Als ein Bauer die "Seekuh" beim Wettrennen abhängte

11.7.2014, 06:00 Uhr
Als ein Bauer die

© André De Geare

Für Aufsehen in der Presse sorgte anno 1895 das Wettrennen zwischen einem Kleinsendelbacher Bauern und der „Seekuh“, wie der Name der Bahn gern verballhornt wurde. Da Landwirte meist viel Arbeit und wenig Zeit haben, verpasste der Mann den Zug um wenige Sekunden, sah jedoch eine gute Chance, das Dampfross einzuholen.

Also rannte er, was Beine und Lunge hergaben. Und tatsächlich: Mit einigen Nasenlängen Vorsprung lief er im benachbarten Steinbach ein. Der Schaffner salutierte respektvoll, die Frauen und Männer im Personenwagen spendeten stehend Ovationen.

Im 19. Jahrhundert setzten die Bewohner des Schwabachgrunds freilich große Hoffnungen in den Anschluss an das Bahnnetz, das für wirtschaftlichen Fortschritt stand. Vor allem der damalige Erlanger Bürgermeister Dr. Georg Schuh machte sich für den Bau der Strecke stark, der schließlich 1886 umgesetzt wurde.

Die Aufsichtsbehörde legte allerdings fest, dass die Nebenbahn mit möglichst geringen Mitteln und „in der einfachsten Weise“ fertig zu stellen sei. Nur auf 18 der insgesamt 28 Kilometer erhielt sie ein eigenes Gleisbett, verlief ansonsten auf der Straße. Brücken sollten nur errichtet werden, wenn dies unbedingt nötig war. 1908 erfolgte der Anschluss an die Gräfenbergbahn, die nun Nürnberg mit dem Erlanger und Forchheimer Oberland verband.

Legendär ist die Entstehung der Bezeichnung „Seku“. Den Schriftzug „Restauration zur Sekundärbahn“ für eine Erlanger Gaststätte brachte der Maler angesichts des Feierabends vor dem Wochenende nicht ganz zu Ende, so dass bis Montag lediglich „zur Seku“ über dem Eingang prangte. Angesichts des sprichwörtlichen Tempos der Bahn verwandelte dies der Volksmund bald in „Seekuh“.

Eine große Bedeutung hatte die Seku für den Güterverkehr. Ob Brauereien, Kohlen-, Obst- und Hopfenhändler, Sägewerke, die Ziegelei Schultheiss in Spardorf, die Konservenfabrik Bär in Uttenreuth oder das Betonwerk Hemmerlein in Neunkirchen am Brand: Sie alle nutzten die Bahn für den Transport. Der letzte Kunde war die Firma Miele mit ihrer Produktions- und Lagerstätte in Eschenau, deren Anschlussstelle 2002 abgebaut wurde.

Leider ereigneten sich im Laufe der Geschichte zahlreiche, zum Teil schlimme Unfälle. 1915 entgleisten wegen eines Schienenbruchs eine Lokomotive und mehrere Wagen. Fünf Menschen starben, zwölf wurden verletzt, fünf davon schwer.

Am 9. Oktober 1959 wäre es um 5.30 Uhr fast zu einer Katastrophe gekommen. So machten sich Personenwagen, die in Eschenau abgestellt waren, selbstständig und rollten auf Forth zu.

Der Eschenauer Bahnbeamte konnte die Waggons nicht mehr stoppen, kurbelte jedoch wie wild an seinem Streckentelefon und alarmierte seinen Kollegen in Forth. Im letzten Moment konnte dieser eine Weiche noch umstellen.

Mit 60 Stundenkilometern donnerten die Wagen auf ein Ladegleis und über den dortigen Prellbock hinweg, bis die Radsätze an einer Rampe hängen blieben. Kurz danach fuhr in Forth aus der Gegenrichtung ein vollbesetzter Personenzug ein, der in Gräfenberg gestartet war.

Die Unfallgefahr stellte einen der Gründe dar, warum die Seku 1963 eingestellt wurde. Doch auch angesichts der Geschwindigkeit musste man schon sehr nostalgisch veranlagt sein, um den Bummelzug noch regelmäßig zu nutzen.

Waren im Fahrplan von 1887 für die Strecke von Erlangen nach Eschenau 94 Minuten angegeben worden, benötigte selbst der ab 1960 eingesetzte Schienenbus hierfür immer noch über eine Stunde — wenn alles glatt ging und nicht ein sorglos auf den Gleisen geparkter Kleinwagen das Fortkommen blockierte.

Längst hatte im Zuge des Wirtschaftswunders das Auto seinen Siegeszug angetreten. Am 16. Februar 1963 kämpften sich daher zwei schwarze Dampfloks zum letzten Mal von Erlangen durch die weiße Schneelandschaft nach Neunkirchen, das bereits zwei Jahre vorher zur Endstation bestimmt worden war. Sogar das Hamburger Abendblatt berichtete damals über dieses Ereignis, das bundesweit Wehmut auslöste.

Hans-Jürgen Bohnhorst führt die Leser anhand eines Spaziergangs von Forth über Eschenau und Brand nach Steinbach zu den historischen Orten der Bahnstrecke. Der Autor ist Vorsitzender eines Vereins, der den Eschenauer Lokschuppen restauriert hat. Dieser beherbergt nicht nur Erinnerungsstücke aus der Zeit, als die Lokomotiven noch mächtige Dampfwolken in den Himmel bliesen, sondern wird auch für kulturelle Veranstaltungen genutzt. Erhältlich ist Bohnhorsts Werk für vier Euro im Eckentaler Buchhandel.

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