattung nichts her für Aprilscherze: Die Tageszeitung berichtet über gewaltsame Proteste von Studenten in Spanien und Italien. An der Pariser Sorbonne gibt es die erste Protestveranstaltung ihrer Geschichte, der Rektor spricht von einer "Guerrilla-Aktion". Ziel der Proteste ist – wie in Deutschland – eine Reform der Universitäten und der Studieninhalte. Im italienischen Turin treten 73 000 Fiat-Arbeiter in einen (gewalttätigen) Streik.

Am 3. April werden die Bombenangriffe auf Nordvietnam noch intensiver fortgesetzt – der im Februar an der Berliner TU veranstaltete "Vietnam-Kongress" und eine Großdemonstration hatten prophezeit, dass die USA den Krieg weiterführen werden. Am 16. März wird das Massaker von My Lai bekannt: Amerikanische Soldaten hatten in einem Dorf 504 Zivilisten — viele Frauen, Kinder, Alte – massakriert und ihr Vorgehen vertuscht.

Im Bundestag ist die Stimmung wegen der anstehenden Verabschiedung der Notstandsgesetze, die [1]die Handlungsfähigkeit des Staates in Krisensituationen (Naturkatastrophe, Aufstand, Krieg) sichern soll[/1]en und der Exekutive erweiterte Kompetenzen einräumen, aufgeheizt: Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger wird mit den Worten "Nazi, abtreten!" beschimpft. Derweil werden gegen eine geplante Großdemonstration in Bonn 40 000 Polizisten mobilisiert.

In der benachbarten Tschechoslowakei (CSSR) ist mit Alexander Dubcek ein Reformer zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei gewählt und wird deren Gesicht in den nächsten Monaten radikal verändern – der "Prager Frühling" hat begonnen. Im Nachbarland Polen wehrt sich die KP gegen den drohenden Machtverlust. In der DDR wirbt Parteichef Walter Ulbricht um Zustimmung für eine neue sozialistische Verfassung, gleichzeitig wird durch die DDR-Behörden der Berlin-Verkehr behindert.

Die tödlichen Schüsse auf den US-Menschenrechtler Martin Luther King, das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke, der anhaltende Bruch des Völkerrechts durch den Vietnamkrieg und die bevorstehende Verabschiedung der Notstandsgesetze haben eine gefühlsmäßige Gemengelage erreicht, die auch in Erlangen immer mehr Menschen zur Stellungnahme animieren.

So nimmt die Volkshochschule die Studentenproteste in ihr Kursprogramm auf, die Studentenvertretung AStA schreibt einen Offenen Brief an den Kanzler und verlangt staatlichen Gewaltverzicht und Diskussionsbereitschaft. Auch Schüler werden vom "Veränderungsfieber" angesteckt. Drei Erlanger Schülerzeitungen veranstalten im Jugendzentrum Frankenhof ein eigenes "Teach in". Motto: "Der politische Winterschlaf der Schüler muss aufhören." In einer Diskussion mit dem dem SDS angehörenden Politologen Arnheim Neusüß fordern die Schüler die Polizei zum "Gewaltverzicht" auf – ein anderes SDS-Mitglied "verteidigt" die Polizei als "Ausführungsorgan" der Politik, diese müsse ins Visier genommen werden.

Vor der Hauptversammlung des Kreisjugendrings plädierte der Sozialwissenschaftler Friedhelm Kreckel vom Institut für außerschulische Jugendarbeit in Gauting für eine Demokratie, in der Konflikte offen ausgetragen und durch Aussprache gelöst werden – eine Absage an den Obrigkeitsstaat. Das Grundprinzip jeder Auseinandersetzung müsse das Wissen um die Veränderbarkeit der Verhältnisse sein, "ein legaler und notwendiger Prozess".

In München gibt der Erlanger FDP-Vorsitzende Georg Letz bei einer Diskussion vor 5000 Zuhörern auf dem Königsplatz den Studenten in ihrem Aufruhr Recht: Die Bundesrepublik befinde sich noch in der Gedankenwelt vergangener Zeiten, Bildung, Wirtschaft und Verwaltung seien immer noch von Autorität geprägt, wo Kooperation gefragt sei.

Und das studentische "Teach in" im Hörsaal der Organischen Chemie in der Folge des Dutschke-Attentats (wir berichteten) hatte noch ein Nachspiel in den Leserbriefspalten der Erlanger Lokalzeitung: Während der CSU-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Siegfried Haas, die anwesenden SPD-Vertretern wegen dem SDS attackierte, erwiderte der damalige SPD-Vorsitzende Helmut Ritzer, die anwesenden CSU-Vertreter (darunter auch der Landtagsabgeordnete Wilhelm Vorndran) hätten in der Diskussion "gekniffen". Es seien die SPD-Vertreter gewesen, die die "verfassungsmäßige Ordnung" gegenüber den SDS-Diskutanten verteidigt hätten.

ZIn der nächsten Folge der Serie über die "68er und Erlangen" geht es um die Diskussionen und Veränderungen an der Universität selbst. Dort fordern die Studentenschaft, aber auch der akademische Mittelbau, erweiterte Mitspracherechte.

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